Interview | Autorin Katja Hoyer - "Es wird wenig darüber gesprochen, wie die DDR in die deutsche Geschichte passt"

So 07.05.23 | 09:07 Uhr
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Archivbild: Die beiden Hostessen Solveig (sitzend, l) und Renate (sitzend, r) helfen am 23.07.1982 am Alexanderplatz in Ostberlin den zahlreichen Touristen mit allen Fragen die diese bei ihrem Besuch in die DDR-Hauptstadt haben. (Quelle: dpa/Chris Hoffmann
Bild: dpa/Chris Hoffmann

Es ist erstaunlich, dass ein Buch, das eine neue Geschichte der DDR erzählen will, gerade in Großbritannien für viel Aufmerksamkeit sorgt. Katja Hoyer, Autorin von "Diesseits der Mauer", lebt in London und gilt dort als Deutschland- und nun auch als DDR-Erklärerin.

rbb: Frau Hoyer, was war das Motiv das Buch "Diesseits der Mauer: Eine neue Geschichte der DDR" zu schreiben?

Katja Hoyer: Eine Ideengeschichte der DDR zu schreiben, geht mir schon eine ganze Weile durch den Kopf. Sehr oft beschäftigt man sich mit Einzelaspekten der DDR, mit so zentralen Momenten wie 1953 oder 1989 oder mit der Stasi oder mit der Mauer. Aber es wird relativ wenig darüber gesprochen, wie die DDR insgesamt in die deutsche Geschichte passt. Die Frage, wie sie dort einzuordnen ist, lag mir persönlich am Herzen, weil ich ja selber in dieser Umbruchszeit im Osten aufgewachsen und dann später Historikerin geworden bin.

Sie schreiben in Ihrem Vorwort, dass die Geschichte der DDR vor allem vom Westen geschrieben wurde, woran machen Sie das fest?

Daran, dass man die DDR gerne so als Gegenfolie zum Westen positioniert hat. Es wird oft darüber gesprochen, wie die Gesellschaft im Westen, sagen wir mal zum Beispiel in den 70er-Jahren war, und dann wird der Osten irgendwie drangehängt, oder die DDR wird als Gegenfolie benutzt - gegen die Freiheit, die es im Westen gab, gab es die Diktatur im Osten. In diesen Darstellungen fehlen mir die Erfahrungen, die die breite Masse der Bevölkerung gemacht hat, die sich irgendwo zwischen den beiden Polen des Mitläufertums und der Opposition befand und ihr Leben gelebt hat.

Zur Person

Autorin des Buchs "Diesseits der Mauer: Eine neue Geschichte der DDR" Katja Hoyer bei einem Interview in London. (Quelle: rbb)
rbb

Autorin von "Diesseits der Mauer" - Katja Hoyer

Hoyer wurde 1985 in Guben geboren, als Tochter einer Lehrerin und eines NVA-Offiziers. Nach ihrem Geschichtsstudium in Jena zog sie nach England. Neben ihrer Forschungsarbeit am King's College London und als Fellow der Royal Historian Society arbeitet Hoyer als freie Autorin für Medien wie die BBC und den Telegraph. Ihr aktuelles Sachbuch "Diesseits der Mauer - Eine neue Geschichte der DDR" ist bei Hoffmann und Campe erschienen.

Es gibt viele Bücher über die DDR, was ist das Neue an Ihrer Geschichte?

Ich denke neu ist der Gesamtüberblick, dass ich zum Beispiel weit vorher, noch vor der Gründung der DDR anfange, um auch die Genese der DDR zu erzählen. Wo kamen beispielsweise die Leute her, die die DDR aufgebaut haben? Ich habe versucht, mich mit Menschen zu unterhalten, die aus allen Bereichen des Lebens kamen, nicht nur mit denen, die versucht haben, die DDR zu verlassen oder, die zum Opfer der Diktatur geworden sind.

Sie haben einen ostdeutschen Hintergrund, sind 1985 in Guben geboren, haben aber keine bewusste Erinnerung an die DDR. Schreibt sich Geschichte besser mit Abstand?

Ich hoffe, dass mir mein eigener Abstand hilft, weil ich den Kalten Krieg und die ganzen Feindbilder, die damit entstanden und auch bewusst aufgebaut worden sind, nicht erlebt habe. Meine Generation schaut eher mit einem akademischen und distanzierteren Blick auf die DDR, würde ich sagen. Aber auf der anderen Seite hilft mir der ostdeutsche Hintergrund auch, weil ich Sachen, die nachgewirkt haben, bis in die 90er und frühen 2000er hinein, mitbekommen habe.

Wie war Ihr Weg zur Historikerin? Und aus was für einer Familie kommen Sie?

Ich bin in der Wilhelm-Pieck-Stadt Guben geboren. Dort gab es eine NVA-Militärsiedlung. Kurz nach meiner Geburt, hat meine Mutter weiter in Dresden studiert. Da war ich dabei. Sie ist Lehrerin. Und dann ist meine Familie nach Strausberg gegangen, weil mein Vater als Offizier in der in der Nationalen Volksarmee dorthin versetzt worden ist.

Es gibt einen Satz in Ihrem Buch, der mich beschäftigt hat, es gab Unterdrückung und Brutalität, aber auch Chancen und Zugehörigkeit, kann man das so einfach addieren?

Ich habe ein Problem damit, dass man immer versucht, diese verschiedenen Perspektiven auf die DDR gegeneinander auszubalancieren. Also immer zu sagen, man kann keine schöne Zeit in der Schule gehabt haben, weil auf der anderen Seite Leute an der Mauer erschossen worden sind. Diese Geschichten gibt es beide. Das sind Kontraste, die wir aushalten müssen, die man nicht versuchen kann, auf einen Kompromiss oder auf eine Geschichte der DDR herunterzubrechen. Sondern es gibt eben Millionen von Geschichten und Lebensgeschichten innerhalb der DDR, die alle existiert haben.

Ich habe ein Problem damit, dass man immer versucht, diese verschiedenen Perspektiven auf die DDR gegeneinander auszubalancieren.

Kathrin Hoyer

Stecken wir in Deutschland noch zu sehr in den Schützengräben fest, wenn wir immer von Diktatur und Zwang sprechen?

Zum Teil ja. Ich denke, dass man die DDR oft mit der heutigen Gesellschaft vergleicht und die westdeutsche Gesellschaft und den Staat als Kontinuität versteht. Im Westen Deutschlands gibt es aber diesen Bruch 1990 nicht so sehr wie im Osten.

Ist Diktatur ein tauglicher Begriff zum Beschreiben der DDR?

Er ist zur Beschreibung des Systems absolut richtig, da führt kein Weg dran vorbei, und ich will da auch nicht daran vorbei. Aber den ganzen Staat, das ganze Land immer wieder darauf zu verkürzen, finde ich zu einfach. Nicht nur im privaten Bereich, sondern auch innerhalb der Betriebe, der Schulen und so weiter haben sich Mikrokosmen entwickelt, in denen die Leute ein Mitspracherecht und auch das Gefühl hatten, sie haben Kontrolle zum Beispiel darüber, wie das Arbeitsklima innerhalb des Betriebs oder der Fabrik war.

Wir sitzen hier über den Dächern von London, staunen Sie da manchmal über das Interesse hier an Ihrem Buch?

Zum einen Teil ja, aber zum anderen bin ich immer wieder erstaunt, wie viele Historiker über die DDR in Großbritannien forschen. Und die sagen, sie finden, dass das hier unpolitischer und zum Teil auch befreiter möglich ist, weil dieser Kontext nicht da ist, sondern weil man sich mit etwas beschäftigt, was relativ abstrakt und weit weg ist, wenn man in London sitzt. Wenn man in der englischen Sprache redet, dann ist das alles auch nicht so mit Meinungen und Deutungsmustern besetzt, wie das in Deutschland der Fall ist, wo man sich seit 30 Jahren darüber unterhält.

Sind Sie jetzt durch mit der DDR?

Ich glaube, wir sind noch lange nicht durch, mit der DDR und ich persönlich auch nicht. Da besteht noch sehr, sehr viel Redebedarf. Ich würde nie das Buch, das ich jetzt geschrieben habe, als definitiv das letzte, was zur DDR gesagt worden ist ansehen, sondern ich hoffe, es stößt öffentlich den Dialog an, über die DDR anders zu reden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Tim Evers für "titel, thesen, temperamente".

Sendung: titel, thesen, temperamente (rbb), Das Erste, 07.05.23, 23:05 Uhr

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72 Kommentare

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  1. 72.

    Habe nie etwas anderes behauptet! ... über die "Unzulänglichkeiten" der DDR

  2. 71.

    Ich war 1990 auf Besuch in Duisburg. Sind dann mit meiner Tante durch die Slums dieser Stadt geführt worden, ich sah zum erstenmal bettelnde Obdachlose, zerfallene Häuser mit Fenstern aus den Leute herrausschauten deren Probleme du nicht haben möchtest.
    Dort vegetierten die Ärmsten der Armen...solche Erinnerungen bekommst du nicht aus dem Kopf.
    Und dann kamen die Entwickler aus dem Westen und wollten uns was erzählen....Filme wie "Sonnenallee, Goodbye
    Lenin" reinstes Propagandamaterial..



  3. 70.

    Habe nie etwas anderes behauptet!

    Und noch vielen Dank für die ganzen Pakete ... wie viele konnten Sie denn so steuerlich absetzen?

  4. 69.

    Und das reicht eben nicht, denn sie haben nicht in Ostdeutschland gelebt.
    Das ist ein riesen Unterschied und leider auch ein deutscher Umgang mit anderen Ländern.

  5. 68.

    Ich mußte sehr oft dienstlich nach Ost Berlin ,Dresden, Leipzig. Görlitz. Ich habe viele Leute kennengelernt und hatten auch Verwandtschaft, erzählen sie mir bitte nicht ich würde von der DDR nichts wissen. Es war einfach grau in grau, hat überall gestunken und überall Mangel Wirtschaft, Häuser im desolaten Zustand, Industrie ganz zu weigen. Und ich weiß noch wieviele Ost Pakete wir geschickt haben! Die Leute vergessen sehr schnell. Die DDR war kein Schlaraffenland auf keinen Fall. Punkt


  6. 67.

    "... das sich die sog. gelernten DDR-Bürger alleine ein Urteil zubilligen. ..."
    Na, wer denn sonst?
    In dem Buch geht es doch wohl um "Millionen von Geschichten und Lebensgeschichten innerhalb der DDR"?
    Und was heißt "sog. gelernten"?

    Ich würde mir auch nicht anmaßen über Ihr "Leben" vor 50 Jahren zu urteilen, weil ich es nur aus Erzählungen bzw. Fernsehen kenne!

  7. 66.

    Was allerdings auch nicht geht ist, das sich die sog. gelernten DDR-Bürger alleine ein Urteil zubilligen.
    Wir West-Berliner haben über Jahrzehnte viel zu viel Kontakt, notgedrungen, mit den "Organen" der DDR gehabt, haben unsere Erfahrungen und die sind eben auch Teil der Wirklichkeit.

  8. 65.

    Es ist ja ein Problem,daß Westberliner und Bundesbürger noch immer besser über die DDR bescheid zu wissen meinen,als die die dort gelebt haben.Ofenheizung und Clo im Treppenhaus gab es auch im Westen,verkommen Häuser ebenso.Und es gab auch Leute,die sich mit der DDR identifizierten,sonst hätte es keine NVA oder Polizisten gegeben.Und nachträglich betrachtet wäre es gar nicht so schlecht gewesen einige Erungenschaften außer den Kadern der CDU (Ost) zu übernehmen statt alles abzuqualifizieren.

  9. 64.

    "Eine Frau die mit solchen Eltern im Hintergrund, aufgewachsen ist, was soll da rauskommen, eigene Erfahrung, Fehlanzeige...."
    Ist schon ganz schön anmaßend!
    Wer sind Sie denn sich ein solches Urteil zu erlauben?

  10. 63.

    Sorry, wenn ich Ihnen jetzt zu Nahe trete ,,,
    aber Sie wollen ernsthaft - als Westberliner - über das Leben in der DDR berichten?
    Mit "Transit Autobahn, Grenzkontrollen, Schikanen, bis zu 6 Std Wartezeit, 13.August 1961 Mauerbau, sehr schlechte Luft"?
    Passt ja - wie die Faust aufs Auge - zum Thema des Buches ;-(

  11. 62.

    Wenn sie irgendetwas substantielles zu der Geschichte Ostdeutschlands wissen wollen, müssen sie auch und insbesondere mit denen reden, die das System repräsentiert haben.

  12. 61.

    Und wieder falsch, weil die Tochter die Vorwendezeit überhaupt nicht bewusst erlebt hat und wie wir lesen können in GB lebt. Sie hat das System in seinen Auswüchsen überhaupt nicht selbst erlebt, ist aber aufgrund ihrer Herkunft auch nicht voreingenommen. Offenbar wird das Buch ja mit Interesse gelesen.
    Es gibt viele Menschen die dem System gedient haben und wertvolle Zeitzeugen sind. Genauso arbeiten Historiker man recherchiert genau bei denen.

  13. 60.

    Eine Frau die mit solchen Eltern im Hintergrund, aufgewachsen ist, was soll da rauskommen, eigene Erfahrung, Fehlanzeige.
    "Lehrer und NVA" System Treue DDR Bürger. Ich 1949 geborener West Berliner könnte sehr viel berichten, leider nichts gutes! 500 Zeichen reichen nicht! Transit Autobahn, Grenzkontrollen, Schikanen, bis zu 6 Std Wartezeit, 13.August 1961 Mauerbau, sehr schlechte Luft (Braunkohle Kraftwerke Ofenheizung, und und. Der Vorteil mit 74Jahre alles erlebt auch den Mauerfall ...



  14. 59.

    Es besteht wohl kein Zweifel, dass die Selbstschussanlagen menschenverachtende Installationen waren.
    An der Grenze zu West-Berlin wurden aber keine montiert.

  15. 58.

    Das ist schön so! Glücklicherweise dreht sich die Welt weiter. Noch immer blitzen aber solche Resentiments in den Tabloids wie Sun & Co. auf, die das natürlich auch aus kommerziellen Gründen ausschlachten. In meiner Jugend (vor +- 45 Jahren...) war der Umgang zwischen Briten und Deutschen teilweise noch etwas sensibler, obwohl ich schon damals auf dem Schüleraustausch fast nur positive Erfahrungen gemacht habe.

  16. 57.

    "Viele Briten denken doch ohnehin, dass die Deutschen einen Anhang zu autoritären Regimen haben." Kann ich so nicht aus längerem Aufenthalt in England bestätigen. Viele Engländer - eigetnlich alle, mir denen ich im Alltag zu tun hatte - kommen mit der Geschichte Deutschlands und auch dem Reich recht gut klar und können dafür überhaupt nicht mit unserem Dauerschuldkomplex anfangen, für die ist das abgeschlossen.

  17. 56.

    Um sachlich über ein Thema berichten zu können braucht es Abstand. Daher finde ich sie (mit den Kenntnissen was dieser Umbruch ausgelöst hat) für durchaus qualifiziert.

  18. 55.

    Also wer hier Mauern baut sind hier die Kommentatoren der "Ossis".
    Natürlich arangiert man sich mit dem Staat in dem man lebt. Daran ist nichts ehrenrueriges. Meinem Vater hat das allerdings eine unangenehme Begegnung mit Hilde Benjamin beschert...
    Einen besseren politischen Durchblick ob seiner Sozialisation kann ich definitiv nicht feststellen. Die Mehrheit wollte Konsum sonst hätten sie sich doch mit den Montagsdemonstranten, Umweltaktivisten etc. zusammen geschlossen um eine andere bessere DDR zu schaffen. Dazu hätte dann auch gehört die marode Industrie fit zu machen. Arbeitskräfte waren für die BRD übrigens vorher billiger weil man denen keine Sozialhilfe bezahlen müsste.
    Arm sein war in der DDR sicher leichter als in der BRD, aber nur wenn man seine Lebensqualität per Konsum definiert.
    Gestiegene Lebenserwartung, kein Kohleofen... Ist das Leben nicht leichter geworden?

  19. 54.

    Na ja, Schlager der Woche, Montags und Freitags im Rias war Pflicht in unserem Jugendclub.

  20. 53.

    Sorry, aber dann schreiben sie es auch so, dann gibts keine Missverständnisse.

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