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Video: rbb|24 | 03.11.2022 | Material: rbb|24 / M. Röder | Quelle: rbb/ Marie Röder

Individuelle Bestattungen

Der Tod im Wandel

Ein Fotograf, der in der eigenen Kamera beerdigt wird. Eine Verstorbene, die mit Glitzer auf der Haut im Sarg liegt. Viele Menschen wünschen sich ausgefallene Beisetzungen. Die Bestattungsbranche passt sich an die zunehmende Individualisierung an. Von Marie Röder

Ein langer Holztisch mit Vintage-Stühlen, minimalistische Deko, viel Licht. Wer in der Straßmannstraße in Friedrichshain bei der Nummer 25 durch die Ladenscheibe schaut, könnte meinen, es handle sich ich um ein modernes Café oder einen Co-Working-Space. Wäre da nicht der zwei Meter lange Sarg, in gedeckten Tönen bemalt, mächtig.

"Wenn Menschen zu uns kommen, müssen sie oft erst mal innehalten, um sich hier umzusehen. Und dann kommt ganz oft: Hier sieht es gar nicht aus wie beim Bestatter", sagt Leo Ritz. Auch sie und ihr Geschäftspartner Hendrik Thiele tragen dazu bei, dass bei Junimond nichts an ein konventionelles Bestattungsunternehmen erinnert. Statt Anzug trägt er Jeanshemd und dunkelblaue Wollmütze. Sie ist leger mit Pulli und Sneaker gekleidet, ihre Hände sind mit Tattoos verziert.

Junimond gehört zu einer neuen Art Bestattungsunternehmen, die sich Individualität auf die Fahne schreiben. Sie bieten die in Deutschland gängigen Erd- und Feuerbestattungen an, erfüllen in diesem Rahmen aber auch ausgefallene Wünsche. In der Vergangenheit habe sie bereits einen Fotografen in seiner Kamera beerdigt, erzählt Ritz. Ein anderes Mal verabschiedeten sich Angehörige von einer jungen, verstorbenen Frau, indem sie pinken Glitzer auf sie streuten.

Bestatterin Leo Ritz zeigt eine Urne. | Quelle: rbb

Bestattungen für queere Menschen

Ähnlich wie Junimond wirbt auch das Berliner Unternehmen Thanatos Bestattung aus Neukölln damit, dass Angehörige bei jedem Schritt des Bestattungsprozesses dabei sein können. Dazu gehört auch das Waschen und Anziehen der Verstorbenen.

Außerdem bietet das Unternehmen queere Bestattungen an. "Bei dem Angebot geht es darum, dass sich queere Personen bei uns sicher fühlen können", sagt der Bestatter Julian Heigel im Gespräch mit rbb|24. In der Vergangenheit hätten sie zum Beispiel einen trans Mann begleitet, der sein Kind in der Schwangerschaft verloren hatte. "Bei uns war es ihm möglich zu sagen: Ich bin trans Mann und ich hatte eine Fehlgeburt." Das Team von Thanatos sei selbst queer und bringe damit die nötige Sensibilität für queere Lebensrealitäten mit, so Heigel.

Alles gar nicht so alternativ?

Dass Bestattungsunternehmen auf die Wünsche der Angehörigen eingehen, sei nichts Ungewöhnliches, sagt Elke Herrnberger vom Bundesverband Deutscher Bestatter zu rbb|24. "Das machen fast alle Bestatter, das liegt in der DNA der Branche. Auch bei unseren Bestatterinnen und Bestattern können von Angehörigen Särge und Urnen bemalt werden. Ich kenne Bestatter, die lassen zum Beispiel Stofftiere aus der Lieblingskleidung der Verstorbenen nähen." Unter dem Dach des Verbandes sind 3.200 Bestattungsunternehmen in Deutschland organisiert.

Überhaupt sei das Image, das Bestattungsunternehmen oft anhängt - dunkle, verstaubte Räume hinter vergilbten Vorhängen - gar nicht mehr zutreffend, sagt Herrnberger. "Natürlich gibt es noch vereinzelte, aber die meisten Unternehmen sind mittlerweile sehr modern aufgestellt."

Herrnberger beobachtet gegenwärtig zwei Trends in der Bestattungsbranche: erstens eine eher pragmatische Ausrichtung von Bestattungen. Gräber, die pflegefrei sind, um die sich Angehörige also nicht aktiv kümmern müssen, seien Beispiele dafür, so Herrnberger. "Der zweite Trend geht zu hochindividuellen Bestattungen. Oftmals auch schon in Form einer Bestattungsvorsorge. Dabei plant eine Person ihre eigene Beerdigung bis ins Detail vor." Dazu zählten Entscheidungen über die Beisetzung, das Essen, Getränke, die Musik und die Kleidung der Trauergäste, so Herrnberger.

Probleme im Bezirk Marzahn-Hellersdorf

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Veränderung von außen und innen

Simon Walter von der Stiftung Deutscher Bestattungskultur bestätigt den Eindruck der Individualisierung: "Es geht dabei um Selbstbestimmung. Wenn wir heute ein Leben in Selbstbestimmung führen, dann wollen wir auch selbstbestimmt sterben."

Es sind jedoch nicht nur die Ansprüche von außen, die den Wandel vorantreiben. Die Branche verändert sich auch von innen. "Es sind immer mehr Frauen, die in der Branche arbeiten, in der Ausbildung sind mehr als 50 Prozent weiblich. Das führt letztlich auch zu einem Wandel, wenn diese Frauen dann in bestehenden Unternehmen Kompetenzen erlangen oder ihre eigenen Unternehmen gründen", sagt Walter.

Hinzu kommen Unternehmen, die von Quereinsteiger:innen gegründet werden. Thanatos Bestattung und Junimond sind Beispiele dafür. Obwohl man sich seit 2003 zur Bestattungsfachkraft ausbilden lassen kann - eine Ausbildung ist keine Pflicht, um in der Branche zu arbeiten. Alles, was man braucht, ist ein Gewerbeschein. Der Bundesverband Deutscher Bestatter sieht das sehr kritisch. "Es ist ein immanent wichtiger Beruf, für den man gut geschult sein muss. Im Ernstfall schadet man den Trauernden und auch sich selbst, denn es sind auch psychisch belastende Situationen, mit denen man lernen muss, umzugehen“, so Herrnberger.

"Ich habe von meiner Biografie her eh schon große Verbindungen zum Tod"

Leo Ritz von Junimond verweist bei dem Thema darauf, dass sie bereits in drei verschiedenen Unternehmen gearbeitet, sich durch Praktika weitergebildet habe. "Ich habe einfach durch die letzten zehn Jahre viel Berufserfahrung. Und ich kriege ja oft zu hören, dass wir unseren Job ganz gut machen." Sie finde es aber gerechtfertigt, dass es auch die klassische Ausbildung gibt. "Für mich brauche ich es nicht. Ich merke, dass ich ein bisschen anders arbeite", so Ritz.

Ihr Kollege Hendrik Thiele arbeitete bis vor einigen Jahren noch in Kreativagenturen. Als er und Leo Ritz im Jahr 2021 mit der Arbeit für Junimond begannen, tat er sich mit dem Papierkram und der Kommunikation mit den Verwaltungen noch schwer, so Thiele. Dafür lag ihm die direkte Arbeit mit Trauernden von Anfang an. "Ich habe von meiner Biografie her eh schon große Verbindungen zum Tod, Abschied, Sterben. Ich habe meinen Vater durch Suizid verloren, vor ungefähr 20 Jahren."

Sein Vater wurde damals mit der Hilfe eines traditionellen Bestattungsunternehmens beigesetzt. "Die waren nett und alles, aber es war halt schon eine Dienstleistung und ich habe mich da gar nicht betreut gefühlt", sagt Thiele. Diese Erfahrung sei für ihn auch heute noch eine Motivation, Trauernde anders zu begleiten.

Eine Urne im Fenster des Bestattungsunternehmens Junimond | Quelle: rbb

Grenzen der Gesetze

Auch wenn Unternehmen wie Junimond und Thanatos auch außergewöhnlichen Ideen gegenüber offen sind, alles können sie nicht umsetzen. "Wir werden immer wieder damit konfrontiert, dass Leute zum Beispiel die Urne mit nach Hause nehmen wollen", sagt Julian Heigel von Thanatos.

Bestattungsrecht ist in Deutschland Ländersache. Viele Länder ähneln sich jedoch in der Gesetzgebung. So müssen Verstorbene in der Regel auf einem Friedhof beigesetzt werden, egal ob im Sarg oder in der Urne. Seit kurzem ist auch eine Kompostierung des Leichnams möglich. Es gibt jedoch auch Alternativen, wie die See- oder Waldbestattung. Aus der Reihe fällt das Bundesland Bremen. Hier kann die Asche einer verstorbenen Person unter bestimmten Bedingungen auch auf Privatgrundstücken verstreut werden.

Interview | Berliner Friedhofsverwalter

"Man muss neue Formen der Beisetzung finden"

Klassische Sargbestattungen werden immer seltener, große Friedhöfe leeren sich, der Friedhofszwang in Berlin besteht aber weiterhin. Friedhöfe müssen sich neu erfinden, um den Bedürfnissen ihrer Kund:innen weiter gerecht zu werden, sagt Thomas Höhne.

Heigel ist dafür, dass es in Zukunft auch andere Bestattungsformen - zum Beispiel die Resomation, wobei der Körper von einer Lauge zersetzt wird - erlaubt sein sollten. "Ich wüsste nicht, was dagegen spricht, vor allem, wenn es umweltfreundlichere Alternativen sind."

Im Moment hake es jedoch sogar an vergleichsweise simplen Wünschen, die Trauernden nicht erfüllt werden können, erzählt Heigel. "Manchmal geht es dabei nur darum, die Urne selbst ins Grab zu senken oder nach der Beerdigung ein Picknick auf dem Friedhof zu machen." Er verstehe, dass es Standards gebe. Aber oftmals wünschten sich die Trauernden vor allem eins: mehr Zeit.

Beitrag von Marie Röder

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