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Quelle: imago images/A. Amreava

Interview | Inhalte von Smartphone-Videos

"Gewaltszenen sind für manche Kinder erschreckende Normalität"

Gewalt- und Pornografie-Videos kursieren im Netz. Auch Kinder unter 14 Jahren schauen und verbreiten sie. Inzwischen sind 41 Prozent der Tatverdächtigen in diesem Alter. Eine Expertin erklärt, was das mit den Betroffenen macht.

rbb|24: Frau Römer, laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) sind 41 Prozent der Tatverdächtigen, die pornografische Schriften weiterleiten, minderjährig. Wie häufig passiert es, dass Kinder anderen Kindern Gewaltszenen auf Social-Media-Kanälen weiterleiten?

Lea Römer: Leider wissen wir aus unserer Zusammenarbeit mit Schulen und aus unserer eigenen Erfahrung heraus, dass das Versenden von Gewaltszenen in sozialen Netzwerken oder über Messenger wie WhatsApp neben Cybermobbing eines der größten Probleme unter Kindern und Jugendlichen ist. In unserer Online-Beratung bekommen wir immer wieder Fragen zu dem Thema. Gewaltszenen sind für manche Kinder schon erschreckende Normalität, weil sie im Netz immer wieder auf Inhalte stoßen, die für sie noch gar nicht geeignet sind. Das ist leider Gang und Gebe.

Zur Person

Lea Römer

Welche unterschiedlichen Arten von Gewalt spielen dabei eine Rolle?

Das Spektrum reicht von verbaler Gewalt, also wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen, zu physischer Gewalt, also Pöbeleien und Schlägereien. Sogar Folter- und Tötungsszenen kursieren im Netz. Das wird sehr extrem. Es finden sich auch viele Szenen, in denen sexuelle Gewalt eine Rolle spielt: Belästigung, Vergewaltigung, Kindesmissbrauch oder extreme sexuelle Praktiken sind Gegenstand der Videos. Es gibt auch viele Videos, in denen Tiere misshandelt werden.

Gibt es einen Bereich, der bei Kindern bis 14 Jahren eine besonders große Rolle spielt?

Der Bereich der Pornografie ist am dominantesten. Das wird am häufigsten geteilt. Kinder und auch viele Jugendliche haben ja noch keine Erfahrung mit Sexualität und wissen nicht: Was ist da normal, was nicht? Es gibt in dieser Hinsicht auch einfach eine gewisse Neugierde, die solche Videos bedienen.

Laut PKS sind immer mehr Tatverdächtige Kinder unter 14 Jahren, 2022 waren es 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Führt dieser Umgang mit Gewalt auf Social Media dazu, dass Kinder selbst im Alltag gewalttätig werden?

Solche Videos können für Kinder absolut verstörend wirken, weil sie aus dem Nichts mit diesen Darstellungen konfrontiert werden. Diese brutalen Bilder können auch traumatisieren. Wenn sich die Kinder abends ins Bett legen, kommen die Erinnerungen daran vielleicht nochmal wieder. Solche Eindrücke können Kinder wirklich verfolgen. Sie können durch diese Eindrücke ein ganz falsches Bild von Normalität oder von Sexualität bekommen. Kinder sind ja in ihrer Persönlichkeit noch gar nicht gefestigt.

Das Schwierige an diesen Videos ist, dass sie unvorbereitet kommen und dann einfach unbesprochen wieder gehen. Das heißt Kinder können gar nicht richtig einordnen, was sie da grade gesehen haben. Vor allem, wenn Eltern oder Lehrer nicht mitbekommen, dass diese Gewaltdarstellungen kursieren. Im schlimmsten Fall kann sich dadurch bei manchen Kindern eine gewisse Abgestumpftheit entwickeln. Die eigene Hemmschwelle kann dadurch sinken.

Wie helfen Sie den Kindern und ab wann drohen strafrechtliche Konsequenzen?

Unsere jungen Berater sagen erstmal: Gut, dass du dich meldest und dir Hilfe suchst. Das, was du da siehst, ist nicht richtig. Dann raten sie, dass das Kind sich selbst schützen und diese Videos nicht ansehen und vor allem auch nicht weiterleiten oder teilen sollte, damit diese Kette beendet wird. Außerdem ist es zu empfehlen, den Versender - meist kennen die Kinder sich ja - auch drauf aufmerksam zu machen, dass es nicht cool ist, dieses Video zu teilen, weil das, was da gezeigt wird, schlichtweg falsch ist.

Und in vielen Fällen sogar strafbar. Man kann das Video melden, den Versender zur Not blockieren, aber auch die Polizei informieren. Denn es ist immer wieder wichtig zu betonen: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Das heißt, auch hier sind Gewalt und Missbrauch sowie das Verbreiten dieser Taten strafbar.

Sollten Eltern zur Polizei gehen, wenn sie mitbekommen haben, dass ihr Kind eine Gewaltszene zugespielt bekommen hat oder selbst eine weitergeleitet hat?

Es kommt natürlich auf den individuellen Fall an. Aus unserer Sicht gilt, gerade wenn man unsicher ist: Lieber einmal mehr hinschauen und die Polizei informieren als einmal zu wenig. Da die Verbreitung von Gewaltvideos strafbar ist, sollten diese Videos grundsätzlich auf der entsprechenden Plattform gemeldet und bei der Polizei angezeigt werden. Insbesondere dann, wenn das Opfer womöglich weiterhin akut gefährdet ist. Abgesehen davon sollten Eltern mit ihren Kindern unbedingt ins Gespräch kommen und erklären, warum es nicht richtig ist, dass solche Gewaltdarstellungen im Netz kursieren.

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Was können Eltern oder auch Lehrer tun, um Kinder zu schützen oder auch dafür zu sorgen, dass sie keine Gewaltszenen auf Social Media weiterleiten?

Sobald Kinder ihr erstes Smartphone bekommen – und das ist mittlerweile ja häufig schon im Grundschulalter der Fall - sind Eltern in der Verantwortung, ihr Kind darüber aufzuklären, dass da neben netten Nachrichten von Familienmitgliedern und Freunden eben auch ungeeignete und gefährdende Inhalte auf sie zukommen könnten. Lehrer sollten Internetsicherheit zum Unterrichtsthema machen. Die Mediennutzung muss am Anfang begleitet werden. Dafür müssen sich Eltern und Lehrer natürlich auch selbst über aktuelle Gefahren im Netz und sinnvolle Sicherheitseinstellungen informieren. Viele Eltern und Lehrer sind fit, was das angeht. Aber es gibt eben auch viele, die das nicht sind.

Eltern sollten darüber hinaus schauen, welche Apps für ihr Kind und das Alter geeignet sind und welche nicht. Wichtig finde ich aber auch zu sagen: Eltern sollten nicht alles durchstöbern, was ihr Kind auf dem Handy macht. Auch hier gibt es eine gewisse Privatsphäre, die gewahrt werden sollte. Wenn ich als Elternteil immer kontrolliere, was mein Kind ihrer Freundin geschrieben hat, ist das eine Übergriffigkeit, die kontraproduktiv ist und das Vertrauen verletzen kann. Da nicht zu sehr einzugreifen und trotzdem aufzupassen ist ein Balanceakt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Anna Bordel, rbb|24.

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