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Quelle: dpa/Donal Husni

Experten und Studien zu Lage und Aussicht

Was macht eigentlich ... Corona?

Der Krieg wütet in der Ukraine, der Alltag wird spürbar teurer - Corona ist auch deshalb ein wenig aus den Schlagzeilen verschwunden. Aber längst noch nicht ganz. Wozu raten Experten aktuell im Umgang mit der Pandemie? Von Haluka Maier-Borst

Zuerst die guten Nachrichten: Die Zahl der Covid-19-Hospitalisierten ist zurzeit deutlich niedriger als in früheren Phasen der Pandemie und auf einem Abwärtstrend. Viele Indikatoren zeigen eine Entspannung der Corona-Lage an.

Wie geht es also weiter? rbb|24 hat Studien gewälzt, mit Expert:innen gesprochen und nach Antworten auf Fragen gesucht, die uns im Sommer und auch im Hinblick auf den Herbst beschäftigen.

Ist Corona vorbei?

Leider nein. Ja, die Situation ist entspannter als sie es in den schlimmsten Phasen der Pandemie war. Auch der Anteil der Infizierten, der auf Intensivstationen behandelt werden muss, ist viel geringer als zuvor. Aber trotzdem ist die Lage alles andere als gänzlich entspannt. Andreas Stengel, Arzt an der Uniklinik Tübingen, sagt, Omikron-Verläufe seien zwar in der Regel milder aber eben nicht immer mild. "Wir haben auch immer noch junge Patienten, die schwer erkranken und auf die Intensivstation müssen", sagt der Stellvertretende Ärztliche Direktor der Inneren Medizin.

Es ist auch überhaupt nicht klar, dass nach Omikron zwangsläufig nur noch harmlose Varianten auftreten werden. Die Biologin Birgit Weinberger von der Universität Innsbruck sagt beispielsweise, dass es durchaus sein kann, dass nochmal eine gefährlichere Variante auftaucht. Eine, die ansteckender ist, wieder für mehr schwerere Verläufe sorgt oder die Immunabwehr umgeht. "Oder eben eine, die das alles vereint", sagt die Biologin.

Die Chancen für eine solche auf vielfältige Weise hochproblematische Variante sind nicht groß. Markus Hoffmann vom Deutschen Primatenzentrum in Leipzig geht eher davon aus, dass vor allem Omikron das Geschehen erst einmal weiter bestimmen und nicht deutlich gefährlicher werde. Aber es gebe eben eine Restunsicherheit. "Vor einem guten halben Jahr dachten wir, dass vor allem die Delta-Variante uns beschäftigen werde und dann kam es mit Omikron eben ganz anders", sagt der Infektiologe.

Was müsste jetzt getan werden, um gut in den Herbst und über den Winter zu kommen?

Das erste Problem ist die Datenlage. Die Infektiologin Irit Nachtigall von den Helios Kliniken bemängelt, dass die Datenqualität zu Corona-Fällen nach wie vor ausbaufähig ist. "Wir haben einfach nicht flächendeckend den Überblick darüber, was für Fälle in Krankenhäusern auftauchen und mit welchen Beschwerden, das fehlt uns", sagt sie. Das sei aber entscheidend, um richtig reagieren zu können.

Viele Forscher plädieren zudem für eine Art Werkzeugkoffer an Maßnahmen, bei dem man einerseits überlegt, was man an Vorbereitung braucht und andererseits, wann man ihn denn einsetzen möchte. Die Innsbrucker Biologin Weinberger gibt dafür ein Beispiel: "Masken können Sie, mehr oder weniger, von heute auf morgen wieder zur Pflicht machen und aufsetzen. Gute Lüftungsanlagen in Schulen und öffentlichen Gebäuden müssen Sie dagegen einbauen und das sollte man jetzt im Sommer tun."

Das hätte laut Weinberger den Vorteil, dass man auch andere Erkältungsviren besser in Schach halten könnte. Außerdem rät sie dazu, sich genau zu überlegen, was es bräuchte, wenn man Richtung Herbst anfängt viele Menschen ein viertes Mal zu impfen. Dass es dafür eben genügend Ärzt:innen, Spritzen, Räumlichkeiten geben müsse.

Sollten wir im Herbst wieder eine Maskenpflicht haben? Was ist mit der Impfpflicht?

Ganz gleich ob Maske oder Impfungen – am besten bringe man nicht durch Druck sondern durch Überzeugung die Menschen zu beidem, sagt Irit Nachtigall. Entsprechend sei es wichtig die Leute dort anzusprechen, wo sie unterwegs sind. "Egal ob jetzt Instagram oder 'Germany's Next Topmodel', wir müssten viel mehr Leute cool erreichen und eben nicht nur auf etwas hüftsteife Kampagnen setzen, die wir jetzt haben."

Dann, so Nachtigalls Hoffnung, würden zum Beispiel Menschen auch eher freiwillig ab Herbst vermehrt wieder eine Maske tragen. "Wenn Sie mal überlegen, was uns alles die letzten zwei Jahre dank Masken erspart geblieben ist, von Influenza über andere Erkältungen, das sind doch wirklich gute Argumente", sagt sie.

Ähnlich sieht es auch der Tübinger Arzt Stengel. Je aufgeladener die Diskussion, desto weniger erreichbar seien die Menschen, Druck erzeuge Widerstand. Indem man gelassen und mehr auf Augenhöhe rede, könne man Leute davon überzeugen, dass eine Impfung eben gegen schwere Verläufe und auch gegen Long Covid schützt, so Stengel.

Fragen und Antworten

Wie gut Corona-Impfstoffe wirken - und wem sie empfohlen werden

Seit Ende 2020 sind mehrere Corona-Impfstoffe im Einsatz, gleichzeitig haben verschiedene Virusvarianten die Wellen dominiert. Wie ist der aktuelle Stand? Welcher Impfstoff wirkt gegen Omikron? Und macht eine 4. Impfung Sinn? Ein Überblick.

Soll sich denn jede und jeder Erwachsene noch ein viertes Mal impfen lassen?

Abwarten. Die Studien, die es gibt, sagen zwei Dinge. Zum einen steigt auch direkt nach der vierten Impfung die Zahl der Antikörper im Blut. Sprich, unmittelbar nach der Impfung ist man besser gegen eine Infektion geschützt. Zum anderen sinkt im Anschluss der Antikörperpegel in wenigen Wochen aber deutlich und pegelt sich auf einem ähnlichen Niveau ein wie nach der dritten Impfung [nejm.org]. Entsprechend ist der Effekt einer vierten Impfung eher überschaubar, wenn es darum geht, was sie langfristig an schweren Erkrankungen verhindert.

Kurzfristig können aber Viertimpfungen dabei helfen, Infektionen und Übertragungen einzudämmen [nejm.org]. Birgit Weinberger denkt darum, dass es hilfreich sein könnte, Viertimpfungen im Maßnahmenkoffer zu haben und Richtung Spätsommer einzusetzen. Konkret würde dies bedeuten, dass man erst die Älteren viertimpft, falls das noch nicht geschehen ist und weiterhin diejenigen, die Vorerkrankungen haben. Und danach die anderen, die sich dafür entscheiden.

Wie geht es mit den Impfzentren weiter?

Das Land Berlin plant die Impfzentren ICC und Tegel zu Ende Juni 2022 schließen, weil inzwischen 85 Prozent aller Impfungen von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten durchgeführt werden. Nur die Impfstelle im Ring-Center im Osten der Stadt bleibt zunächst geöffnet. Dort finden seit Anfang Mai auch Kinderimpfungen statt. Ferner will die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung auf mobile Impfteams setzen, wie man auf Anfrage erklärt.

Brandenburg hat derweil keine Impfzentren mehr, bietet aber Kommunen aktuell die Möglichkeit eigene Impfstellen zu betrieben oder einen Stand-by-Modus für diese zu wählen. Ferner sei in den Verträgen zu kommunalen Impfstellen eine höhere Impfkapazität ab November eingeplant.

Mehr als 2 Prozent des vorhandenen Impfstoffs

Berlin vernichtet 185.000 Impfdosen

Und was passiert mit dem übrigen Impfstoff?

Sowohl Berlin als auch Brandenburg verweisen darauf, dass man sparsam bestelle beziehungsweise die Bestellung durch die Arztpraxen und Kommunen eigenverantwortlich geschehe. Entsprechend liegen also nirgendwo Impfdosen in Landeslagern herum. Gleichwohl gibt es auf Bundesebene Millionen von Impfdosen in Lagern, die ablaufen [dw.com].

Ideal ist das aus der Sicht von Forschenden freilich nicht. Nach wie vor gibt es Teile der Welt, in denen man sich nicht um Dritt- oder Viertimpfungen streitet - sondern die Menschen froh wären, überhaupt zwei Grundimpfungen zu bekommen. Birgit Weinberger sieht es darum als notwendig an, Impfstoffe mehr im Rest der Welt zu verteilen und dabei auch gleich das ganze Drumherum zu planen. "Was helfen Ihnen Impfstoffe, wenn Sie zu wenig Spritzen, zu wenig Ärzte haben oder die Impfstoffe am Hauptstadtflughafen stranden", sagt sie.

Gibt es schon Erfahrungen bei Reinfektionen? Laufen die im Schnitt glimpflicher ab?

Menschen können sich auch nach den Impfungen mit dem Coronavirus anstecken und auch eine frühere Infektion schützt nicht per se vor einer erneuten Ansteckung. Aber:

1. In den allermeisten Fällen sind Reinfektionen deutlich milder als eine erste Infektion. Das zeigte zum Beispiel eine Studie aus Qatar vom Ende letzten Jahres im New England Journal of Medicine [nejm.org]. 2. Das selbe gilt auch für Impfungen. Immer wieder zeigen Studien, dass geimpfte Menschen viel, viel seltener schwere Verläufe erleben als ungeimpfte Menschen.

Das heißt nicht, dass niemals bereits infizierte Menschen eine zweite, schlimmere Infektion durchmachen können oder niemals Geimpfte eine schwere Infektion erleben. "Am Ende ist es alles Biologie und es gibt nichts, was es nicht gibt", sagt Weinberger. Aber die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Verlauf ist bei geimpften Menschen, die noch dazu schon eine Infektion durchgemacht haben, sehr viel geringer.

Warum erwischt es manche Menschen gar nicht?

Das eine ist natürlich das Risikoverhalten der einzelnen Personen. Wer viel unterwegs ist, steckt sich eher an als Stubenhocker. Nun legt aber abermals eine Studie nahe, dass es wohl auch eine Rolle spielt, welche Blutgruppen der Infizierte und die in seiner Nähe befindlichen Menschen haben. Sind ihre Blutgruppen nämlich nicht kompatibel, also könnte die infizierte Person der potenziell anzusteckenden Person kein Blut spenden, so ist die Chance anscheinend geringer, dass eine Übertragung des Virus passiert [frontiersin.org].

Auch variiert die Menge an ausgeschiedenen Viren zwischen Menschen erheblich. Der Leipziger Infektiologe Hoffmann verweist darauf, dass wohl auch frühere Infektionen mit anderen Corona-Viren und genetische Besonderheiten mit dazu beitragen, dass manche Leute einen gewissen Schutz haben. "Das heißt aber mitnichten, dass diese Leute machen können, was sie wollen. Aber eine Kombination aus eigenem Schutz und dem Glück, nicht in der Nähe von hochansteckenden Menschen gewesen zu sein, hat sie wahrscheinlich bisher vor einer Ansteckung bewahrt", sagt er.

Coronavirus

Stiko empfiehlt Booster-Impfung auch für 12- bis 17-Jährige

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt nun auch allen 12- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen eine Corona-Auffrischimpfung gegen Corona. Zuvor hatte der Bund schon erklärt, Kinder ab 12 hätten eine Anspruch auf den Booster.

Bislang wurden Kinder erst maximal zwei Mal geimpft. Sollen Unter-Zwölfjährige noch eine Booster-Impfung erhalten?

Erst jüngst hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA die Booster-Impfung für 5- bis 11-Jährige empfohlen [fda.gov]. Entsprechend könnte es durchaus passieren, dass Kinder in diesem Alter bald auch in Europa einen Booster bekommen können. Hier wird es aber wieder um die Abwägung gehen, die schon aus früheren Phasen der Pandemie bekannt ist.

Kinder erkranken seltener schwer und reagieren mitunter heftiger auf die Impfung. Schaut man nur auf den Nutzen der Impfung für den einzelnen, so wird mit abnehmendem Alter das Kosten-Nutzen-Verhältnis schlechter. Auf der anderen Seite gilt auch bei Erwachsenen die Impfung eben erst nach der dritten Dosis wirklich als gut im Immungedächtnis verankert. Entsprechend gäbe es durchaus gute Argumente für eine Booster-Impfung von Kindern.

Die in Deutschland für Impfempfehlungen zuständige Ständige Impfkommission hat nun aber einen ungewöhnlichen Weg gewählt und empfiehlt für Kinder von 5 bis 11 Jahren nun zunächst eine einmalige Impfung [rki.de]

Wie ist der Stand bei den Impfstoffen für Kinder unter fünf Jahren?

Aktuell befinden sich der Biontech/Pfizer- sowie der Moderna-Impfstoff in den USA im Zulassungsverfahren für Kleinkinder und Kinder ab sechs Monaten bis unter fünf Jahren. Sollte der Zulassungsprozess schnell ablaufen, könnten in den USA die Kinder dieser Altersgruppen noch vor Schulanfang im Herbst geimpft werden, wie ein Experte des Zulassungskommittees gegenüber der American Medical Association (AMA) erklärte [youtube.com]. Und sollte einer oder sollten beide zugelassen werden, ist es wohl wahrscheinlich, dass Ähnliches auch in Europa durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA passiert.

Sendung: rbb24 Abendschau, 20.05.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Haluka Maier-Borst

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