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Quelle: rbb

Barrierefreiheit am BER

Ausharren, bis Hilfe kommt, kann für Rollstuhlfahrerin Stunden dauern

Lange Wartezeiten, weil der Mobilitätsservice nicht kommt - das ist Krisztina T. am BER häufiger passiert. Die Rollstuhlfahrerin hat sich per Brief beschwert. Der BER verweist auf einen aufwändig organisierten Service.Von Anna Bordel

Krisztina T.* wartet. Und wartet. Auf die Toilette zu gehen, traut sie sich in dieser Zeit nicht, denn dann könnte sie den Moment verpassen, wenn jemand kommt. Das wiederum könnte sie ihren Flug kosten.

Ob sie den überhaupt bekommt an diesem Tag Mitte Oktober 2022 am Flughafen BER, wird immer enger. T. wartet in ihrem Rollstuhl mittlerweile 1,5 Stunden auf das Begleitpersonal, das ihr ans Gate helfen soll, und dann passiert das, was immer passiert, wenn sie gestresst ist: Sie nässt ein.

Wer sich fristgerecht für den Mobilitätsservice am BER anmeldet, sollte in der Regel nicht lange auf Begeleitpersonal warten müssen, heißt es auf der Flughafen-Webseite. 80 Prozent der Menschen sollten nicht länger als zehn Minuten warten müssen. Niemand länger als 30 Minuten.

So die Theorie, in der Praxis funktioniert, hat das bei Krisztina T. noch nicht. Die 34-jährige Ungarin sitzt im Rollstuhl und fliegt regelmäßig über den BER in ihre Heimat.

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Zum Studieren nach Budapest

Von jetzt an wird es sogar noch häufiger werden, denn die Software-Testerin hat im September ihr Jura-Studium in Budapest begonnen. Alle zwei Wochen wird sie künftig für einige Tage nach Ungarn fliegen.

Eine Windel trägt sie immer, wenn sie zum Flughafen fährt, und Wechselwäsche und einen neuen Sitzbezug hat sie auch dabei. Eigentlich braucht sie das nicht, aber wenn sie Stress hat, dann eben schon - und Stress hat sie am BER fast immer. Als sie an diesem Tag Mitte Oktober einnässt, weiß sie, dass sie jetzt für einige Stunden in ihrem Urin sitzen wird. Das ist auch der Moment, in dem sie weiß, dass sie etwas tun muss.

Sie schreibt einen Brief an den BER darüber, was ihr passiert ist. Dass sie noch nie kürzer als eine Stunde auf eine Begleitperson warten musste. Und das ist noch nicht alles: Bevor sie den Service-Point erreicht, muss sie andere Flughafengäste um Hilfe bitten, um mit ihrem Rollstuhl die Bordsteinkante hinaufzukommen, die zwar abgesenkt ist, wo sie mit Gepäck auf den Beinen und einem per Hand zu bedienenden Rollstuhl nicht hinauf kommt.

Landesbehindertenbeauftragte bestätigt lange Wartezeiten

Dass lange Wartezeiten an den Service-Points des Mobilitätsservice vorkommen, bestätigt auch Christine Braunert-Rümenapf, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung des Landes Berlin. Wartezeiten und Unzuverlässigkeiten seien der häufigste Beschwerdegrund, wenn es um den BER geht, so Braunert-Rümenapf.

Sie leite die Beschwerde nur dann an den BER weiter, wenn dies ausdrücklich von dem Betroffenen gewünscht sei, ansonsten sammele sie zunächst die Beschwerden und gehe die Probleme systematisch an, sagt die Landesbehindertenbeauftragte. Eine Begehung des BER, um ihn auf seine Barrierefreiheit zu prüfen, sei bereits angemeldet.

Externer Dienstleister betreibt Mobilitätsservice

Mittlerweile hat T. zwei Antwortschreiben auf ihre Beschwerde erhalten. Eine Sprecherin des Qualitäts- und Beschwerdemanagements des BER schreibt in einem: "Die Personalstärke des Mobility Services an unserem Flughafen orientiert sich prinzipiell an den von den Fluggesellschaften vorangemeldeten Personen mit eingeschränkter Mobilität und der täglich prognostizierten Gesamtpassagierzahl". Auch das tägliche Eintreffen von nichtangemeldeten Gästen fließe bereits in die Personalplanung mit ein.

Der Mobilitätsservice wird von dem externen Dienstleister AAS Aviation & Airport Services GmbH betrieben, über Personalengpässen bei dem Dienstleister sei Pressesprecher Jan-Peter Haack nichts bekannt. Auch nichts über derartig lange Wartezeiten, sagte er dem rbb im Gespräch. 500 Menschen sind ihmzufolge täglich auf den Mobilitätsservice angewiesen. 60 Mitarbeitende würden dort jeden Tag dafür sorgen, dass niemand aufgrund seiner Mobilitätseinschränkungen vom Fliegen abgehalten werde, so der Sprecher.

Der Dienstleister selbst äußerte sich auf Nachfrage des rbb nicht dazu. Auf der Webseite deutet ein Stellengesuch darauf hin, dass Personal für den Mobilitätsservice gesucht wird.

Alle Bordsteinkanten seien laut dem Antwortschreiben des BER-Beschwerdemanagements auf maximal drei Zentimeter abgesenkt worden. Eine vollständige Absenkung könne demnach nicht nicht erfolgen, da dies wiederum Schwierigkeiten für sehbehinderte Fluggäste bedeuten würde, so heißt es weiter.

Behandlung am BER mitunter entwürdigend für T.

Wenn das Personal schließlich kommt, ist es häufig unter Zeitdruck und gestresst, wie T. berichtet. Nicht selten würden die Menschen unfreundlich, wenn T. sie bitte, sich etwas zu beeilen, da es mit dem Flieger bereits knapp werden könnte.

Auch nach der Ankunft sitzt T. regelmäßig länger als eine halbe Stunde im Flieger, während alle anderen Passagiere schon längst raus sind, bis jemand kommt, der ihr aus dem Flieger hilft. Den Fahrtdienst, den sie für ihre Heimfahrt häufig organisiert, verpasst sie in diesen Fällen - und sie muss sich für mehr Geld ein Taxi nehmen. All dies schreibt T. In ihrem Brief an den BER.

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Es geht T. nicht nur darum, ihren Flieger rechtzeitig zu bekommen oder nicht noch mehr Geld für ein Taxi ausgeben zu müssen. Es ist auch etwas Emotionales dabei. Einnässen hat für sie etwas Entwürdigendes.

Am Budapester Flughafen wird sie von dem Begleitpersonal meist im Transitbereich in einem Café abgesetzt, in dem sie ihr Gepäck beaufsichtigen lassen kann, um vor dem Flug noch einmal eine Toilette aufzusuchen. "Es geht also", sagt sie.

Meist ist sie am BER die letzte, die in das Flugzeug gesetzt wird. Alle Passagiere sitzen dann schon. "Ich mag es nicht, dass man mich so sieht, dass ich mich nicht bewegen kann, dass ich beim Umsetzen vom Sitz rutsche oder meine Beine sich willkürlich bewegen. Das ist sicher nicht schön anzuschauen und ich fühle mich dabei auch nicht wohl", sagt sie.

T. ist wütend über die Situation am BER. Und frustriert davon. Sie sitzt noch nicht ihr ganzes Leben in einem Rollstuhl, erst durch einen Tumor im Rückenmark vor vier Jahren ist sie ab der Brust abwärts gelähmt. "Eigentlich bin ich mittlerweile okay damit, aber manche Tage sind härter. Wenn ich dann auch noch solche Erfahrungen am BER mache, dann ist das schwer für mich", sagt T..

BER prüft Barrierefreiheit regelmäßig

Die Erfahrungen von Krisztina T. nehme der BER sehr ernst, sagte Pressesprecher Haack. Man überprüfe regelmäßig gemeinsam mit Behindertenverbänden, ob die Infrastruktur des Flughafens den Anforderungen von Barrierefreiheit entspricht, schreibt er ihr in einem Antwortschreiben auf ihre Beschwerde und lädt sie ein, in Zukunft an einer solchen Begehung teilzunehmen. T. freut sich darüber.

Jura zu studieren war immer ihr Traum. Deshalb aber nach Budapest zu ziehen hat sie nicht vor. "In Berlin lässt es sich trotz Rollstuhl gut leben", sagt sie. Die Schwierigkeiten, denen sie am BER begegnet ist, halten sie nicht auf. Und vielleicht wird es nun ja sogar besser.

*Krisztina T. möchte ihren vollständigen Namen nicht bekannt geben, da sie Kommentaren auf ihren Social Media-Profilen vorbeugen möchte. Ihr Name ist der Redaktion bekannt.

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Beitrag von Anna Bordel

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