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Quelle: dpa/Britta Pedersen

Streitgespräch zu Corona-Maßnahmen

"Mich stört das Fixieren auf die Epidemiologie" - "Aber #AllesOeffnen ist doch keine Alternative"

Immer wieder erreicht uns bei rbb|24 der Vorwurf, wir würden zu wenig Kritiker der Corona-Maßnahmen zu Wort kommen lassen. Unser Kollege Haluka Maier-Borst hat nun mit einer Kritikerin darüber diskutiert.

Haluka Maier-Borst: Frau Vollmer*, Sie kritisieren auf Twitter seit Monaten wie die Politik in der Pandemie agiert und das unter Artikeln von rbb|24. Und Sie kritisieren unsere Arbeit, unter anderem auch meine. Wollen Sie vielleicht zuerst sagen, wer Sie sind und was Sie beruflich machen, damit Leser/innen ein Bild von Ihnen haben? (*Name von der Redaktion geändert)

Katharina Vollmer: Ich bin Soloselbstständige mit einem Online-Shop für Mode. Und da ich mein Geschäft online angefangen habe, konnte ich weiterarbeiten wie bisher. Nur nehme nicht ich die Maße, sondern ich weise per Zoom oder Jitsi die Freundinnen von Kundinnen an. Das ist etwas lustig, aber auch etwas uncharmanter als sonst, weil mir dann die Freundinnen die Maße sagen. Die sage ich normalerweise nicht laut. Ansonsten bin ich gelernte Historikerin und habe zwei Töchter.

Und wie geht’s Ihnen zurzeit?

Ausgelaugt, ausgelutscht von dem langen Lockdown. Und die Situation nach der MPK war schon sehr absurd. Eigentlich versuche ich während ich arbeite, eine Nachrichtensperre durchzuhalten. Aber die letzten Tage ging das nicht.

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Zur Person

Katharina Vollmer* arbeitet als Designerin und ist studierte Historikerin laut eigenen Angaben. Sie twittert unter dem Pseudonym @JaneSandraU. Sie möchte lieber anonym bleiben, darum wurde ihr Name geändert.

Ja, das habe ich auch gemerkt. Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie uns und anderen so viel auf Twitter schreiben?

Ich hatte mal vor Jahren für das Geschäft den Account angefangen und der lag dann brach. Dann habe ich wieder angefangen, weil ich Sachen gelesen habe und mit Journalisten in Kontakt treten wollte oder mit Politikern. Und das geht gut. Man kriegt zum Beispiel eine Antwort von jemandem wie Dietmar Bartsch. Das ist eine Nähe, die man sonst nicht hat. Gleichzeitig finde ich oft den Ton auf Twitter unfassbar aggressiv.

Können Sie mal ein Beispiel nennen?

Als Frau Scheeres auf Twitter gepostet hat, dass man mehr Unterricht ermöglichen will, da habe ich das begrüßt. Und dann hat darunter wer geschrieben, ich sei eine "Massenmörderin". Am Ende habe ich mit der Person geschrieben und da stellte sich heraus, dass das eine besorgte Mutter eines jungen Risikopatienten ist. Das kann ich verstehen und solche Kinder sollten nach wie vor digitalen Unterricht haben. Aber "Massenmörderin", das würde ich nie schreiben.

Zur Person

Haluka Maier-Borst arbeitet als Daten- und Wissenschaftsjournalist für rbb|24. Er hat Wissenschaftsjournalismus mit Schwerpunkt Physik und Datenjournalismus in Dortmund und Cardiff (Wales) studiert. Er twittert unter @HalukaMB.

Gerade reden wir sehr ruhig miteinander. Aber wenn Sie auf Twitter schreiben, sind Sie auch recht ruppig im Ton. Ich habe mal gezählt, in den letzten drei Wochen haben Sie über ein Dutzend Mal Wissenschaftlerinnen, Politikern und Journalisten geschrieben "Schämen Sie sich!". Ich müsste jetzt lange nachdenken, wem ich das zuletzt an den Kopf geworfen habe. Schreiben Sie nicht oft in dem Ton, den Sie bei anderen kritisieren?

(lacht) Ja, das ist sicher das Medium. Aber ich finde auch, wir werden aktuell wie Kinder behandelt. Frau Brinkmann zum Beispiel (Anm. d. Red. Virologin am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig), die redet von oben herab. Die stellt sehr schnell harte Thesen auf und ich finde das unglaublich. Und da schlage ich zurück. Das ist sicher Impuls, aber ich würde zum Beispiel nie "Massenmörderin" schreiben.

Aber das schreibt auch Frau Brinkmann nicht und auch nicht "Schämen Sie sich!".

Nein, aber von ihr kommen aktuell Maximalforderungen und das finde ich nicht okay. Überhaupt die Rolle der Wissenschaft und wie sehr sich Forscherinnen und Forscher in die Öffentlichkeit stellen, das finde ich ein Problem. Vielleicht hat das in dem konkreten Fall auch damit zu tun, dass Frau Brinkmann am Anfang der Pandemie dagegen war, die Schulen zu schließen. Ich hab ihr damals eine Mail geschrieben, ihr dafür gedankt und eine nette Antwort bekommen. Dann später hat sie eine Wende gemacht. Jetzt ist sie für No Covid. Aber wenn ich sehe, wer Frau Brinkmann finanziert, ist das kein Wunder.

Wer finanziert denn Frau Brinkmann?

Ja, der Bund. Der finanziert da einen guten Teil und dann sagt man als Wissenschaftler das, was die Politik hören möchte.

Ok, solche Aussagen erschrecken mich jedes Mal. Glauben Sie wirklich, das sagt Frau Brinkmann, weil "die da oben" das wollen? Oder glauben Sie nicht, dass so eine wissenschaftliche Debatte funktioniert?

Wenn man bessere Belege hat, wenn man Studien hat, die zeigen, welche Rolle Schulen spielen, dann sollte man doch sagen: "Ok, ich habe mich geirrt." Oder: "Wir wissen es nun besser." Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können sich wenig auf Erfahrungswerte beziehen, schlicht weil die letzte Pandemie vor 100 Jahren war.

Was mich stört, das ist dieses Fixieren auf die Epidemiologie. Ich verstehe, dass Kitas und Schulen eine Rolle spielen, Kinder sind Virenschleudern. Und von mir aus kann Frau Brinkmann auf ihrer Maximalforderung beharren und fordern, Schulen zu schließen. Aber Bildungseinrichtungen sind nicht nur Verwahrorte, damit die Eltern arbeiten können, sondern wichtig für die Entwicklung von Kindern. Ich finde, darum müssen mehr Soziologen und Pädagogen gehört werden.

Beim Kohleausstieg hatten wir doch breit gestreute Expertisen gehabt. Ich stelle überhaupt nicht infrage, dass das Virus gefährlich ist. Aber ich finde, wir müssen ganzheitlich entscheiden. Und ich finde, nach Impfdesaster und Testdebakel kann man sich nicht von Lockdown zu Lockdown hangeln.

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Auch mir geht der Lockdown an die Nieren. Sie schreiben auf Twitter aber sowas wie #AllesOeffnen. Wir können doch nicht sagen: "Weil vieles nicht klappt, machen wir auf und tun so, als gäbe es das Virus nicht."

Es gibt doch nicht die eine Realität, in der wir aufmachen, Corona-Tote haben und sonst alle glücklich sind. Und die andere Realität, in der wir jeden Corona-Toten verhindern, aber alle im Lockdown depressiv werden. Die Idee ist doch, dass man mit Maßnahmen die Zahlen drückt, damit dann sowas wie Normalität möglich ist.

Ich finde der Staat maßt sich die Beherrschung des Virus an und ist damit schlicht überfordert. Das ist nicht seine Aufgabe und außerdem wird der Gesundheitsschutz gerade über alles gestellt. Ja, ich will auch nicht, dass man unkontrolliert öffnet. Aber ich möchte, dass man Test- und Hygienekonzepte ernst nimmt, nicht auf ewig im Lockdown verharrt und lernt, mit dem Virus zu leben.

Moment, das heißt, dass was Sie auf Twitter sagen, das wollen Sie gar nicht in dieser Form.

Das ist eine Maximalforderung und da trifft man sich doch in der Mitte. Auf der einen Seite ist halt eine Frau Brinkmann, eine Frau Priesemann oder ein Herr Drosten. Und das muss man ausbalancieren.

Aber so funktioniert Wissenschaft nicht. Die Experten sagen doch nicht: "Komm, wir übertreiben mal, dann kommt ein annehmbarer Kompromiss heraus." Diese Leute sagen, wozu ihre Fachdisziplin rät. Da kann man immer noch diskutieren, wie man das abwägt gegen das, was jemand aus Psychologie oder Pädagogik sagt.

Sie schreiben jedoch Sachen wie: "Das Virus schwächt sich ab", "Es stirbt nicht ein Prozent.", "Die Inzidenzzahlen lassen sich manipulieren." Und Sie belegen nichts davon.

Was soll ich auf Twitter denn da belegen. Das ist nicht mein Job. Ich bin kein Wissenschaftsjournalist wie Sie und ich bin keine Historikerin mehr. Ich schreibe mir die Quellen nicht auf. Und das mit dem Virus, das sich abschwächt, das hat Herr Streeck, glaube ich, auf Phoenix so gesagt. Ich bin da nicht so bewandert wie Sie.

Aber wenn ich Ihnen etwas belege und transparent mache, worauf ich mich beziehe, dann schreiben Sie: "Ohje, ein Mittzwanziger, Journalist, der andauernd belehrt. Kommen Sie bitte von ihrem hohen Ross herunter. Und hören Sie auf, immer nur die Menschen, die gezwungen werden, Ihren Job zu bezahlen, von oben herab zu behandeln." Da frage ich mich schon, wie Sie auf die Idee kommen, dass ich ein arrogantes, herzloses Wesen bin, das von oben herab doziert.

(Lacht.) Naja, aber so Artikel wie "Sechs Faustregeln, um die Sonne ohne Corona-Bedenken zu genießen" – das ist wie man mit Kindern redet. Das sagt auch meine achtzigjährige Nachbarin, die früher Kinderkrankenschwester in der Charité war und die nicht geimpft ist. Die sagt: "Die behandeln uns alle wie Kinder, ich kann auf mich alleine aufpassen und die Kinder sollen in die Schule." Das ist in meinem Umfeld schon das Empfinden. Und weil Sie auf Twitter reagieren, bieten Sie natürlich eine Angriffsfläche.

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Ja, ich will da eine faire Debatte führen. Aber so wie Sie jetzt Ihre Aussagen auf Twitter rechtfertigen, frag ich mich, ob ich der Depp bin. Setzt das bei Ihnen falsche Anreize nach dem Motto "Je härter ich den angehe, desto eher reagiert der"? Weil wenn ich nicht reagiere, würden Sie doch auch denken: Was für ein arroganter Arsch.

Ich habe auch Artikel vom rbb und von Ihnen gelobt. Ich hab das Gefühl, da gibt es genügend sensible Menschen, die auf die psychischen Schäden der Jugendlichen beschreiben. Ich habe das Gefühl, dass das besser geworden ist, nachdem man meiner Meinung nach das am Anfang zu wenig thematisiert hat.

Und ja, als ich von den "Claqueuren" beim rbb geschrieben habe, das haben Sie zurecht kritisiert. Das war nicht die feine englische Art. Aber an dem Tag hatte ich irgendwo gelesen, dass man sich in der ARD geeinigt hatte, die Regierungsmaßnahmen nicht zu kritisieren.

Wo lesen Sie sowas? Also vielleicht ist das meine Binnensicht, aber wenn Sie wüssten, wie bei uns über Themen gestritten wird… Ich muss sagen, dass ich mir nichts Absurderes vorstellen kann, als die Idee, dass jemand bei uns anruft und sagt : "So solltet ihr berichten", wir das alle mitkriegen und auch so machen. Abgesehen davon dass das gegen jedes Selbstverständnis geht.

Ja, ich glaube, dass war in den Tagesthemen die Kritik vom Chef des Deutschen Journalistenverbandes Frank Überall, dass die Medien die Maßnahmen zu sehr nur begleitet haben. Und ich habe auch im Deutschlandfunk mal gehört, dass eine Studie gezeigt hat, dass beim Wahlverhalten die Menschen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk weiter links stehen als die Bevölkerung.

Ok, aber dazu mal zwei Dinge. Erstens es gibt einen Unterschied ob wir "gemeinsame Sache mit der Regierung" machen oder ob wir erst die Maßnahmen vermelden und die Recherche danach schlicht Zeit braucht, um sagen zu können, was Sinn macht oder nicht.

Und zweitens haben Sie von dieser Kritik an der Berichterstattung über die Tagesthemen und ein Interview im Deutschlandfunk erfahren. Zwei öffentlich-rechtliche Institutionen. Wenn wir wirklich nur in eine Richtung berichten, würden wir sowas nicht diskutieren. Ich habe das Gefühl, Sie suchen sich zusammen, was passt und blenden viel aus. Und Sie haben eine falsche Vorstellung davon, wie Journalismus funktioniert.

Sehen Sie, aber wie ich ein Kleid designe oder wie ich das schneidere, das zeige ich zum Beispiel auf Instagram. Vielleicht müssten Sie Ihre Arbeit transparenter darstellen.

Haben Sie denn das Gefühl, dass das woanders besser ist? Auf Twitter teilen Sie ja viel von der Welt, der NZZ und auch Boris Reitschuster, der ja früher beim Focus war und inzwischen sein eigenes, durchaus umstrittenes Blog führt.

Ja, aber ich lese eben auch viel vom rbb, der ARD und auch hin und wieder die taz. Dazu muss man sagen, ich glaube nicht alles, was Herr Reitschuster schreibt. Aber ich habe das Gefühl, dass die Gewaltenteilung ausgesetzt ist und dass Maßnahmen zeitweilig sehr unkritisch begleitet wurden. Wie gesagt, ich finde, dass das inzwischen besser ist. Aber lange Zeit hatte ich das Gefühl, dass nur Herr Reitschuster das gemacht hat.

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Aber erklären Sie mal, worauf Sie den Eindruck stützen. Ich habe zum Beispiel im Oktober ein großes Stück geschrieben, dass mal auf wissenschaftlicher Basis dem Sinn und Unsinn von Maßnahmen nachgeht. Da haben wir auch gesagt, dass die Maskenpflicht im Freien und eine Ausgangssperre eher wenig bringt. Herr Reitschuster fällt mir nur auf, weil er immer die Wissenschaftler zitiert, die abseits dessen sind, was andere Studien weltweit zeigen.

Ja, aber ich lese ihn eher für das Politische. Vielleicht finde ich gewisse Dinge von ihm lesenswert, weil ich zur gleichen Zeit in Moskau war wie er und wir darum im Hier und Jetzt gewisse Parallelen sehen. Ich finde das als Historikerin einfach interessant, was so jemand sagt und was Leute aus den öffentlich-rechtlichen Sendern sagen. Es geht mir um die unterschiedlichen Meinungen und wir diskutieren das zu Hause. Natürlich sieht mein Mann einiges anders und meine Töchter sehen einiges wieder anders. Auch weil natürlich jeden von uns die Krise anders trifft.

Sie sprechen davon, dass jeden die Krise anders trifft. Sie hatten mal auf Twitter erwähnt, dass Ihre Nichte wegen Magersucht in die Psychatrie musste. Erste Frage: Geht es Ihrer Nichte besser? Zweite Frage: Haben Ihre Äußerungen auf Twitter auch damit zu tun, dass Sie das erleben und sich mit Ihrem Leid nicht gesehen fühlen?

Ja, meiner Nichte geht es zum Glück besser. Aber die Tochter von Freunden ist leider immer noch in Behandlung. Und klar fühle ich mich nicht gesehen. Aber es geht mir gar nicht so richtig um mich, sondern darum dass vieles an Leid nicht berichtet wird. Eben weil das Thema Corona dominiert. Außerdem, und das ist frustrierend, fehlt eine Perspektive. Es ist immer nur ein Schreckensszenario nach dem anderen, das stumpft ab.

Absolut. Aber die Wahrheit ist doch, dass es eine neue Virus-Variante gibt, die problematischer ist. Das kann man nicht schönreden, nur weil wir schon ein Jahr Pandemie haben. Dem Virus ist das egal. Und andersrum wurde vor wenigen Wochen Jens Spahn kritisiert, als er gesagt hat, dass das Impfen eine Erfolgsgeschichte sei. Jeder habe jetzt wen in der Familie, der schon geimpft ist.

Ich glaube einfach, man muss den Dampf aus dem Kessel nehmen und dieses Hetzen, von einer MPK zur nächsten, das muss aufhören. Ich will einen klaren Plan, dass es mit den Impfungen voran geht und man alles daran setzt, Kindern und Jugendliche ein möglichst normales Leben zu erlauben. Deswegen finde ich das auch so wichtig mit der Tests, dass das ausgeweitet wird.

Und sobald meine Kinder geimpft werden können, werde ich das auch machen. Ich will das unterstreichen, ich bin keine Corona-Leugnerin. In wünsche mir einfach eine klare Perspektive. Übrigens, meine 71-jährige Mutter hat immer noch keinen Impftermin.

Frau Vollmer, danke Ihnen für die Zeit.

Danke Ihnen und ich hoffe, dass Sie das nicht alles zu persönlich nehmen. Ich werde mich bemühen weniger Ausrufezeichen zu setzen.

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