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Audio: radioeins | 13.10.2022 | Ulf Morling | Quelle: Ulf Morling

Berliner Verwaltungsgericht

Ehemalige AfD-Abgeordnete darf Richterin bleiben

Eine frühere Bundestagsabgeordnete der AfD darf weiter als Richterin im Berliner Landgericht arbeiten. Die Berliner Justizsenatorin Kreck hatte sie in den Ruhestand schicken wollen, um eine "schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege" abzuwenden. Von Ulf Morling

"Wir sehen nichts von einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtspflege durch die Richterin!", so der Vorsitzende Richter des Richterdienstgerichtes Jens Tegtmeyer nach über einstündiger Verhandlung. Die Zurruhesetzung einer Richterin dürfe nicht auf ihre Äußerungen als Abgeordnete im Plenum des Deutschen Bundestags gestützt werden.

Nur bei einer "schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtspflege" wäre es nach dem Deutschen Richtergesetz möglich gewesen, die 58-jährige Zivilrichterin des Berliner Landgerichts in den Ruhestand zu schicken.

Richterzeit als AfD-Abgeordnete unterbrochen

Die 58-Jährige war in der vergangenen Legislaturperiode Bundestagsabgeordnete der AfD. Der Inhalt ihrer Reden vor dem Plenum hätte aus Sicht der Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung zwingend eine "Zurruhesetzung" geboten.

"Die Richterin hat in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum wiederholt und öffentlich Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, ausgegrenzt und wegen ihrer Herkunft herabgesetzt", erklärte die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Die Linke), drei Monate nachdem die Juristin ihre Dienste als Richterin wieder aufgenommen hatte. Auch in ihren Beiträgen in den sozialen Medien sei der Eindruck entstanden, die Richterin werde künftig "nicht unvoreingenommen Recht sprechen".

So erklärte die AfD-Abgeordnete in einer Rede im September zu den "flüchtlingsbedingten Kosten und Gesundheitsfonds/Haushalt 2019": "…Man kommt sich als Steuerzahler als Melkkuh derjenigen vor, die sich diesen Staat zur Beute gemacht haben. Das muss verhindert, das muss gestoppt werden!"

Richterdienstgericht bekräftigt Redefreiheit der Abgeordneten

Das Richterdienstgericht urteilte am Donnerstag, dass die Reden aller Abgeordneten, also auch der früheren AfD-Parlamentarierin, grundgesetzlich geschützt seien nach Artikel 46. Danach darf kein Abgeordneter wegen seiner Abstimmung oder einer Äußerung "gerichtlich oder dienstlich verfolgt werden". Die Kommentare der Abgeordneten auf Twitter oder Facebook seien hingegen nicht auf diese Weise geschützt. Die Überprüfung der von der Senatsverwaltung vorgelegten Tweets u.a. zu den US-Wahlen, der Corona-Pandemie und zu Flüchtlingen zeigten "nicht ansatzweise" in Qualität und Quantität, dass die Richterin eine rechtsextremistische Einstellung habe. Sie könnten nicht als Beleg dafür dienen, dass ihre Rechtsprechung "unglaubwürdig und voreingenommen" sei. Damit darf die 58-jährige weiter als Richterin arbeiten.

Nach dem Urteil

Hochrangige AfD-Funktionäre wie der als rechtsextremistisch-nationalistisch geltende Stephan Brandner, derzeit u.a. stellvertretender Bundessprecher der AfD, folgten dem Prozess. Nach dem Urteil bezeichnete er das Verfahren gegen seine Parteigenossin als "absurd". Wenn man über eine Entfernung aus dem Amt nachdenken sollte, dann sollte die Senatorin und nicht die Richterin betroffen sein, denn "es ist offensichtlich die Norm im Grundgesetz, weswegen Abgeordnete auch dienstlich nicht belangt werden dürfen". Diese Norm sei offensichtlich nahezu unbekannt in dieser Behörde.

Während die Berliner Richterin nun weiter als Richterin arbeiten kann, wurde in Sachsen einem früheren Bundestagsabgeordneten der AfD die Führung der Amtsgeschäfte untersagt. Das Leipziger Richterdienstgericht hatte auf Eilantrag des Sächsischen Staatsminsteriums der Justiz den Richter Jens Maier im März vorläufig die Führung seiner Amtsgeschäfte untersagt. Ein Richter müsse "nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb seines Amtes, auch bei politischen Betätigungen, sich so verhalten, dass das Vertrauen in seine Integrität und Unabhängigkeit nicht gefährdet" sei, hieß es in der Begründung. Der Richter ist vom Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen als Rechtsextremist eingestuft. Am 1. Dezember soll über seine Zurruhesetzung als Richter entschieden werden.

Über die Berliner Richterin hingegen ist beim Verfassungsschutz nichts bekannt, was auf eine Feindschaft zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung schließen ließe, hieß es im Prozess vor dem Berliner Richterdienstgericht.

Berufung der Senatsverwaltung

Gegen das jetzige Urteil kann die Berliner Justizverwaltung in Berufung zum Dienstgerichtshof für Richter gehen. Ein weiteres Vorgehen gegen Richter, die z.B. gegen die Grundsätze der Verfassung verstoßen, ist die sogenannte "Richteranklage" gegen Bundesrichter, die auch in einigen Bundesländern für deren Landesrichter existiert.

Da Richteranklagen in Berlins Landesverfassung nicht vorgesehen sind, möchte die Partei der Justizsenatorin, die Linke, diese "schnellstmöglich" in der Verfassung von Berlin verankern, so der rechtspolitische Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnenenhaus, Sebastian Schlüsselburg, gegenüber dem rbb. Das heutige Urteil zeige, dass es dieses zusätzliche Instrument geben müsse. "Ein Rechtsstaat, der sich selbst ernst nimmt, muss in der Lage sein, Richter:innen, an deren Verfassungstreue ernstliche Zweifel bestehen, einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof zu unterziehen." Im nächsten Rechtsausschuss soll über den Antrag der Linken beraten werden.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 46

Sendung: Radioeins, 14.10.2022, 13:30 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

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