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Quelle: dpa/Chris Hoffmann

Interview | Autorin Katja Hoyer

"Es wird wenig darüber gesprochen, wie die DDR in die deutsche Geschichte passt"

Es ist erstaunlich, dass ein Buch, das eine neue Geschichte der DDR erzählen will, gerade in Großbritannien für viel Aufmerksamkeit sorgt. Katja Hoyer, Autorin von "Diesseits der Mauer", lebt in London und gilt dort als Deutschland- und nun auch als DDR-Erklärerin.

rbb: Frau Hoyer, was war das Motiv das Buch "Diesseits der Mauer: Eine neue Geschichte der DDR" zu schreiben?

Katja Hoyer: Eine Ideengeschichte der DDR zu schreiben, geht mir schon eine ganze Weile durch den Kopf. Sehr oft beschäftigt man sich mit Einzelaspekten der DDR, mit so zentralen Momenten wie 1953 oder 1989 oder mit der Stasi oder mit der Mauer. Aber es wird relativ wenig darüber gesprochen, wie die DDR insgesamt in die deutsche Geschichte passt. Die Frage, wie sie dort einzuordnen ist, lag mir persönlich am Herzen, weil ich ja selber in dieser Umbruchszeit im Osten aufgewachsen und dann später Historikerin geworden bin.

Sie schreiben in Ihrem Vorwort, dass die Geschichte der DDR vor allem vom Westen geschrieben wurde, woran machen Sie das fest?

Daran, dass man die DDR gerne so als Gegenfolie zum Westen positioniert hat. Es wird oft darüber gesprochen, wie die Gesellschaft im Westen, sagen wir mal zum Beispiel in den 70er-Jahren war, und dann wird der Osten irgendwie drangehängt, oder die DDR wird als Gegenfolie benutzt - gegen die Freiheit, die es im Westen gab, gab es die Diktatur im Osten. In diesen Darstellungen fehlen mir die Erfahrungen, die die breite Masse der Bevölkerung gemacht hat, die sich irgendwo zwischen den beiden Polen des Mitläufertums und der Opposition befand und ihr Leben gelebt hat.

Zur Person

Katja Hoyer

Es gibt viele Bücher über die DDR, was ist das Neue an Ihrer Geschichte?

Ich denke neu ist der Gesamtüberblick, dass ich zum Beispiel weit vorher, noch vor der Gründung der DDR anfange, um auch die Genese der DDR zu erzählen. Wo kamen beispielsweise die Leute her, die die DDR aufgebaut haben? Ich habe versucht, mich mit Menschen zu unterhalten, die aus allen Bereichen des Lebens kamen, nicht nur mit denen, die versucht haben, die DDR zu verlassen oder, die zum Opfer der Diktatur geworden sind.

Sie haben einen ostdeutschen Hintergrund, sind 1985 in Guben geboren, haben aber keine bewusste Erinnerung an die DDR. Schreibt sich Geschichte besser mit Abstand?

Ich hoffe, dass mir mein eigener Abstand hilft, weil ich den Kalten Krieg und die ganzen Feindbilder, die damit entstanden und auch bewusst aufgebaut worden sind, nicht erlebt habe. Meine Generation schaut eher mit einem akademischen und distanzierteren Blick auf die DDR, würde ich sagen. Aber auf der anderen Seite hilft mir der ostdeutsche Hintergrund auch, weil ich Sachen, die nachgewirkt haben, bis in die 90er und frühen 2000er hinein, mitbekommen habe.

Wie war Ihr Weg zur Historikerin? Und aus was für einer Familie kommen Sie?

Ich bin in der Wilhelm-Pieck-Stadt Guben geboren. Dort gab es eine NVA-Militärsiedlung. Kurz nach meiner Geburt, hat meine Mutter weiter in Dresden studiert. Da war ich dabei. Sie ist Lehrerin. Und dann ist meine Familie nach Strausberg gegangen, weil mein Vater als Offizier in der in der Nationalen Volksarmee dorthin versetzt worden ist.

Es gibt einen Satz in Ihrem Buch, der mich beschäftigt hat, es gab Unterdrückung und Brutalität, aber auch Chancen und Zugehörigkeit, kann man das so einfach addieren?

Ich habe ein Problem damit, dass man immer versucht, diese verschiedenen Perspektiven auf die DDR gegeneinander auszubalancieren. Also immer zu sagen, man kann keine schöne Zeit in der Schule gehabt haben, weil auf der anderen Seite Leute an der Mauer erschossen worden sind. Diese Geschichten gibt es beide. Das sind Kontraste, die wir aushalten müssen, die man nicht versuchen kann, auf einen Kompromiss oder auf eine Geschichte der DDR herunterzubrechen. Sondern es gibt eben Millionen von Geschichten und Lebensgeschichten innerhalb der DDR, die alle existiert haben.

Stecken wir in Deutschland noch zu sehr in den Schützengräben fest, wenn wir immer von Diktatur und Zwang sprechen?

Zum Teil ja. Ich denke, dass man die DDR oft mit der heutigen Gesellschaft vergleicht und die westdeutsche Gesellschaft und den Staat als Kontinuität versteht. Im Westen Deutschlands gibt es aber diesen Bruch 1990 nicht so sehr wie im Osten.

Ist Diktatur ein tauglicher Begriff zum Beschreiben der DDR?

Er ist zur Beschreibung des Systems absolut richtig, da führt kein Weg dran vorbei, und ich will da auch nicht daran vorbei. Aber den ganzen Staat, das ganze Land immer wieder darauf zu verkürzen, finde ich zu einfach. Nicht nur im privaten Bereich, sondern auch innerhalb der Betriebe, der Schulen und so weiter haben sich Mikrokosmen entwickelt, in denen die Leute ein Mitspracherecht und auch das Gefühl hatten, sie haben Kontrolle zum Beispiel darüber, wie das Arbeitsklima innerhalb des Betriebs oder der Fabrik war.

Wir sitzen hier über den Dächern von London, staunen Sie da manchmal über das Interesse hier an Ihrem Buch?

Zum einen Teil ja, aber zum anderen bin ich immer wieder erstaunt, wie viele Historiker über die DDR in Großbritannien forschen. Und die sagen, sie finden, dass das hier unpolitischer und zum Teil auch befreiter möglich ist, weil dieser Kontext nicht da ist, sondern weil man sich mit etwas beschäftigt, was relativ abstrakt und weit weg ist, wenn man in London sitzt. Wenn man in der englischen Sprache redet, dann ist das alles auch nicht so mit Meinungen und Deutungsmustern besetzt, wie das in Deutschland der Fall ist, wo man sich seit 30 Jahren darüber unterhält.

Sind Sie jetzt durch mit der DDR?

Ich glaube, wir sind noch lange nicht durch, mit der DDR und ich persönlich auch nicht. Da besteht noch sehr, sehr viel Redebedarf. Ich würde nie das Buch, das ich jetzt geschrieben habe, als definitiv das letzte, was zur DDR gesagt worden ist ansehen, sondern ich hoffe, es stößt öffentlich den Dialog an, über die DDR anders zu reden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Tim Evers für "titel, thesen, temperamente".

Sendung: titel, thesen, temperamente (rbb), Das Erste, 07.05.23, 23:05 Uhr

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