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Video: Abendschau | 27.05.2021 | Max Kell | Quelle: dpa/Annette Riedl

Corona und Beziehungen

Gemischte Gefühle

In der Corona-Pandemie sind zwischenmenschliche Kontakte auf ein Minimum heruntergefahren worden: kaum Treffen mit Freunden - stattdessen Video-Schalte oder Spaziergang zu zweit. Doch Studien zeigen: Die Folgen müssen nicht zwingend negativ sein. Von Wolf Siebert

"Zerstört: Beziehung, Freundschaft, Job verloren!", schreibt ein User auf Instagram. Ein anderer postet: "Einige Freundschaften entzweit, unsere Ehe gefestigt!". Eine Dritte braucht nur ein einziges Wort: "Geheiratet!!!" So vielfältig sind in den sozialen Medien die Antworten auf eine Frage des rbb, wie sich Corona auf Beziehungen und Freundschaften ausgewirkt hat. Monatelang konnten wir nur bestimmte Menschen sehen, unsere Freizeit wurde durch staatliche Verordnungen stark eingeschränkt, und viele saßen plötzlich gemeinsam mit der Familie im Home-Office.

Silvio Reinke aus Leegebruch bei Oranienburg (Oberhavel) arbeitete schon vor der Corona-Pandemie im Home-Office. Der berufliche Alltag zuhause war ihm also vertraut. Er ist 32 Jahre alt, arbeitet als Team-Manager bei einem Online-Händler und ist ledig. Die Bilanz seines Lebensjahres in Zeiten der Pandemie ist ausgesprochen positiv: "2020 hat mich trotz Abstandsregeln noch näher an meine Freunde herangebracht. Wir haben einen starken Zusammenhalt."

Silvio Reinke hat vielen Freunden geholfen. | Quelle: privat

Freundschaften ordnen sich neu

Janosch Schobin, Soziologe an der Universität Kassel, rechnet damit, dass das Pandemie-Jahr viele Freundschaften kräftig durchschütteln wird. "In Krisen ordnen sich Freundschaften in extremer Weise neu", sagte er in einem Interview mt dem "Spiegel". Die wirklich engen Freundschaften aber könnten sich dabei stabilisieren - unabhängig von Distanz und Kontaktverbot. Viele Menschen würden sich dabei fragen: Mit wem möchte ich weiter befreundet sein?

Der Team-Manager Silvio Reinke kam Ostern 2020 aus dem Thailand-Urlaub zurück - von der Strandbar in Asien direkt in ein Land im Lockdown. Er erlebte, wie Mütter, Väter und alte Menschen häufig überfordert waren, zu viel um die Ohren hatten, sich isoliert fühlten. Reinke beschloss: "Ich will persönlich etwas bewegen." Von diesem Wunsch profitierte Reinkes großer Freundeskreis: Seinen älteren Freunden stand er ab sofort als PC- und Smartphone-Experte zur Seite und half ihnen dabei, den neuen Alltag zu gestalten, mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben. "Sie sollten sich bloß nicht vergessen fühlen."

Martina Noacks Beziehung ist in die Brüche gegangen. | Quelle: privat

Entzweit über das Thema Corona

Auch bei Martina Noack aus Berlin hat sich in den letzten 15 Monaten viel verändert - allerdings nicht nur zum Positiven. "Alles war irgendwie neu, ab sofort im Hier und Jetzt!" beschreibt sie den Start ins Pandemie-Jahr 2020. Noack, 40 Jahre alt, ist alleinerziehende Mutter eines neunjährigen Kindes. Sie hatte eine Beziehung mit einem Mann am anderen Ende der Stadt. Diese Beziehung ist in den letzten Monaten gescheitert. Aber nicht aufgrund der räumlichen Distanz, sondern weil beide zu Corona und zu den Pandemie-Maßnahmen grundsätzlich eine andere Haltung hatten. Ein Problem, dass auch in den sozialen Medien immer wieder thematisiert wird – im schlimmsten Fall entzweien sich Familien über den Umgang mit dem Virus.

Trotz dieser Erfahrung wird Martina Noack dieses Jahr nicht nur negativ in Erinnerung behalten, sagt sie. Sie hat sich mitten in der Pandemie einen neuen Job gesucht und arbeitet nun beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) als Personalleiterin. Home-Office und Home-Schooling kann sie dort besser verbinden als im alten Job. Einige Freundschaften seien tiefer geworden, erzählt sie - und sie habe mehr Online-Kontakte als früher.

Jeder Mensch hat drei bis vier enge Freunde, erklärt der britische Psychologe Robin Dunbar. Forscherinnen sprechen von "Herzensfreunden". Diese freundschaftlichen Beziehungen werden durch die Kontaktbeschränkungen eher gestärkt, davon gehen viele Expertinnen aus.

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"Besser über Gefühle reden statt über Fakten"

Noch wenig verlässliche Daten

Die alleinerziehende und voll berufstätige Mutter, der ledige IT-Experte - zwei Schicksale, die sicher nicht repräsentativ, aber ähnlich vielfältig wie die Rückmeldung in den sozialen Medien sind: "Mit Kolleginnen gestritten, wieder zusammengerauft und viel über Toleranz gelernt", "Freundschaften dezimiert, aber in der Summe sind die 'wahren' geblieben", "Mehr Zeit füreinander, kein Freizeitstress mehr" - und auch diese Erfahrung gibt es: "Alles beim Alten geblieben".

Noch fehlen umfangreiche Untersuchungen und verlässliche Daten - auch mit Blick auf die familiären Beziehungen. Aber erste Analysen lassen Tendenzen erkennen: In einer Umfrage des britischen Meinungs- und Marktforschungsinstituts YouGov [de.statista.com] in Deutschland aus dem Mai 2021 schätzten rund 53 Prozent ihre familiäre Situation als "stabil" ein; 23 Prozent hatten dagegen den Eindruck, dass die Pandemie die Familie auseinandergebracht hat.

Längst nicht alle Paare kommen gut durch die Zeit

Clemens von Saldern, Paartherapeut in Potsdam und Berlin, überraschen diese Werte nicht: Lockdowns und weniger Freizeitaktivitäten hätten die Zweisamkeit häufig vertieft, vor allem im ersten Jahr der Pandemie.

Wolfgang Krüger aus Berlin, Psychotherapeut und Autor von diversen Büchern über Beziehungen, wollte es genau wissen. Er hat 200 Paare in einer nicht-repräsentativen Erhebung gefragt: "Wie gut ist ihre Beziehung durch das Pandemie-Jahr gekommen?" Das Ergebnis: 50 Prozent gut, 50 Prozent schlecht. Ein Erfolgsgeheimnis, wie Beziehungen auch in einer außergewöhnlichen Krise überleben können, gibt es laut Krüger nicht. Das hänge auch von den Lebensumständen ab: arbeitslos oder nicht, Home-Office allein, zu zweit oder mit Anhang, eine kleine Wohnung oder viel Raum und viel Platz, um sich auch mal aus dem Weg zu gehen - das alles wirke sich auf Beziehungen aus.

Aktuelle Zahlen zu Scheidungen im Pandemie-Zeitraum liegen noch nicht vor. Paartherapeut Clemens von Saldern rechnet aber damit, dass sich viele Paare bis zum Ende der Pandemie zusammenreißen. Danach würden die Scheidungszahlen nach oben gehen.

Martina Noack hat in ihrem Bekanntenkreis bereits viele Trennungen erlebt. Andere würden nur noch aus praktischen Gründen zusammenleben: "Weil es in Berlin so wenig bezahlbare Wohnungen gibt."

Sendung: Inforadio, 27.05.2021, 07:05

Beitrag von Wolf Siebert

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