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Quelle: dpa/C. Soeder

Interview | Berlinerin bei UN-Klimakonferenz

"Zum Ende hin packt man lieber seine Zahnbürste ein"

Die UN warnen vor einem "Klima-Notstand", ihre Klimaziele verfehlt die Gemeinschaft bei Weitem. Die Berlinerin Sabine Minninger nimmt ab Sonntag an der Weltklimakonferenz in Ägypten teil. Im Interview erzählt sie, wie Verhandlungen dort ablaufen - und was das bringt.

rbb|24: Frau Minninger, Sie reisen von Berlin zum UN-Klimagipfel in Sharm el-Sheik. Was wird dort Ihre Aufgabe sein?

Sabine Minninger: Wir von "Brot für die Welt" sind Teil der Zivilgesellschaft und haben seit 15 Jahren einen Beobachterstatus bei der Klima-Rahmenkonvention der Vereinten Nationen. Wir erfüllen dort unsere Watchdog-Funktion. Das heißt, wir beobachten zum einen den Prozess, aber wir nehmen auch politischen Einfluss. Das heißt, man kann dort Veranstaltungen anmelden, um auf seine politischen Forderungen aufmerksam zu machen.

Auch die Medienarbeit ist ein sehr wirksames Instrument der Einflussnahme. Wir sitzen in den Verhandlungen und sehen, was schiefläuft. Wir übersetzen diesen hochkomplizierten Prozess für die Öffentlichkeit und üben somit auch politischen Druck auf unsere Regierungen aus.

Zur Person

Sabine Minninger

Ihre wievielte Konferenz wird das sein? Wie lange braucht man, bis man das für sich durchdrungen hat?

Vor 15 Jahren habe ich meinen ersten Klimagipfel in Polen besucht. Dann habe ich jedes Jahr den Klimagipfel mitgemacht, außer den letzten, da war ich in Elternzeit. Der Unterschied zu früher ist der, dass die Konferenz um einiges komplexer geworden ist. Der Verhandlungsprozess ist total aufgeblasen. Ich kenne weltweit nur ganz wenige Menschen, die einen Überblick über alle Handlungsstränge haben. Deshalb teilen wir uns mit anderen Organisationen die Aufgaben.

Welche Möglichkeiten hat man bei so einer Konferenz überhaupt, Regierungen davon zu überzeugen, mehr für die ärmsten Staaten in der Klimakrise zu zahlen, wenn sie das nicht wollen?

Ich glaube, die Weltgemeinschaft wird sehen, dass es letztendlich besser ist, den armen Staaten nach Extremereignissen ganz schnell wieder zu helfen, auf die Beine zu kommen. Das stabilisiert auch den internationalen Frieden. Es kann nicht in unserem Interesse sein, dass Staaten wegen der Klimakrise scheitern. Das erzeugt eine Kettenreaktion: Millionen von Menschen werden aufgrund des Klimawandels vertrieben werden. Es wird soziale Unruhen geben, Konflikte um Ressourcen - auch kriegerische Auseinandersetzungen.

Wenn man der Verursacher eines Schadens ist, muss man normalerweise auch dafür geradestehen. In der Klimakrise ist das bisher nicht der Fall. Es sind die Menschen im globalen Süden, die die Folgen der Klimakrise tatsächlich "auslöffeln müssen".

Aber wir im Norden werden dieses Thema nicht umschiffen können. Die Klimaschäden sind da, die Zahl der Extremereignisse steigt nachweislich. Wir erwarten Schäden alleine in den Entwicklungsländern zwischen 290 bis 580 Milliarden US-Dollar pro Jahr ab dem Jahr 2030. Aber alles, was die Weltgemeinschaft bis jetzt zugesagt hat, sind 100 Milliarden US-Dollar ab dem Jahr 2020 für Klimaschutz und Anpassung, nicht für Klimaschäden. Und selbst die sind nicht zusammengekommen. Es gibt eine riesengroße Lücke, denn die Staaten haben sich nie konkret verpflichtet, Geld für Klimaschäden bereitzustellen. Sie blockieren, wenn es um verbindliche Zusagen geht.

Ambitionierter als sein Vorgänger Trump - aber was US-Präsident Joe Bidens Worte zum Thema Klimaschutz am Ende wirklich wert sind, müssen erst die Verhandlungen zeigen. | Quelle: dpa/Alex Brandon

Wie beurteilen Sie hierbei die Rolle der USA? Beim CO2-Ausstoß liegt das Land auf Platz 2. Unter Trump ging es rückwärts, man trat aus dem Pariser Klima-Abkommen aus. Joe Biden hat das wieder rückgängig gemacht. Aber wieviel handfeste Unterstützung zeigt die Regierung der Vereinigten Staaten gerade abseits von Absichtserklärungen?

Die USA waren schon immer ein ganz schwieriger Verhandlungspartner. Es gab Präsidenten, die der Klimathematik sehr zugewandt waren, zum Beispiel Obama. Aber trotzdem verhandelte seine Delegation am Ende knüppelhart. Beim Pariser Abkommen im Jahr 2015 habe ich miterlebt, mit was für harten Bandagen da gekämpft wurde. Tatsache ist, dass die USA damals dafür gesorgt haben, dass das Thema Haftbarkeit von Industriestaaten für Klimaschäden komplett von der Agenda gestrichen worden ist. Sie haben klargestellt, dass keine Gelder bereitgestellt werden und man niemals die USA für Klimaschäden weltweit haftbar machen kann. Dieses Spiel wurde also auch unter Obama gespielt.

Trotzdem: Schlimmer als unter Trump konnte es beim Klimaschutz nicht werden. Joe Bidens Administration macht zumindest einen sehr bemühten, zugewandten Eindruck. Sie zeigt eine große Bereitschaft, das Pariser Abkommen umzusetzen. Aber es bleibt fraglich, wie sie das zuhause durchgesetzt bekommen wollen. Ich glaube deshalb nicht, dass die USA großes Vertrauen in den Prozess bringen können, wenn sie selbst nicht mit gutem Beispiel vorausgehen. Und das sehe ich bisher nicht wirklich, wenn es um die Unterstützung der ärmsten Staaten geht.

Auf Platz 1 bei den CO2-Emissionen liegt mit großem Abstand China. Wie beurteilen Sie die Anstrengungen der chinesischen Regierung?

China ist genauso wie die USA ein sehr schwieriger Partner und wird auch bei dem Thema klimabedingte Schäden eine recht interessante Rolle spielen. China macht viel, auch im eigenen Land, fährt auch viele progressive Programme. Beim Thema Ausgleich von Klimaschäden unterstützt China mit der Gruppe der gesamten Entwicklungsländer die ärmsten Staaten in der Forderung nach finanzieller Unterstützung. Aber selber Geld für die ärmsten Staaten bereitzustellen - diese Bereitschaft hat die chinesische Führung bis jetzt nicht gezeigt.

Mit welchen Erwartungen fliegen Sie zu dieser Konferenz?

Ich erwarte, dass die Staatengemeinschaft ihre nationalen Klimaschutzziele verbessern wird, dass wir eben nicht - wie es jetzt gerade aussieht - bei 2,5 Grad globaler Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts landen, sondern es schaffen, die globale Erwärmung um den Temperaturanstieg bei plus 1,5 Grad einzupendeln. Alles andere wäre wortwörtlich unmenschlich, würde aber auch eine drastische Gefahr für die Biodiversität auf unserem Planeten bedeuten. Um die schlimmsten Folgen abzufedern, müssen die Industriestaaten den ärmsten Staaten finanzielle Zusagen machen - und das werden die härtesten Verhandlungen werden. Die Bedürfnisse der ärmsten und verletzlichsten Staaten werden auf solchen Klimakonferenzen gerne im Verhandlungspoker ausgespielt. Und das ist besonders dreckig.

tagesschau.de

Was Experten gegen die Klimakrise empfehlen

Nehmen Sie uns mal mit zu so einem Verhandlungstag. Wie läuft sowas ab?

Die ersten Tage haben einen ganz sanften Einstieg, das sind nur zwölf Stunden am Tag. Wenn es Richtung Ende der Verhandlungen geht, packt man besser eine Zahnbürste mit ein. Das gab es tatsächlich einige Male, dass wir die ganze Nacht im Verhandlungszentrum geblieben sind. Die Präsidentschaften, die die Verhandlungen führen, haben über die Jahre zum Glück dazugelernt - ich hoffe, das wird auch in Ägypten so sein. Beim Abkommen von Paris zum Beispiel hat die französische Präsidentschaft die Leute nachts zum Schlafen ins Hotel geschickt. Das haben wir denen sehr hoch angerechnet. Die Erfahrung zeigt nämlich: Ein unmenschlicher Prozess bringt auch unmenschliche Ergebnisse. Aber so oder so wird es ein Marathon.

Hintergrund

COP27

Greta Thunberg hat die Konferenz kürzlich bei einer Buchvorstellung in London als "Greenwashing" kritisiert und dass sie deshalb nicht dort hinfahre [theguardian.com]. Ist an dieser Kritik etwas dran?

Da ist auf jeden Fall sehr viel dran. Aber auf der anderen Seite sehe ich auch, dass ganz schön viel passiert bei diesem Klimagipfel: Es ist besser, ihn zu haben, als ihn nicht zu haben. Das Schlimmste wäre, wenn die Welt nicht mehr über den Klimawandel reden und verhandeln würde. Und es geht ja jedes Jahr zumindest einen Schritt nach vorne und nicht einen zurück - wenn auch nur einen kleinen. Aber natürlich wird dort Greenwashing betrieben. Darin sehe ich aber auch meine Daseinsberechtigung bei diesem Klimagipfel: jegliche Form von Täuschung, die da betrieben wird, aufzudecken und den Finger in die Wunde zu legen.

Zusammengefasst sind das Ankündigungen, mit denen man nach außen möglichst gut dasteht, aber dafür möglichst wenig tun muss. Haben Sie dafür Beispiele?

Die Klimafinanzierung ist hier ein richtig dicker Brocken. Regierungen sagen, wir haben so und so viel Geld versprochen und dann guckt man rein und sieht, dass das Gelder sind, die als Kredite zurückgezahlt werden müssen, zum Teil sogar mit hohen Zinsen. In diesen Fällen verdienen Industriestaaten sogar noch an der Klimakrise. Das halte ich für eine Frechheit.

Es gibt auch das "Double Counting", dass zum Beispiel Staaten bei Geldern, die sie für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben, gleich noch mal ein Häkchen dran setzen und sagen, dass sie das für Klimafinanzierung ausgeben. Dann weist man die eine Million Euro, die man vorher für Entwicklungshilfe ausgegeben hat, auch als eine Million Euro für Klimafinanzierung aus - und so werden daraus plötzlich zwei Millionen.

Anderes Beispiel: Guckt man sich die angeblich verbesserten Klimaschutzziele mancher Staaten an, sieht man plötzlich: Das ist in keiner Weise eine Verbesserung und es gibt überall Schlupflöcher.

Deutsche Welle | COP27

Ägypten: Ein paar Haftentlassungen und mehr politische Repression

Was müsste man tun, um solche Konferenzen effektiver zu gestalten?

Gut wäre, wenn alle Staaten vorab ihre Hausaufgaben machen würden. Dann wäre so eine Konferenz innerhalb von zwei Tagen, anstatt von zwei Wochen zu schaffen. Es ist nämlich so: Erst in den letzten Stunden fangen wirklich die Verhandlungen an. Die knapp zwei Wochen davor lässt sich niemand in die Karten schauen, nennt keiner seine roten Linien. Das passiert alles erst in der letzten Nacht. Und das ist reine Zeitverschwendung.

Ein Beispiel: Länder wie Deutschland kommen mit zig Verhandlern zu diesem Klimagipfel, der Inselstaat Tuvalu mit einer Verhandlerin, einige afrikanische Staaten mit höchstens zwei. Es ist total unfair, dass die größeren Teams alle im Wechsel mal ins Hotel gehen, schlafen, duschen können - und die kleinen das notgedrungen durchziehen müssen. Die Industriestaaten müssten zuhause schon ihren Koffer mit ihren Möglichkeiten und politischen Angeboten füllen - und damit dann zum Klimagipfel fahren. Stattdessen pokern sie dort bis zur letzten Minute.

Über welchen Aspekt wird in der öffentlichen Debatte Ihrer Meinung nach noch zu wenig geredet?

Ich glaube, das Thema Klima-Notstand ist auch in Deutschland noch nicht so ganz in den Köpfen der Bevölkerung angekommen. Nehmen wir die Katastrophe im Ahrtal: Deutschland hat 30 Milliarden Euro für die Kompensation dieser Schäden aufgebracht. Der Klimawandel wird auch uns treffen, auch sehr hart. Da ist es billiger, jetzt ambitionierten Klimaschutz zu betreiben, eine ambitionierte Energiewende.

Man hat nicht im Kopf, welche Kosten auf uns zukommen, wenn wir in diesem Bereich zu wenig tun. Wir geben schon heute Milliardenbeträge aus, zur Kompensation von Bauern, weil wir eine Dürre nach der anderen hatten. Oder weil der Rhein nicht genug Wasser geführt hat und deshalb Schifffahrt und Handel lahmgelegt waren.

Meine Generation ist noch mit Versicherungen aufgewachsen: Für alles, was passiert, springen Versicherungen ein, springt der Staat ein. Wir werden aber irgendwann an einem Punkt sein, wo wir nicht mehr in der Lage sein werden, solche Versicherungsprämien zu finanzieren oder eine Versicherung überhaupt nicht mehr abgeschlossen werden kann - und auch der Staat nicht mehr in der Lage sein wird, einem Klima-Notstand nach dem anderen hinterherzurennen. Deshalb verstehe ich nicht, dass wir den Handlungsspielraum, den wir jetzt haben, nicht voll nutzen, um eben später keine Klimahysterie zu haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sebastian Schneider, rbb|24

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.11.2022, 8 Uhr

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