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Audio: rbb24 Inforadio | 20.10.2022 | Jo Goll | Quelle: rbb/privat

Neue Zahlen im rbb-Skandal

Erste Kostenschätzungen für rbb-Medienhaus lagen bei weit über 200 Millionen Euro

In ersten Prognosen für die Gesamtkosten des geplanten rbb-Medienhauses ist von weit über 200 Millionen Euro ausgegangen worden. Von derartigen Summen war bisher nie die Rede.

Zu Beginn der Planungen für den Bau des "Digitalen Medienhauses" (DHM) des rbb sind die Kosten auf weit über 200 Millionen Euro geschätzt worden. Das geht aus Informationen hervor, die dem rbb-Rechercheteam* vorliegen. Diese Zahl wurden durch den Rundfunk Berlin-Brandenburg bislang nicht veröffentlicht.

Zuletzt standen gut 188 Millionen Euro im Raum, die das Medienhaus hätte kosten können. Inzwischen ist das Bauprojekt gestoppt. Zuvor hatte es Berichte über fragwürdige Berateraufträge gegeben und Vorwürfe der Vetternwirtschaft gegen die inzwischen fristlos entlassene Intendantin Patricia Schlesinger.

Umstrittener Neubau

Kosten für Digitales Medienhaus des rbb stiegen von 60 auf 188 Millionen Euro

Vor drei Jahren beschloss der rbb unter Intendantin Schlesinger, einen modernen Neubau zu errichten. Die geplanten Kosten dafür liefen offenbar aus dem Ruder. Kritik daran gab es zwar - hören wollte sie aber von den Verantwortlichen offenbar niemand.

Noch am 21. April 2021 nennt die damalige rbb-Intendantin Schlesinger im Brandenburger Landtag deutlich niedrigere Zahlen und gibt an, dass der rbb alles im Griff habe: Bei anderen Sendern, so Schlesinger, seien die Kosten für moderne Medienhäuser in der Vergangenheit "durchaus leicht aus dem Ruder gelaufen". Der rbb habe dagegen ein Modell gewählt, das vor ausufernden Kosten schützen werde: das Partnering-Modell. Dieses Modell gewährleiste, dass die beteiligten Baufirmen an bestimmte Kosten gebunden seien. "Daher können wir jetzt schon sagen", so Schlesinger damals vor den Abgeordneten des Hauptausschusses, "dass die Bauhülle ungefähr 65 Millionen Euro kosten wird; sehr viel mehr darf es auch nicht sein".

Eine Aussage, die drei Monate später überholt ist - doch das wird nie offen kommuniziert.

Nicht 65 Millionen Euro - sondern mehr als 120

Am 9. Juli 2021 gehen zwei Angebote beim rbb ein: erste Kostenprognosen in Höhe von 123,76 Millionen Euro und 143,16 Millionen Euro, für Planung und Bau des Gebäudes. Allerdings gibt es noch einige offene Fragen und deshalb folgen "technische und kaufmännische Aufklärungsgespräche" mit den Bietern. Ende Oktober liegen dann die neuen Prognosen auf dem Tisch: Der eine Anbieter schätzt die Baukosten auf 159,28 Millionen Euro, der andere kalkuliert mit 146,86 Millionen Euro.

Es wird hin und her gerechnet, und am 1. November 2021 prognostiziert der vom rbb beauftragte Projektsteuerer Gesamtkosten von 199,3 Millionen Euro brutto - allerdings ohne die üblichen zehn Prozent Sicherheitsmarge für "Unvorhergesehenes". Rechnet man die mit ein, landet man bei knapp 219 Millionen Euro für das geplante "Digitale Medienhaus" samt Campus, die "europaweit ausstrahlen" sollten.

Beraterverträge für rbb-Neubau

Sie wussten, was sie tun

Das vorläufig gestoppte Digitale Medienhaus hat den rbb bislang gut 6,6 Millionen Euro gekostet. Etwa eine halbe Million haben Berater kassiert. Doch möglicherweise wurde das Vergaberecht umgangen. Vom ARD-Politikmagazin Kontraste und dem rbb-Rechercheteam*

Wer wusste wann von was?

Als im August 2021 "technische und kaufmännische Aufklärungsgespräche" mit den Bietern geführt werden, ist auch Technik-Direktor Christoph Augenstein dabei. "Die Vorstellung der Firmen hatte ich als übliches Verfahren in der ersten Runde eines Bieter-Wettbewerbs wahrgenommen, welches in den weiteren Verhandlungsrunden dann zu entsprechenden Anpassungen im zu beauftragenden Leistungsumfang und in der Folge zu reduzierten Angeboten führt", teilt Augenstein auf Anfrage des rbb-Rechercheteams mit. "Deshalb hatten die ersten Kostenschätzungen der Unternehmen in dieser Vorstellungsphase für mich keinerlei verbindlichen Charakter." Doch die geschätzten Kosten sinken in der Folge nicht, sondern steigen noch an.

Und: Der Kreis der Eingeweihten wird offenbar kleiner. Immer dabei ist die damalige Leiterin der Intendanz. Der Projektplaner habe die "Kostenprognosen" grundsätzlich an sie kommuniziert, heißt es heute aus der rbb-Pressestelle.

Auf die Frage, was die damalige Intendantin Patricia Schlesinger wusste, teilt ihr Anwalt mit: "Aus einem rbb-Thema soll offenbar ein Schlesinger-Thema konstruiert werden: Die gesamte rbb-Geschäftsleitung kannte seit dem 01.11.2021 die geschätzten Gesamtkosten. Es folgten die Beschlüsse zur Kostensenkung."

rbb-Krise

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Kostenoptimierung ohne Prognosen

Nachdem der Projektsteuerer Anfang November 2021 seine Prognose vorgelegt hat, beschließt die Geschäftsleitung eine "Optimierungsphase": Das Ziel sind Einsparungen von bis zu 30 Millionen Euro. rbb-Chefredakteur David Biesinger und die Leiterin der Intendanz machen sich als führende Köpfe des Lenkungsausschusses an die Arbeit. Doch Biesinger weiß nach eigener Aussage nicht, dass zu diesem Zeitpunkt die Prognosen schon bei weit über 200 Millionen Euro liegen. Diese Zahlen hätten ihm und dem Lenkungsausschuss für das DMH nicht vorgelegen, sagt Biesinger auf Nachfrage. Es habe immer geheißen, die Zahlen seien Sache der Intendanz.

25 Millionen werden aus dem Projekt gestrichen und Mitte Dezember liegt eine neue Gesamtkostenprognose vor: 188,6 Millionen Euro für alles - samt Vorarbeiten, Ausstattung und einem Zuschlag für "Unvorhergesehenes".

Noch immer eine große Investition für einen Sender, dessen Finanzchef damals bis 2026 mit jährlichen Einnahmen aus Beiträgen in Höhe von 430 bis 445 Millionen Euro rechnet. Zum Vergleich: Der Bayerische Rundfunk erzielt 2021 Erträge in Höhe von 1,119 Milliarden Euro und rechnet für eine Standortverlagerung und Neubauten mit Kosten von 200 Millionen Euro. Der Südwestrundfunk will ein neues Medienzentrum in Baden-Baden für 56,7 Millionen Euro bauen: Seine Beitragseinnahmen liegen im Jahr 2021 bei etwas mehr als eine Milliarde Euro.

Entscheidung des Verwaltungsrats

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Geschäftsleitung sucht Finanzierungsmöglichkeiten

Zur Geschäftsleitung gehört auch Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus. Er räumt heute ein, dass er sich vor allem vom Prinzip "Vertrauen" leiten ließ. Er habe die vorliegenden Zahlen als jeweils noch "veränderbare Zwischenstände wahrgenommen und darauf vertraut, was die Intendantin und die Leiterin der Intendanz immer wieder beteuert haben", dass nämlich erst 2023 ein "realistischer Preis" feststehen würde und "insgesamt nicht mehr als 160 Millionen Euro ausgegeben werden" sollten. 160 Millionen Euro – immer noch ein stolzer Preis für einen kleinen Sender.

Doch statt im Kreis der Geschäftsleitung offen zu diskutieren, ob das Projekt wirklich angemessen sei, wird der Finanzchef des Senders beauftragt, ein Finanzierungskonzept zu erarbeiten und Verhandlungen mit den Banken aufzunehmen. Noch im Dezember 2021 beginnt er die Banken zu kontaktieren: Es geht um 188 Millionen Euro. Wirklich besprochen werden diese Zahlen nach bisherigem Wissensstand nicht.

Chefredakteur Biesinger erklärt, dass er zu diesem Zeitpunkt davon ausging, dass die geplanten Einsparungen von 25 Millionen Euro sich auf eine Kostenprognose von 188 Millionen Euro bezogen, also die Kosten nach den Einsparungen bei etwas mehr als 163 Millionen Euro liegen würden. Von den bereits vorliegenden Prognosen habe er erst durch das rbb-Rechercheteam erfahren. Programmdirektor Schulte-Kellinghaus fragt sich inzwischen, ob er "durch intensiveres Einfordern und detailliertere Befassung mit der Materie, früher hätte zu der Erkenntnis kommen können", dass schon im Dezember 2021 eine realistische Gesamtkostenprognose vorgelegen habe. "Das Recherchieren im Bauprojekt über die bestehende Aufgabenverteilung hinaus, hätte", so Schulte-Kellinghaus, "ein Misstrauen meinerseits gegen die Intendantin und die Leiterin der Intendanz vorausgesetzt. Dazu hatte ich damals aber noch keine Veranlassung."

Produktionsdirektor Augenstein erklärt heute angesichts der inzwischen bekannten Kostenschätzungen, dass der rbb zur Finanzierung des DMH "an vielen Stellen große Einsparungen umsetzen müsste, was ich zur Finanzierung eines Bauvorhabens nicht für sinnvoll halte". Ihm gegenüber habe die Intendantin aber stets ein Gesamtvolumen von 150 Millionen Euro als "absolute Obergrenze" dargestellt.

Kollektives Kontrollversagen

Vertrauen und die Zusage von externen Beratern, dass noch vor Baubeginn weitere Einsparungen möglich seien, haben die Verantwortlichen in der Geschäftsleitung offenbar dazu gebracht, dass Projekt immer weiter voranzutreiben und sich dabei treiben zu lassen. Alles sollte schnell gehen, für einen reibungslosen Ablauf verließ man sich auf Berater. Ob es nicht doch eine Nummer zu groß war, diese Frage wurde nicht gestellt.

Den rbb haben die Planungen bislang mehr als sechs Millionen Euro gekostet, die dem ohnehin klammen Sender jetzt fehlen. Wie hoch die bereits entstandenen Kosten für das inzwischen vorerst gestoppte Projekt "Digitales Medienhaus" am Ende sein werden, kann derzeit niemand genau sagen.

*Zum rbb-Rechercheteam gehören derzeit René Althammer und Jo Goll.

Sendung: Abendschau, 20.10.2022, 19:30 Uhr

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