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Quelle: dpa/Fleig

Interview zu neuen Studienergebnissen

"Die Corona-Maßnahmen haben in der zweiten Welle anders gewirkt"

In einer neuen Studie hat Jan Brauner von der Universität Oxford untersucht, wie gut europaweit verschiedene Corona-Maßnahmen gewirkt haben. Besonders für die Frage der Schulen sind die Ergebnisse hoffnungsvoll.

rbb|24: Herr Brauner, Sie haben untersucht, wie welche Maßnahmen in der zweiten Welle in Europa gewirkt haben. Können Sie denn kurz zusammenfassen, was Ihre vorveröffentlichte Studie herausgefunden hat?

Jan Brauner: Bisher werden bei politischen Entscheidungen immer die Zahlen der ersten Welle verwendet. Aber inzwischen ist die Wirkung von Maßnahmen sehr anders, wie unsere Studie zeigt. Bei den meisten ist sie nämlich viel geringer. Das ist aber nicht per se eine schlechte Nachricht.

Das müssen Sie erklären.

In der ersten Welle hatten wir einen Alltag ohne Masken, ohne Abstand halten. Entsprechend hat jede Maßnahme in der ersten Welle natürlich eine größere Veränderung gebracht als in der zweiten Welle, wo auch ohne Maßnahmen man auf verschiedene Weisen versucht hat, Ansteckungen zu vermeiden. Sprich schon bei unserem Alltag ohne Maßnahmen ist der berühmte R-Wert niedriger. Der beschreibt ja, wie viele Infizierte andere im Schnitt anstecken. Entsprechend ist die Reduktion des R-Werts durch die einzelnen Maßnahmen geringer.

Zur Person

Jan Brauner hat Medizin an der Universität Erlangen-Nürnberg und an der Universität Würzburg studiert. An der Universität Oxford erforscht er die Effekte von Corona-Maßnahmen mithilfe von Modellen.

Bei welcher Maßnahme war denn der Unterschied zwischen erster und zweiter Welle besonders stark?

Also ganz stark war der Unterschied bei den Schulschließungen. In der ersten Welle war das eine der effektivsten Maßnahmen. Inzwischen ist der Effekt aber deutlich geringer. Wir gehen davon aus, dass das damit zu tun hat, dass man europaweit in den Schulen viel verändert hat und somit das Öffnen von Schulen sicherer ist. Sei es eben dank Masken im Unterricht, regelmäßigem Lüften oder halben Klassengrößen.

Und welche Maßnahme war auch in der zweiten Welle mehr oder weniger genauso effizient wie in der ersten Welle?

Das war zum Beispiel das strikte Beschränken von Treffen auf nur zwei Personen aus zwei Haushalten. Das hat nach wie vor einen großen Effekt, was wohl auch damit zu tun hat, dass natürlich Leute privat zu Hause nicht viel anders machen heute als vor der Pandemie. Wenn es also weniger von diesen Treffen drinnen, ohne Maske gibt, dann sinkt natürlich die Zahl der Neuansteckungen.

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Was macht Sie so sicher, dass die sinkende Effektivität der Maßnahmen daher kommt, dass unser Alltag quasi "pandemietauglicher" geworden ist? Könnte es nicht daher kommen, dass die Menschen pandemiemüde sind und sich weniger an die Vorgaben halten?

Wir schließen gar nicht aus, dass es Pandemiemüdigkeit gibt. Aber Schulen sind zu oder offen, da kommt es nicht drauf an, wie sehr sich die Leute an die Maßnahme halten wollen oder nicht. Entsprechend kann Pandemiemüdigkeit nicht erklären, warum in der zweiten Welle der Effekt bei Schulschließungen kleiner sein sollte als in der ersten.

Außerdem war der R-Wert am Anfang der ersten Welle bei deutlich über drei. Am Anfang der zweiten Welle hatten wir nie einen Wert über zwei. Das spricht schon sehr dafür, dass sich das Alltagsverhalten der Menschen geändert hat und deswegen die Maßnahmen weniger den R-Wert senken. Aber ich gebe zu, unsere Studie basiert auf Beobachtungen und auf Daten. Das sind keine Laborexperimente frei von Störfaktoren. Oder anders gesagt: Unsere Daten sind die neuesten und besten, die man kriegen kann. Aber sie sind immer noch nicht sehr gut.

Ihre Studie wurde ja gemacht, noch bevor die sogenannte britische Mutante B.1.1.7 dominierte. Was bedeuten denn Ihre Ergebnisse zusammengenommen mit dieser Entwicklung?

Unsere Studie zeigt, dass man vor dem Schließen von Schulen schon das Risiko von Übertragungen dort senken kann. Und die höhere Infektiosität durch B.1.1.7 bedeutet gleichzeitig, dass man aber auch mehr machen muss.

Am Ende kann das also bedeuten, dass man vielleicht doch zeitweilig die Schulen schließen muss, um den R-Wert unter 1 zu kriegen und die Zahl der Neuinfektionen zu senken. Aber es sollte in Reihenfolge der Maßnahmen eher später erwogen werden. Wegen den Ergebnissen unserer Studie und natürlich auch weil das Schließen von Schulen einen große Auswirkung auf die Psyche von Kindern hat. Und als jemand der in Großbritannien lebt und arbeitet, kann ich vielleicht noch eine positive Sache sagen: Ja, auch bei B.1.1.7 lässt sich der R-Wert unter 1 drücken.

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Aktuell werden ja auch verschiedene Formen von Ausgangssperren diskutiert. Was sagt Ihre Studie denn dazu?

Also komplette Ausgangssperren über Tag haben wir in dieser Studie nicht mehr beachtet, weil es die so de facto nirgendwo in Europa gab. Also ja, sie gab es schon auf dem Papier. Aber die Liste der Ausnahmen, wieso man raus durfte, war so lang, dass man es nicht als Ausgangssperre bezeichnen kann.

Anekdotisch hab ich das auch daran gemerkt, dass ich meine Eltern in Bayern angerufen hab und die mir zwar von der nächtlichen Ausgangssperre erzählt haben, aber denen nicht bewusst war, dass es tagsüber auch eine gab – nur halt mit mehr Ausnahmen.

Was nächtliche Ausgangssperren angeht, da haben wir tatsächlich gesehen, dass die einen zumindest moderaten Effekt haben. Aber da muss man vorsichtig sein. Bislang gab es wenig Studien zu diesem Thema und entsprechend versteht man erst nach und nach den genauen Effekt dieser Maßnahme.

Wozu würden Sie denn insgesamt raten?

Das ist unfassbar schwierig zu sagen. Also klar, man sollte alles an Maßnahmen mitnehmen, was wenig kostet und was wenig den Alltag stört. Bessere Masken, mehr Tests, mehr Informationskampagnen, die Leuten erklären, wie man sich ansteckt und wie man das Risiko senkt. Und klar, schneller beim Impfen voran zu kommen, das hilft auch ganz massiv.

Aber für den Moment wird es wohl in Deutschland noch weitere Maßnahmen brauchen und da muss man genau abwägen. Wem man wie viel abverlangt. Aber zum Beispiel nur einseitig im Privaten die Kontakte einzuschränken, das ist schwierig zu vermitteln. Ob ich mit zehn Leuten im Büro zusammensitze oder zu Hause, das macht natürlich keinen Unterschied, was die Ansteckungsgefahr angeht.

Vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview führte Haluka Maier-Borst

Sendung:  

Beitrag von Haluka Maier-Borst

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