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Quelle: rbb|24/Caroline Winkler/OpenStreetMap

Von der Kongo-Konferenz bis zum Ersten Weltkrieg

Was war das Deutsche Kolonialreich?

Innerhalb weniger Jahre versuchte das Deutsche Kaiserreich Ende des 19. Jahrhunderts, ein weltumspannendes Imperium aufzubauen. Ungerechtigkeit, Ausbeutung und blutige Auseinandersetzungen prägten das Leben in den Kolonien. Ein Überblick von Oliver Noffke

Ende des 19. Jahrhunderts begann das Deutsche Reich, sogenannte "Schutzbriefe" für Gebiete in Übersee auszustellen. Im Falle eines Angriffs verpflichtete sich das Reich dazu, mit seinem Militär diese Länder zu verteidigen.

Tatsächlich wurden die "Beschützten" jedoch zu abhängigen Kolonien, in denen Berlin nach und nach die Kontrolle übernahm. Militärische Infrastrukturen wurden aufgebaut, Polizei und Gerichtsbarkeit eingeführt. Schließlich wurde damit begonnen, die Überseegebiete wirtschaftlich zu nutzen. Es wurde versucht, Bodenschätze auszubeuten oder Plantagen aufzubauen. Deutsche Kirchengemeinden nutzten die Kolonialbestrebungen zum Missionieren.

Die Fläche der Kolonien überstieg die des Reiches um ein Vielfaches

Die größten Ländereien nahm das Deutsche Reich in Afrika in Besitz. Deutsch-Ostafrika umfasste das heutige Festland Tansanias, Ruandas und Burundis sowie eine Zeitlang die Insel Sansibar; Deutsch-Südwestafrika entsprach den Grenzen Namibias. Außerdem gab es noch zwei Kolonien im Westen des Kontinents: Eine umfasste Togo und Teile Ghanas, eine weitere das heutige Kamerun sowie weite Teile umliegender Länder.

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Die rechtliche Grundlage für Kolonialbesitz wurde während der Kongo-Konferenz geschaffen, die von November 1884 bis zum darauf folgenden Februar in Berlin abgehalten wurde. Ein Dutzend europäische Staaten, die USA und das Osmanische Reich handelten in dieser Zeit Bedingungen aus, unter denen sie sich Überseegebiete gegenseitig anerkannten. Ihr Ziel war es, Kriege untereinander zu vermeiden. Für die Afrikaner, die nicht zu der Konferenz eingeladen waren, hatten die Vereinbarungen weitreichende Konsequenzen. Innerhalb weniger Monate hatten europäische Mächte den Kontinent unter sich aufgeteilt.

Auch im Pazifik versuchte man, deutsche Kolonien aufzubauen. Die wichtigsten waren Samoa und das sogenannte Kaiser-Wilhelm-Land im Osten von Papua-Neuguinea. In Kiautschou, an der chinesischen Ostküste, wurde - erfolglos - versucht, einen Freihafen zu etablieren, der zu einem deutschen Hongkong werden sollte. Außerdem wurden auf diversen Inseln in Mikronesien, den Salomonen und Palau die Flaggen des Deutschen Reiches gehisst.

Völkerrechtlich deutsch, staatsrechtlich Ausland

Einige Staaten wie Frankreich oder Großbritannien hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahrhunderten an fernen Ländern bereichert. Andere Kolonialreiche waren bereits lange zusammengebrochen, etwa das spanische Imperium. Dass das Deutsche Reich vergleichsweise spät begann, auf anderen Kontinenten Land zu beschlagnahmen, lag vor allem an der deutschen Kleinstaaterei, die bis 1871 herrschte. Zwar hatten einige Fürstentümer lange vorher versucht, Geld durch den Handel mit Gold, Kautschuk oder Sklaven aus Afrika zu verdienen, von Dauer waren diese Unternehmungen jedoch nicht.

Otto von Bismarck, der erste Reichskanzler, sperrte sich lange gegen den Wunsch der Bevölkerung und des Kaisers nach einem "Platz an der Sonne", wie viele Zeitungen und Politiker es zu dieser Zeit nannten. Bismarck hielt Kolonien für teuer und glaubte nicht, dass das Land die militärischen Fähigkeiten besaß, ferne Ländereien zu verteidigen. Im Herbst 1884 änderte er allerdings seine öffentliche Meinung: Es standen Wahlen bevor.

Mit der Kongo-Konferenz und der Einrichtung einer neuen Abteilung im Auswärtigen Amt, aus der später das Reichskolonialamt hervorging, unternahm Bismarck einiges, um eine neue Politik in die Wege zu leiten - oder zumindest einen entsprechenden Anschein zu erwecken. Denn nur zögerlich wurden die nötigen finanziellen Mittel bereitgestellt. Das tatsächliche Interesse der Deutschen blieb ebenfalls gering. Nur wenige zog es in die Ferne.

Aufgrund der Schutzbriefe waren die Kolonien völkerrechtlich Teil des Deutschen Reiches. Ein Angriff gegen sie war ein direkter Angriff gegen Berlin. Die deutsche Verfassung definierte sie jedoch als Reichsbesitz: Staatsrechtlich waren die Kolonien also Ausland, und ihren einheimischen Bewohnern standen nicht die gleichen Rechte zu wie den deutschen Auswanderern.

Diese Ungleichheit war die Grundlage für die Ausbeutung der Kolonien. Ethnologen sammelten Artefakte oder menschliche Überreste ein und brachten sie nach Deutschland. Oftmals geschah dies ohne jegliche Rücksicht auf Kulturen, Riten oder Gebräuche der Einheimischen. Land wurde zur Gewinnung von Bodenschätzen oder zum Aufbau von Plantagen beschlagnahmt.

Raub und "verbrannte Erde"

Bei der Bevölkerung löste dieses Vorgehen oftmals Existenzängste aus, und es kam zu blutigen Auseinandersetzungen. In Deutsch-Südwestafrika wurde ein Vernichtungskrieg gegen die Völker der Herero und Nama geführt. In Ostafrika tötete die deutsche "Schutztruppe" Zehntausende Menschen während des zwei Jahre andauernden Maji-Maji-Aufstandes. Um den Widerstand zu brechen, wurden Dörfer geplündert und Vorräte vernichtet; durch das Anzünden von Feldern und Weidegründen wurde sprichwörtlich "verbrannte Erde" hinterlassen.

Der Erste Weltkrieg hatte auch Auswirkungen auf die Kolonien. Ihre Sicherung und Versorgung wurde reduziert. Auf afrikanischem Boden entstanden zudem Fronten mit anderen europäischen Mächten, an denen es zum Teil auch zu Gefechten kam: so etwa 1917 mit portugiesischen Truppen bei der Schlacht von Ngomano an der heutigen Grenze zwischen Tansania und Mosambik.

Nach dem Krieg wurde dem Deutschen Reich sämtlicher Besitz in Übersee aberkannt. Die Kolonien erhielten neue "Schutzmächte". Erst Jahrzehnte später sollten sie ihre Unabhängigkeit erhalten. Das Wirken der Deutschen hat jedoch bis heute an vielen Orten Spuren hinterlassen.

Beitrag von Oliver Noffke

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