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Quelle: dpa/D.E.Hoppe

Berliner Stadtquartier "Am Tacheles"

Vom Kunsttempel zum Glanzpalast

Da, wo einst Künstler ihre Ideen erschufen und sich feierten, entsteht nun ein Berliner Luxuswohnquartier. Die Kunst, die bleibt, sind jetzt die Gebäudekreationen der Star-Architekten. An die Wurzeln erinnert vor allem die neue Ladenzeile. Von Anna Bordel

Frauen mit eleganten Hüten am Rande einer Galopp-Rennbahn, die Nahaufnahme eines Fußes, der in einen High Heel gleitet, eine Cricket-Kugel, die durch perfekt geschnittenes Gras rollt - die Szenen entstammen nicht aus einem Intro einer Serie zur britischen Upper-Class, sondern aus dem Imagefilm des neuen Berliner Stadtquartiers "Am Tacheles".

Was einst Kulisse für Performances, Theater und Tanz war, weicht nun Luxusapartements, Büroflächen und Geschäften, umgebaut von mehreren renommierten Architektenbüros, beauftragt vom Investor Aermont Capital. Die Höfe zieren akkurat frisierte Buchsbäume, auf der Website wird der erste vollautomatisierte Fahrradsafe Berlins sowie ein Hunde-Waschplatz angepriesen.

Hohe Nachfrage

Kleingärten in Berlin werden teils für 80.000 Euro angeboten

Wer in Berlin eine Datsche sucht, erfährt vor allem eines: Die Suche nach einer Parzelle ist praktisch genauso nervenaufreibend geworden wie die nach einer bezahlbaren Wohnung. Manche wollen aus der Nachfrage großes Kapital schlagen.

Es ist nicht so, dass das neu gebaute Stadtquartier am Tacheles nicht in die Umgebung passt. Eher viel zu gut. Oder genau richtig gut. Je nachdem, ob man dem alten Kunsthaus und Partyquartier nachtrauert oder nicht. Den hohen Fensteranteil, die Stockwerke-Zahl und das Raster der zur Oranienburger Straße zeigenden Fassaden haben die Architekten wie Grüntuch Ernst und Herzog & de Meuron, die auch die neue Elbphilharmonie in Hamburg schufen, vom historischen Gebäude beibehalten. Ansonsten entstehen auf den rund 85.000 Quadratmetern Gebäude, die mit dem, was dort vorher stand, wenig zu tun haben.

Noch ist das Gelände eine Baustelle. Ein Bauzaun umschließt es, durch Lücken lässt sich die noch unfertige Ladenzeile erkennen, in der mal laut Website 48 "ausgewählte" Einzelhandel-Läden und Restaurants Platz finden sollen. Durch ein Tor fährt ein Laster mit Bauschutt hinaus.

Großteil der Wohnungen bereits verkauft

Auf der Website sind dennoch Eindrücke von dem zu bekommen, was da entstehen soll. Futuristisch anmutende Fassaden, mal wellen- mal diamantenförmig. Auch die Preise sprechen für sich. Für im Schnitt 15.000 Euro pro Quadratmeter verkauft der Eigentümer die Wohnungen, darunter gibt es Ein-Zimmer-Apartements bis hin zu 300-Quadratmeter-Lofts. Von den 280 Wohnungen, die entstehen, sind laut der Unternehmenssprecherin Cathérine Spelter 171 Eigentumswohnungen, die restlichen werden vermietet. Bislang seien knapp 70 Prozent davon bereits verkauft.

Saftig teuer, was einst unterirdisch billig vom Land abgegeben wurde. 1998 wurde das Gelände für 2,8 Millionen Mark vom Land Berlin und für 65 Millionen Mark vom Bund an die Fundus-Gruppe des Investors Anno August Jagdfeld verkauft. Der verkaufte es 2014 weiter an die Vermögensverwaltung Perella Weinberg Partners, aus denen mittlerweile Aermont Capital hervorgegangen ist.

Was von der Kunst bleibt

Zwischen 1990 und 2012 lebte das Künstlerkollektiv Tacheles in den Räumen. Einer von ihnen war Ludwig Eben. Er betreibt mittlerweile den Humboldthain-Club. Was jetzt am Tacheles entsteht, kann er nicht fassen: "Sie haben das Tacheles abgerissen und jetzt nennen sie das neue Quartier trotzdem 'Am Tacheles'". Er weiß, dass im Tacheles auch früher nicht alles rund lief. Es gab Intrigen und Irre, wie er sagt. Vor allem am Ende, als es Streit mit den Investoren um die Räumung gab.

"Auch von der Kunst war nicht alles Weltklasse, aber ab und zu hat da ein Stern ganz hell gefunkelt", erinnert Eben sich. Kunst sei ja etwas, das nur schwerlich innerhalb eines Büro-Jobs erschaffen werden könne, sondern in Werkstätten und Diskussionen, im Austausch mit anderen Künstlern und zu allen Tages und Nachtzeiten.

Kunst soll laut dem Eigentümer auch weiter eine Rolle spielen. Damit könnte das schwedische Fotomuseum "Fotografiska" gemeint sein, das die Räumlichkeiten bezieht. Unternehmenssprecherin Spelter unterstreicht aber auch: "Das neugestaltete Stadtquartier stellt durch die einzigartigen Handschriften der Architekten und Gestalter für sich ein künstlerisches Angebot dar". Ein paar kunstvolle Graffitis aus alten Zeiten bleiben offenbar auch erhalten.

Wollen viele Käufer nur ihr Geld anlegen?

Berliner Künstler können sich an dem Ort aber nicht mehr ausleben. Ohnehin scheint die neue Bewohnerschaft des Quartiers eher international. Vier Unternehmen werden Spelter zufolge die Büroräume beziehen, darunter der Streaming-Dienst Netflix sowie der US-Pharmakonzern Pfizer.

Die Website auf der die Wohnungen angepriesen werden, erklärt Berlin mit Touri-Fakten für Menschen, die Berlin bislang aus der Ferne wahrgenommen haben. Berlin als Stadt mit 53 Seen und 70 Millionen Currywürsten im Jahr, heißt es da.

Das Angebot richtet sich explizit nicht nur an jene, die einmal vorhaben, in die Wohnungen einzuziehen, sondern auch an jene, die ihr Geld anlegen wollen. "Da die Bevölkerung schneller wächst als Wohnungen zur Verfügung stehen, ist die Leerstandsquote mit 0,9 % besonders niedrig", steht auf der Website. Aktuell geht der Investor aber davon aus, dass die meisten Käufer selbst einziehen werden. 80 Prozent hätten vor, die Wohnungen selbst zu beziehen, so Spelter.

In einem rbb-Beitrag von 2019 äußerten sich Bezirksvertreter euphorisch über das neu entstehende Quartier. Derzeit möchte sich vom Bezirk Mitte - auch nach mehrmaligen Nachfragen - niemand dazu äußern, ob das neue Quartier ein Zugewinn für die Berliner ist.

Ab Juli sollen laut Unternehmenssprecherin die ersten Bewohner einziehen. Die Läden des Quartiers sind jedenfall nicht nur für sie, sondern für alle Interessierte zugänglich, so die Sprecherin. Auch hier eine Rückkehr zu der Geschichte des Geländes: 1908 wurde das Gebäude gebaut - als Einkaufs-Passage.

Beitrag von Anna Bordel

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