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Quelle: dpa/Britta Pedersen

Der Absacker

Das beste Konzert ist das, wo man gern gewesen wäre

Wieder ein Wochenende ohne Fußball, ohne Theater, ohne Konzerte. Das fällt uns allen gerade nicht leicht. Aber der Konjunktiv könnte uns ein wenig helfen – wenn Haluka Maier-Borst heute doch seine Kreativität finden würde.

An meiner Pinnwand zu Hause hängen zwei Konzertkarten für den 1. April und sie wirken wie ein schlechter Scherz. Es sind nur ein paar Wochen, die wir im Ausnahmezustand leben. Aber es wirkt manchmal, als wären es Ewigkeiten. Dass man mal geglaubt hat, so einfach Monate im voraus Pläne machen zu können und sich auf ein Konzert zu freuen. Rückblickend wirkt das geradezu töricht. Aber: ich versuche aus der Not eine Tugend zu machen und heute ein wenig mit dem Konjunktiv zu zaubern.

1. Was vom Tag bleibt

Die Zeit von Corona könnte in die Geschichte eingehen als jene Zeit, in der der Konjunktiv wieder mehr Bedeutung bekommen hätte.

Zum einen, weil es aktuell schlicht von Vorteil sein könnte, Unsicherheiten klar zu benennen. Sei es nun die Zahl der Infizierten, die Wirkung der Maßnahmen oder auch die Dauer, die sie anhalten müssen: Könnte ja sein, dass es eben braucht, bis wir Gewissheit haben. Und wir vielleicht lernen sollten, damit besser umzugehen.

Zum anderen sollte der Konjunktiv nun auch eine ganz neue Form des Erlebens etablieren. Das "Was wäre, wenn"-Event. Kollege Fabian Wallmeier dürfte da ein stilprägendes Stück geschrieben haben. Er hat in seiner Theaterkritik sich vorgestellt, wie die abgesagte Premiere von Frank Castorfs "Fabian" wohl verlaufen wäre. Es lohnt sich, das zu lesen.

Und wie das mit im Sport gehen könnte, hat man bereits vor zwei Wochen gesehen. Sei es dass manche Nachrichtenseiten automatisierte Vorberichte zu Spielen [uebermedien.de] lieferten, die nie stattfinden würden. Oder dass wir hier im Anschluss darüber schrieben, wie das Derby zwischen Herha und Union ausging. Pardon. Wie es vielleicht ausgegangen wäre. Fernsehbilder in HD oder das Raunen der Kurve im Stadion schön und gut. Aber nie könnte etwas so bunt und schön mit Schleifchen werden, wie in unserer Phantasie.

2. Abschalten.

Wo wir schon dabei wären, uns in der Phantasie einzurichten: Eigentlich würde ich diesen Text natürlich mit einem Mordsschädel schreiben, weil ich das Wochende des Jahres erlebt hätte. Gut gegessen, ein bisschen zu viel getrunken und dann noch lange gefeiert. Und dann natürlich ein ordentlicher Kater und ein etwas leerer Geldbeutel.

Zumindest letzteres Erlebnis könnten auch Sie trotz Kontaktsperre herstellen. Denn viele Geschäfte, Restaurants, Cafés und Clubs würden sich derzeit über Ihre Unterstützung freuen. Nachdem in der ersten Woche viel Spendenbereitschaft für Aktionen wie "United We Stream" und "Berlin.Helfen" da war, dürften zahlreiche Spendenprojekte gerade herumkrebsen. Und ganz egal ob Sie einen Gutschein für einen Einkauf, einen Clubbesuch oder ein Essen für zwei kaufen: Sie könnten sich dann jetzt schon ausmalen, wie es ist, wenn das Leben wieder langsam losgeht. Für mich wäre das zum Beispiel an einem Sonntag auf dem Dach des Klunkerkranichs auf den Sonnenuntergang zu warten.

Außerdem würde ich Ihnen gerne noch ans Herz legen, abseits der großen Aktionen zu schauen. Sie könnten doch mal bei Ihrem Lieblingsladen fragen, ob man helfen kann. Dann hätten Sie wie ich etwas unnötigerweise einen Vorrat an Rhabarberschnaps eingekauft, der bis zum Ende des Jahrzehnts reicht. Aber: Sie hätten aus Solidarität auch jemandem geholfen, der sich gerade über die Runden müht.

3. Und wie geht's?

So, ab hier nehm ich mal den Konjunktiv raus, denn Sie sollen sagen, wie es Ihnen geht und nicht, wie es Ihnen gehen könnte. Heute ist das Annika Fesser aus Potsdam:

Ich bin Sozialpädagogin und begleite Menschen in ihrem Leben, welche eine Intelligenzminderung oder andere psychische Erkrankungen haben. Dort spreche ich den ganzen Tag über Corona. Versuche etwas, was nicht zu sehen, zu riechen oder zu schmecken ist, verständlich zu machen. Schutzmaßnahmen plausibel zu machen, für jemanden, der es für seinen seelischen Ausgleich oder aus Rhythmus braucht, jeden Tag einkaufen zu gehen. Oder jemanden zu motivieren, nicht mehr arbeiten zu gehen, da er aufgrund von Vorerkrankungen zur absoluten Risikogruppe gehört. Das bedeutet aber natürlich, dass ihm dadurch seine Tagesstruktur wegbricht sowie alle sozialen Kontakte.

Ich persönlich gehe weiter arbeiten und besuche diese Menschen in ihrem Zuhause. Ja, ich mache mir da Gedanken über eine mögliche Infizierung meiner- oder ihrerseits. Doch eine Betreuung nur über Telefon oder andere digitale Medien geht nicht bei jedem Menschen.

Zu Hause betreut im Moment mein Mann unsere 4-jährige Tochter. Ihr erklären wir gerade auch ganz viel Corona. Kein Kindergarten, kein Spielplatz, keine Freundinnen treffen. Das versuchen wir alles bestmöglich zu ersetzen zurzeit. Wenn sie später mal nach dieser Zeit gefragt wird, wird sie bestimmt "Corona-Viren" und "2 Meter Abstand" sagen. Selbst unserem Hund erklärt sie, dass er diese Abstandsregeln zu anderen einhalten muss. 

Wenn Sie uns auch gerne sagen wollen, was Sie beschäftigt, wie es Ihnen geht, wie Ihr Alltag aussieht oder wie Sie Ihren Haustieren Corona vermitteln, dann schicken Sie uns doch gerne einen Text, ein Bild, ein Gif oder ein Video an: haluka.maier-borst@rbb-online.de

Wer ich bin

Großstadtchaos statt Alpenpanorama, Brandenburger Seen statt britisches Meer. Haluka Maier-Borst war schon an ein paar Orten und hat immer die falsch-richtige Wahl getroffen. Für Berlin. Jetzt sitzt er im Wedding - und mehr oder weniger fest. Denn nach einer Reise in die Schweiz war er zunächst für zwei Wochen in Heimquarantäne. Und jetzt hält er sich natürlich auch an das Kontaktverbot. Jeden Tag gegen acht genehmigt er sich einen Absacker und eine kleine Pause von der Nachrichtenlage.

4. Ein weites Feld...

Ich bin kein Pfarrer, ich bin nicht gläubig, ich bin noch nicht mal getauft – und das obwohl mein Großvater in einem katholischen Pfarrhaus groß wurde (aber dazu vielleicht ein anderes Mal mehr). Aber ich nehme mir jetzt doch zwei, drei Sätze zum Sonntag raus.

Sagen Sie einfach Ihrer Familie, Ihren Freunden und Kollegen mal, dass sie das gut machen. Wenn die dann fragen, was genau, dann lassen Sie sich irgendwas einfallen. Aber ehrlich gesagt ist es ein bisschen egal, ob sie da das Aushelfen bei der Arbeit, die Backkünste am Sonntag oder das Nutzen der Klobürste loben. Manchmal helfen ein, zwei nette Worte durch einen ganzen Tag. Das war jedenfalls heute bei mir so.

Bis morgen, bleiben Sie drinnen und Prost, sagt

Haluka Maier-Borst

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