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Audio: rbb24 Inforadio | 04.08.2022 | Lukas Kuite | Quelle: imago/J.Held

Umbenennung des Heinrichplatzes

Wieso Rio Reiser und keine Frau?

Die bevorstehende Umbenennung des Kreuzberger Heinrichplatzes in Rio-Reiser-Platz stößt nicht überall auf Zustimmung. Eigentlich hatte man sich vorgenommen, Straßen und Plätze im Bezirk möglichst nach Frauen zu benennen. Von Simon Wenzel

Nicht alle Menschen rund um den künftigen Rio-Reiser-Platz sind begeistert von dessen neuem Namen. Skeptische Blicke und kritische Stimmen erntet man, wenn man sich hier, an dem Platz, der noch bis zum 21. August den Namen "Heinrichplatz" trägt, umhört.

Eine "Disneysierung der Gegend" nennt ein alter Kreuzberger die Umbenennung, ein anderer findet "dit kann man nicht so machen", weil sein "Herz am Heinrichplatz hängt". Und eine Anwohnerin fragt sich: Wieso eigentlich schon wieder ein bekannter Mann? "Generell sollten mal mehr Frauennamen mit rein genommen werden", findet sie.

Umbenennung am 21. August

Berlin bekommt einen Rio-Reiser-Platz

Die Planung laufen schon länger, nun sind auch Anwohner-Einsprüche aus dem Weg geräumt. Rio Reiser, Musiker und Frontsänger von Ton Steine Scherben, wird in Berlin mit einem nach ihm benannten Platz geehrt. Das ist aber noch nicht alles.

"Aktiv Ideen für die Ehrung von Frauen suchen, statt Ausnahmen zu machen"

Berechtigter Einwand, kann man sagen, denn da war doch mal was. Eigentlich hatte sich die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Friedrichshain-Kreuzberg 2005 in einem Beschluss dazu entschieden, bis auf "Ausnahmefälle" Straßen solange nur noch nach Frauen zu benennen, bis 50 Prozent im Bezirk nach Frauen benannt sind. Das ist noch längst nicht der Fall. Derzeit sind weniger als 10 Prozent der Straßen in Friedrichshain-Kreuzberg nach Frauen benannt.

Deshalb hat unter anderem die heutige Fraktionssprecherin der Grünen in der BVV, Sarah Jermutus, 2019 gegen die Umbenennung des Heinrichplatzes in den Rio-Reiser-Platz gestimmt. Sie sagt heute gegenüber dem rbb: "Ich finde es persönlich wichtig, dass wir zu diesem Beschluss stehen und aktiv Ideen für die Ehrung von Frauen suchen, statt immer wieder Ausnahmen zu machen." Dabei sei es für sie unstrittig, dass Rio Reiser und sein Werk zum Bezirk Kreuzberg passen.

Die Grünenfraktion in der BVV gab bei der Abstimmung damals kein einheitliches Votum ab, auch andere Verordnete sahen es wie Jermutus und stimmten gegen die Umbenennung.

Unpräzise Vorgaben für Bevorzugung von Frauennamen

Das Problem an dem Beschluss von 2005: Er ist zu schwammig und nicht bindend. Schließlich dürfen trotzdem Namensvorschläge wie der mit Rio Reiser eingebracht werden, und mit denen muss sich die BVV dann beschäftigen. Außerdem stellt sich die Frage, was denn nun ein Ausnahmefall ist und was nicht.

Immerhin bindend ist das Berliner Straßengesetz und die zugehörige Ausführungsvorschrift, die für alle Bezirke gilt. Darin wird unter anderem vorgegeben, was Personen generell dafür qualifiziert, dass nach ihnen ein Straßenname vergeben wird - das schafft ja auch nicht jede oder jeder. Dort heißt es "Frauen sollen verstärkt Berücksichtigung finden" - allerdings nicht, wenn ein gesamtstädtisches Interesse an der Benennung nach einer männlichen Person besteht. Also auch nicht richtig konkret - genau das sei das Problem, findet Sarah Jermutus.

Berlin

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Kreuzberger Linke verteidigt Ausnahme für Rio Reiser

Oliver Nöll, stellvetretender Bezirksbürgermeister von den Linken - und der Mann, der die Idee, einen Platz nach Rio Reiser zu benennen, initiiert hatte - kann Jermutus' Abstimmung und ihre Haltung zwar nachvollziehen, findet aber, Rio Reiser sei eine berechtigte Ausnahme. "Aufgrund seiner Verdienste um das linksalternative Bild von Friedrichshain-Kreuzberg und der Tatsache, dass er bekennend schwul war zu einer Zeit, in der Homosexualität in Deutschland noch nicht so selbstverständlich war und damit vielen jungen Menschen das Selbstvertrauen gegeben hat, sich für ihre Rechte zu engagieren", sagt Nöll.

Die CDU übrigens stimmte auch gegen die Umbenennung. Um die Einhaltung des Beschlusses, vorrangig Frauennamen zu beachten, ging es bei dieser Ablehnung aber nicht. Vielmehr ist die Partei "grundsätzlich skeptisch gegenüber Umbenennungen", sagt Fraktionsmitglied Timur Husein.

Keine Einheitlichkeit in den Bezirken

Noch komplizierter wird es übrigens, wenn man das Beispiel Rio-Reiser-Platz auf ganz Berlin übertragen will. Denn jeder Bezirk macht ein bisschen seins. Einen expliziten Beschluss, wie es ihn in Friedrichshain-Kreuzberg gibt, haben zum Beispiel noch Mitte, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln - allerdings teilweise noch unkonkreter ausgestaltet. Reinickendorf, Steglitz-Zehlendorf und Spandau teilten auf rbb-Anfrage mit, es gebe in ihren Bezirken keinen solchen oder ähnlichen Beschluss. Die übrigen Bezirke konnten bis zum Redaktionsschluss vorerst keine Antworten bereitstellen.

Und es ist auch sehr unterschiedlich, wie häufig Umbenennungen in den Bezirken überhaupt vorkommen. Während beispielsweise Reinickendorf, Spandau und Steglitz-Zehlendorf in den letzten Jahren keine Straßenumbenennungen mehr durchgeführt haben (in Spandau und Steglitz-Zehlendorf ist jeweils eine derzeit in Planung), gab es in Kreuzberg-Friedrichshain im selben Zeitraum drei Umbenennungen, zwei weitere sind bereits konkret geplant.

Rio Reiser ist eine von vier Kreuzberger Ausnahmen in den letzten Jahren

Neben Rio Reiser soll die US-amerikanische Schriftstellerin, Aktivistin und Feministin Audre Lorde bald gewürdigt werden - ein Teil der Manteuffelstraße soll nach ihr benannt werden. Dazu kommen in den nächsten Jahren drei weitere Straßen und ein Platz in Kreuzberg, die nach Frauen benannt werden sollen.

Betrachtet man die Straßennamen der letzten Jahre im Bezirk, ist Rio Reiser tatsächlich eine Ausnahme von der selbst auferlegten Regel: einer von vier Ausnahmefällen, in denen Straßen und Plätze nach Männern benannt oder umbenannt wurden. In der selben Zeit wurden 20 nach Frauen benannt. Menschen wie Sarah Jermutus geht es ja auch nicht darum, dass Männer keinen Raum in der Erinnerungskultur mehr kriegen sollen.

Und so könnte man die Frage vielleicht auch umleiten: Hätte Rio Reiser nicht auch eine Statue oder Gedenktafel am Heinrichplatz bekommen können, statt den ganzen Platz? Das hätte vielleicht auch den Anwohnern besser gefallen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.08.2022, 6 Uhr

Beitrag von Simon Wenzel

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