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Video: Abendschau | 16.11.2021 | Ulli Zelle | Quelle: dpa/Kay Nietfeld

Interview | Situation auf Intensivstationen

"In der Mehrzahl sind es wirklich ungeimpfte Patienten"

Jung und ungeimpft oder alt, vorerkrankt und geimpft. Das sei oft das Bild auf den deutschen Intensivstationen, erklärt der Präsident der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Und er hat Vorschläge für das Eindämmen der aktuellen Welle.

rbb|24: Herr Marx, auch Geimpfte müssen auf den Intensivstationen wegen Covid-19 behandelt werden. Warum gibt es trotz Impfung so schwere Verläufe?

Gernot Marx: Wir sehen Patienten, die geimpft sind, auch auf unseren Intensivstationen. Das sind entweder ältere Patienten, die noch nicht geboostert sind, oder Patienten, die eine schwere Erkrankung haben und auch coronapositiv sind, aber nicht deswegen auf die Intensivstation kommen. Wir sehen aber insbesondere viele, viele Ungeimpfte.

Mit wem man auch im Moment spricht, in der Mehrzahl sind es wirklich ungeimpfte Patienten. Nach wie vor gilt, wer geimpft ist, ist in aller Regel geschützt vor schweren Verläufen. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir wirklich Gas geben beim Boostern. Wir boostern inzwischen 0,2 Prozent der Bürgerinnen und Bürger pro Tag, das muss mindestens ein Prozent werden.

Das genaue Verhältnis von geimpften zu ungeimpften Covid-19-Patient:innen auf den Intensivstationen ist aber nicht für jedes Bundesland bekannt. Warum eigentlich nicht?

Die Zahlen werden noch nicht systematisch erfasst, das wird aber gerade gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut vorbereitet. Also bald haben wir dann die Zahlen, die ja tatsächlich wichtig sind, um die Lage beurteilen zu können.

Aber es ist auch eine technische Herausforderung. Wir haben knapp 1.300 Krankenhäuser, die wir abfragen. Das muss entsprechend vorbereitet sein, damit es funktioniert. Und auch der Datenschutz muss berücksichtigt werden.

Müssen geimpfte und ungeimpfte Covid19-Patient:innen auf Intensivstationen unterschiedlich behandelt werden?

Auch da haben wir jetzt in der vierten Welle noch keine wissenschaftlichen Auswertungen. Aber nach meiner persönlichen Erfahrung zeigt sich, wenn man erst einmal einen schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung genommen hat, dann ist die Behandlung bei Geimpften und Ungeimpften gleich und auch die Verläufe sind gleich. Das hängt dann eher vom Alter ab. Je jünger die Patienten sind, desto besser können sie mit der Krankheit umgehen.

Warum liegen dann jüngere Covid-19-Patient:innen im Schnitt länger auf den Intensivstationen als ältere?

Jüngere Patienten sind widerstandsfähiger, wir können Ihnen besser zurück ins Leben helfen. Denn natürlich macht es einen Unterschied, ob die eigene Immunabwehr 30, 50 oder 70 Jahre alt ist. Daher ist es tatsächlich so, dass die jüngeren unsere Unterstützung länger benötigen aber oft eben auch erfolgreicher sind. Das heißt, wir gehen da von einer längeren Liegedauer aus. Im Moment sind wir da etwa bei 20 Tagen im Schnitt.

Auf so lange Liegezeiten sind Intensivstationen außerhalb von Pandemien aber eigentlich nicht vorbereitet. Wie lange halten Sie die aktuelle Welle durch, bis die Stationen voll sind?

Das ist eine ganz einfache Rechnung. Wir haben letzte Woche zum Beispiel insgesamt 1.662 Intensivpatienten mit Covid-19 frisch aufgenommen. Auf der anderen Seite sind in der letzten Woche 579 Patienten verstorben. Das heißt wir hatten in der Summe etwas über 1.000 zusätzliche Patienten auf der Station. Die bleiben im Mittel 20 Tage. Wenn jetzt jeden Tag 200 dazukommen, baut sich eben so langsam aber sicher diese Welle auf, die wir gerade sehen.

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Trotzdem ist das Impftempo niedriger, als Sie es sich wünschen. Was bleibt noch an Möglichkeiten?

Wir haben im Moment eine wirklich beunruhigende Dynamik des Infektionsgeschehens. Deswegen sind unsere Forderungen ganz klar, wir müssen jetzt ganz schnell bundeseinheitliche Beschlüsse haben, um das Infektionsgeschehen umgehend einzudämmen. Also Kontaktbeschränkungen, Maskentragen in Innenräumen.

Was wir auch brauchen, ist eine Testpflicht in Pflegeheimen für Mitarbeiter und Besucher, auch wenn sie geimpft oder genesen sind – einfach um die ungeimpften Patienten besser zu schützen. Weil natürlich sind auch Geimpfte positiv und verbreiten das Virus, ohne es zu merken – wenn auch deutlich kürzer als Ungeimpfte. Vor allem aber brauchen wir eine Verbesserungen des Impfangebots an Neuimpfungen und auch an Boosterimpfungen. Dafür brauchen wir auch die Betriebs- und Fachärzte.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Martin Adam.

Sendung: Abendschau, 16.11.2021, 19: 30 Uhr

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