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Quelle: rbb

Interview | Berliner Schulsprecher

"Die Situation an den Schulen war noch nie so schlimm wie jetzt"

Über 40.000 Unterschriften für mehr Schutz an Schulen: In einem offenen Brief kritisieren unter anderem zwei Schulsprecher aus Berlin die Bundespolitik. Sie fühlen sich in der Coronapandemie im Stich gelassen. Ann Kristin Schenten sprach mit ihnen.

rbb|24: Tobias und Anjo, als Schulsprecher zweier Berliner Gymnasien habt ihr mit über hundert anderen Schulen bundesweit die Aktion #WirWerdenLaut ins Leben gerufen – was wollt ihr erreichen?

Tobias: In der Vergangenheit haben oft Erwachsene und Wissenschaftler:innen über Schülerinnen und Schüler entschieden. Sie haben über uns gesprochen und nicht mit uns. Das wollen wir ändern und jungen Menschen eine Stimme geben. Wir wollen zeigen, wie wir die Situation wahrnehmen und was uns bewegt.

In den Berliner Schulen wurden ja einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen, allerdings sagt ihr: Nicht genug. Wie sieht euer Schulalltag momentan aus?

#WirWerdenlaut

Schülervertreter wenden sich mit offenem Brief gegen Corona-Schulpolitik

Wegen der Corona-Lage an den Schulen fordern Schülervertreter in einem offenen Brief die Politik zum Handeln auf. Sie werfen ihr vor, Schülerinnen und Schüler im Stich zu lassen. Nun gibt es erste Gesprächsangebote.

Anjo: Die Schulen sollten schon lange Luftfilteranlagen bekommen, wir sollten bessere Masken und Testsysteme bekommen. Wir wissen schon lange Bescheid, was den Schülerinnen und Schülern helfen würde. Auf dem Schulweg sitzen wir in überfüllten Bussen oder Zügen. Es gibt eigentlich keine Schutzmaßnahmen für Schülerinnen und Schüler in Berlin.

Tobias: Ich glaube, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Situation an den Schulen noch nie so schlimm wie jetzt war. Jeden Tag fallen viele Selbsttests positiv aus. Wir leben tagtäglich mit der Angst, dass wir unsere Familien anstecken. Wenn man sich die Daten anschaut, die die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie veröffentlich hat, dann sieht man, dass vor den Ferien fünf Prozent der Schülerinnen und Schüler nachweislich infiziert waren.

Hoher Aufwand, geringe Nachfrage

Impfkampagne für Kinder an Berliner Schulen wird gestoppt

Das spezielle Impfangebot an Schulen für Kinder zwischen fünf und elf Jahren wird eingestellt. Das bestätigte die Gesundheitsverwaltung. Aufwand und Ertrag stünden in keinem Verhältnis. Nun sollen die Bezirke neue Angebote finden.

In Berlin wurden laut Aussage der Senatsverwaltung für Bildung 23.000 Luftfilteranlagen ausgeliefert, FFP2 Masken und Selbsttests sollen nochmal verstärkt zur Verfügung gestellt werden. Warum reicht das nicht aus?

Tobias: Wie es an den Schulen mit den Luftfiltern aussieht, ist sehr verschieden. Manche Schulen haben in jedem Raum einen Luftfilter, aber manche eben gar keine oder nur zwei pro Schule. Und das ist auch das, was von den Mitteln des Bundes finanzierbar war. Das waren ja 200 Millionen Euro. Das klingt erstmal viel, aber das reicht bei den 32.000 allgemeinbildenden Schulen in Deutschland für zwei Geräte pro Schule. Das ist dann doch sehr ernüchternd.

Ausgesetzte Präsenzpflicht an Berliner Schulen

Homeschooling wird auf Zeugnis als entschuldigte Fehlzeit erfasst

Zur ausgesetzten Präsenzpflicht an Berliner Schulen hat die Senatsverwaltung einige Bedingungen formuliert. So muss das freiwillige Fernbleiben jeweils mindestens eine Woche andauern und wird auf dem Zeugnis als entschuldigte Fehlzeit erfasst.

Der Vorstand des Berliner Landesschüler:innen Ausschuss sagt: Die größte psychische Belastung in den vergangenen Jahren war das Homeschooling. Ihr wollt die Präsenzpflicht aber teilweise aussetzen. Warum?

Anjo: Es ist aktuell nicht zu verantworten, dass Schülerinnen und Schüler in den Unterricht gezwungen werden. Es gibt auf jeden Fall Familien, wo das schwieriger ist. Die muss man unterstützen. Aber nur zu sagen: Präsenz ja/nein oder Distanz ja/nein, das ist zu undifferenziert. Wenn man den Schülerinnen und Schülern wirklich helfen will, dann muss man Präsenzunterricht sicher machen und schauen, wie man Distanzunterricht eng begleitet.

Tobias: Wir fordern auch ausdrücklich nicht die Aussetzung des Präsenzunterrichts, sondern die Aussetzung der Präsenzpflicht - und zwar bundesweit. Die Schülerinnen und Schüler sollen mit ihren Familien sprechen können und individuell das Risiko abschätzen können. Sie sollen entscheiden, ob sie besser in der Schule lernen können oder von zuhause aus. Es ist uns deshalb besonders wichtig, dass die Schulen zu sicheren Lernumgebungen gemacht werden. Damit Schülerinnen und Schüler, die zuhause nicht gut allein lernen können, ein sicheres Lernumfeld haben.

#Wiegehtesuns | Mutter zweier Grundschüler

"Jetzt sitzen die Kinder wieder bei fünf Grad am offenen Fenster und frieren"

An die Schulschließungen erinnert sich Julia T. nicht gern. Denn auch ihre Kinder haben diese Zeit nur schwer wegstecken können. Nun hofft sie, dass es trotz hoher Inzidenzen nicht nochmal so weit kommt - und ärgert sich über fehlende Luftfilter. Ein Gesprächsprotokoll.

Wie geht ihr damit um, dass der Berliner Landesschüler:innen Ausschuss sich nicht hinter euch stellt?

Tobias: Das ist normal, dass man sich streiten kann. Aber wir haben durch unsere Forderungen sehr deutlich gemacht, dass 100 Schulen hinter uns stehen. Wir haben zehntausende Unterschriften auf change.org. Es wird ganz klar deutlich, dass die junge Generation weiteren Schutz fordert.

Anjo: Der Berliner Landesschüler:innen Ausschuss steht auch dahinter, dass Schulen sicherer werden müssen. Wir werden uns da auch nochmal austauschen.

Wie sieht denn so ein sicheres Lernumfeld konkret aus?

Anjo: Es gibt ja die Empfehlungen: Kleinere Klassen, bessere Masken, PCR-Pooltests ausbauen – das müsste einfach umgesetzt werden. Dann wäre der Unterricht schon mal viel sicherer.

Tobias: Wir stützen uns auf die S3-Richtlinien des RKI. Uns ist dabei auch besonders wichtig, dass kostenlose FFP2-Masken zur Verfügung gestellt werden, damit sich jede und jeder schützen kann, insbesondere auch Familien, die kein Geld für solche Masken haben.

#Wiegehtesuns? | Die Siebtklässlerin aus Berlin

"Ich hoffe, dass es irgendwann wieder halbwegs normal wird"

Liz ist Siebtklässlerin an einer Berliner Oberschule. Ihre Schule kennt sie nur mit Corona-Einschränkungen. Neue Freunde hat sie trotzdem gefunden. Aber im zweiten Lockdown fühlt sie sich zunehmend eingeengt und bedrückt. Denn ihr Leben besteht vor allem aus Büffeln. Ein Gesprächsprotokoll.

Ihr habt eure Forderung direkt an die Bundespolitik gerichtet. Was passiert, wenn sie nicht auf euch hört?

Anjo: Wir haben jetzt Gesprächsangebote von Karin Prien, der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, und von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger bekommen. Wir freuen uns, dass es da eine Reaktion gab. Wir werden die Gespräche auch wahrnehmen. Aber wir werden dann gucken müssen, ob auf uns eingegangen wird oder ob nur wieder viel erzählt wird, aber nichts umgesetzt wird.

Tobias: Klar ist aber auch, dass wir die aktuelle Situation nicht auf uns sitzen lassen werden. Es stehen Streiks im Raum.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Tobias Westphal (Schulsprecher Johann-Gottfried-Herder Gymnasium Lichtenberg) und Anjo Genow (Schulsprecher Otto-Nagel-Gymnasium Biesdorf) führte Ann Kristin Schenten

Sendung: rbb24, 03.02.2022, 21:45 Uhr

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