rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
rbb|24 explainer | 16.12.2021 | Naomi Noa Donath | Quelle: dpa/P. Pleul

Entscheidung des Bundesrats

Was das Böller-Verkaufsverbot für die Feuerwerksbranche bedeutet - und die Kliniken

Auch in diesem Jahr dürfen zu Silvester keine Böller verkauft werden. Die Pyrotechnik-Branche trifft es zum zweiten Mal hart. Doch das letzte Jahr zeigte: Das Verbot hatte auch einen positiven Effekt. Von Naomi Donath

Meistens, sagt Jenny E. Dornberger, sind gleich mehrere Finger betroffen. Die Handchirurgin steht im weißen Kittel vor der Notaufnahme des Unfallkrankenhauses Berlin in Marzahn. Hier werden jedes Jahr in der Silvesternacht und am Neujahrstag 50 bis 75 Menschen eingeliefert - oft mit schweren Verbrennungen und Verletzungen durch Böller.

Manche müssen sofort notoperiert werden. "Durch das Explodieren des Schwarzpulvers entstehen nicht nur Verbrennungen an der Hand, sondern es werden auch Knochen und Sehnen verletzt", sagt Dornberger, die Oberärztin am Zentrum für Schwerbrand-Verletzte ist. "Meistens sind die Weichteile der Hand so zerfetzt, dass man das nicht mehr rekonstruieren kann. Das kann bis zum Verlust mehrerer Finger gehen."

Die Handchirurgin und Oberärztin vom Zentrum für Schwerbrandverletzte am Unfallkrankenhaus Berlin, Jenny E. Dornberger. | Quelle: rbb/N.Donath

Bundesrat entscheidet über Böller-Verkaufsverbot

Eine Ausnahme gab es in der vergangenen Silvesternacht: Da wurden nur zehn Menschen mit Verletzungen durch Böller ins Unfallkrankenhaus Berlin eingeliefert. Grund dafür war das Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk an private Konsument:innen. Das ist auch für dieses Jahr geplant. Beim Corona-Gipfel am 2. Dezember haben sich Bund und Länder auf dieses Verkaufsverbot geeinigt. Der Bundesrat hat am Freitag eine entsprechende Verordnung beschlossen.

Ein bundesweites Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk bedeutet aber nicht automatisch ein Verbot, Pyrotechnik zu zünden. Manche Feuerwerks-Begeisterte haben noch Vorräte aus den Vorjahren. Ob sie diese abbrennen dürfen, entscheidet jedes Bundesland und jede Kommune für sich. In Berlin gab es im vergangenen Jahr zwar 56 Böllerverbotszonen, aber außerhalb davon war das Böllern erlaubt. In Potsdam war Böllern im gesamten Stadtgebiet verboten.

Blick in den Schockraum des Unfallkrankenhauses Berlin. | Quelle: rbb/N.Donath

Überlastung der Kliniken soll vermieden werden

Das Unfallkrankenhaus Berlin befürwortet ein erneutes Verkaufsverbot. Die Klinik ist stark ausgelastet, es fehlt an Pflegekräften und freien Betten. Hier liegen 40 Covid-Patient:innen, davon 20 auf der Intensivstation. "Wenn zusätzlich so viele Silvester-Verletzungen aufkommen würden, kommen wir an unsere Kapazitätsgrenze", sagt Dornberger und warnt vor Überlastung.

Pyrotechniker Ingo Schubert in seiner Lagerhalle in Hangelsberg bei Grünheide. | Quelle: rbb/N.Donath

3.000 Pyrotechniker:innen droht die Arbeitslosigkeit

Die Feuerwerksbranche trifft das Verkaufsverbot dagegen im zweiten Jahr hart. Ingo Schubert ist staatlich geprüfter Pyrotechniker und handelt mit Profi-Feuerwerk - das ganze Jahr über. Er hat sich auf Bühnenshows spezialisiert und macht die Pyrotechnik für die Eisbären Berlin.

Das Hauptgeschäft macht die pyrotechnische Industrie aber mit Silvesterfeuerwerk. Das darf nur an den letzten drei Tagen des Jahres verkauft werden - wenn es denn verkauft werden darf: "Jetzt brechen uns fast 100 Prozent des Umsatzes weg", sagt Schubert. "Damit stehen große Teile der Branche vor dem Aus." 3.000 Menschen arbeiten bundesweit in der Pyrotechnik-Industrie. Sie drohen arbeitslos zu werden.

Nach dem Verkaufsverbot 2020 bekam Schuberts Pyrogenie Feuerwerk GmbH zwar Wirtschaftshilfen. "Aber die kamen ein halbes Jahr, nachdem ich die Kosten hatte", erzählt Schubert. "Die ersten 18 Monate Corona waren für mich der absolute Oberhorror, weil ich von Monat zu Monat nicht wusste, ob es weitergeht. Ich behaupte jetzt mal, ich bin in dieser Zeit fünf Jahre gealtert."

Blick in die Lagerhalle der Pyrogenie Feuerwerk GmbH in Hangelsberg. | Quelle: rbb/N.Donath

Verkaufsverbot zu kurzfristig beschlossen

Ein weiterer Kritikpunkt: Das Verkaufsverbot komme zu kurzfristig, die Logistik für dieses Silvester laufe bereits seit einem Jahr, erklärt Schubert. Bei den Produktionszeiten in China sei man darauf angewiesen, frühzeitig zu bestellen. "Wir haben volle Lager. Die haben wir schon vom ersten Verkaufsverbot. Jetzt kommt das zweite Verkaufsverbot." Nun müssten Händler:innen ihre Ware bis Silvester 2022/2023 einlagern - oder vernichten.

Pyrotechnik ist explosives Gefahrengut und kann deshalb nicht überall gelagert werden, sondern nur in speziell geprüften Lagerhallen mit genügend Sicherheitsabstand. Schubert lagert seine Feuerwerkskörper in einer Lagerhalle in Hangelsberg (Landkreis Oder-Spree). Von hier aus sind es mehrere hundert Meter bis zur nächsten öffentlichen Straße.

Blick in die Lagerhalle der Pyrogenie Feuerwerk GmbH in Hangelsberg. | Quelle: rbb/N.Donath

Pyrotechniker:innen warnen vor Polen-Böllern

Schubert verkauft nur Pyrotechnik, die in Deutschland zugelassen ist. Diese wird in China produziert, aber nach EU-Richtlinien geprüft und CE-zertifiziert. Pyrotechniker:innen warnen: Dass diese Ware nicht mehr verkauft werden darf, verschlimmere genau das Problem, das vermieden werden soll. Denn im osteuropäischen Ausland, etwa an den polnischen Grenzmärkten, werden Böller verkauft, die in Deutschland für private Konsument:innen illegal sind. Diese Polen-Böller enthalten große Mengen an Blitzknallsatz, einem explosiven Sprengstoff. Das Hantieren mit diesen illegalen Böllern ist auch nach Erfahrung des Unfallkrankenhauses Berlin die häufigste Ursache für Silvesterverletzungen.

Klage mit geringen Erfolgsaussichten

Laut Pyrotechnik-Interessenverbänden sind Rettungseinsätze in der Silvesternacht nur zu fünf Prozent auf Feuerwerk zurückzuführen. Oberärztin Dornberger sieht das anders: "Diese fünf Prozent Patientenanteil können wir überhaupt nicht bestätigen. Ich arbeite hier seit zwölf Jahren. Wir haben in der Silvesternacht ein massiv erhöhtes Patientenaufkommen."

Die Pyrotechnik-Interessenverbände haben angekündigt, wieder gegen das Verkaufsverbot klagen zu wollen. 2020 hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ihren Eilantrag allerdings abgelehnt - mit Verweis auf die angespannte Situation in den Krankenhäusern während der Corona-Pandemie.

Sendung: Inforadio, 17.12.2021, 13:20 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen