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Quelle: dpa/M.Becker

Platzmangel und hoher Notendruck

Warum Berlin den Übergang an die Oberschule neu regeln will

Siebtklässler ganz ohne Schulplatz und Schüler mit einem Fahrtweg von einer Stunde: In Berlin ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen beim Wechsel von der Grund- auf weiterführende Schule gekommen. Nun soll es besser werden. Nur wie? Von F. Steinberg

Zum Schuljahr 2025/26 soll es in Berlin neue Regeln geben, wie Schülerinnen und Schüler auf die Oberschulen verteilt werden. "Der Übergang an Integrierte Sekundarschulen (ISS) und Gemeinschaftsschulen (GemS) soll reformiert werden", teilte Martin Klesmann, der Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung, rbb|24 mit.

Im Detail äußerte sich Klesmann nicht. Er teilte lediglich mit, Ziel der Änderungen sei es, "die Heterogenität an den übernachgefragten Schulen zu erhöhen". Und das Probejahr an Gymnasien solle abgeschafft werden.

Momentan würden sich Arbeitsgruppen in der Senatsverwaltung mit den auch im Koalitionsvertrag vereinbarten Reformen [berlin.de] beschäftigen, so Sprecher Klesmann. "Realistischerweise" sei dann im übernächsten Schuljahr mit geänderten Aufnahmeregeln zu rechnen.

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Etwa jedes zehnte Kind bekommt keinen Wunschplatz

In den vergangenen Jahren waren bei der Verteilung von Schülerinnen und Schüler auf die weiterführenden Schulen zur 7. Klasse verschiedene Probleme aufgetaucht. So hatten beispielsweise im vergangenen Sommer rund 170 Kinder über das reguläre Verfahren zunächst gar keinen Schulplatz bekommen.

Andere Kinder bekamen zwar einen Schulplatz, jedoch nicht auf einer der von ihnen ausgewählten drei Wunschschulen - teils trotz einem Notendurchschnitt im Einserbereich. "Gut 91 Prozent der Schülerinnen und Schüler erhalten einen Platz an einer der von ihnen gewählten Schulen (Erst-, Zweit oder Drittwunsch)", sagte der Sprecher der Bildungsverwaltung, Klesmann. Das bedeutet aber auch: Neun Prozent bekommen einen Schulplatz an irgendeiner Schule im Berliner Stadtgebiet zugeteilt. Die auch durchaus weit entfernt liegen kann.

Interview | Rechtsanwalt zur Schulplatz-Klagen

"Es kommen teils sehr verzweifelte Eltern zu uns"

Im Februar melden Berliner Eltern ihre Kinder an den weiterführenden Schulen an. Jedes Kind hat drei Wünsche frei. Trotzdem landen viele nicht an der Schule, die sich die Eltern für sie vorgestellt haben. Manche klagen dann. Ein Berliner Rechtsanwalt berichtet, wie das abläuft.

Bis zu eine Stunde Fahrtweg gilt als zumutbar

Nach dem bisherigen Verfahren können die Familien drei Wunschschulen nennen. Die Erstwunschschule kann berlinweit frei gewählt werden. Die Plätze zwei und drei sollten Schulen aus dem eigenen Wohnbezirk sein.

Die Schulen verteilen die Plätze dann nach einem festen Schlüssel: 60 Prozent der verfügbaren Plätze werden im Wesentlichen nach dem Notendurchschnitt besetzt, der auf der sogenannten Förderprognose zu finden ist. Oft gilt: Je bessere Noten, umso wahrscheinlicher, dass ein Kind auf seiner Erstwunsch-Schule angenommen wird. 30 Prozent der Plätze werden unter den Anmeldern verlost. Zehn Prozent der Plätze gehen an Härtefälle. Geschwisterkinder werden bei der Aufnahme vorrangig behandelt.

Wer keinen Platz an einer der Wunschschulen ergattert, bekommt einen Platz vom Schulamt vorgeschlagen. Diese Schule kann auch in einem anderen Bezirk liegen. Bis zu einer Stunde Fahrtweg gilt als zumutbar.

"Mehr als eine halbe Stunde will eigentlich keiner fahren"

Vor allem Letzteres bringe Eltern, deren Kind einen Schulplatz zugewiesen bekommen habe, dazu, juristisch dagegen vorzugehen, sagt Olaf Werner. Er bearbeitet als Rechtsanwalt viele Schulplatz-Klagen. "Die allermeisten Eltern hätten gerne eine halbwegs vernünftige Schule in der Nähe der Wohnumgebung des Kindes", so Werner. "Sie wollen nicht, dass ihr elf- oder zwölfjähriges Kind eine Stunde lang durch die Stadt fahren muss. Mehr als eine halbe Stunde will eigentlich, bis auf ein paar Ausnahmefälle, keiner fahren."

Dennoch zeigt er ein gewisses Verständnis für die jetzige Regelung: "Vor etwa zehn Jahren noch gab es in Berlin das genau gegenteilige Auswahlverfahren", erklärt Werner. "Damals war der Maßstab, dass den Schulplatz bekam, wer am nächsten dranwohnte." Ausschlaggeben war der Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln. "Das war dann für denjenigen blöd und ungerecht, der den längsten Fußweg zur Bushaltestelle hatte." Auch dieses Verfahren habe zu juristischen Auseinandersetzungen geführt.

Argumente für und gegen die Wohnortnähe als Kriterium

Auch im Bezirkselternausschuss (BEA) in Pankow ist man hin- und hergerissen. "Wir diskutieren im BEA Pankow immer wieder die Wohnortnähe als Vergabekriterium", heißt es vom Vorstand. "Hier gibt es Argumente dafür und Argumente dagegen, aber bisher keine einheitliche Position."

Im Bezirk Pankow waren Schulplätze zuletzt besonders hart umkämpft, wie Rechtsanwalt Werner bestätigt. So hatten hier im vergangenen Jahr rund 60 Kindern keinen Schulplatz nach dem regulären Verfahren bekommen. Pankower Schülerinnen und Schüler müssten teils bis Dahlem oder Spandau fahren, um eine Schule zu besuchen, kritisiert der Pankower Elternausschuss. Für Freunde und Hobbys bleibe kaum noch Zeit, die Kinder würden "entwurzelt".

Plätze nur für die mit sehr guten Noten

Zwar habe das 60-30-10-System auch gute Seiten, heißt es von den Pankower Elternvertretern. "Zu den Vorteilen zählt, dass das Verfahren im Grundsatz eine freie Schulwahl ermöglicht", so der Vorstand des LEA Pankow. Das Losverfahren sichere "ein gewisses Maß an Durchmischung".

Insgesamt eher nachteilig sei die starke Orientierung der Schulen an der Durchschnittsnote. "Die Fokussierung auf Noten sorgt bei den Schülerinnen und Schülern für Stress und setzt auch die Eltern unter Druck." Problematisch aber sei vor allem, dass der Mangel an Schulplätzen in Berlin die Lage zuspitze: Bei knappen Plätzen laufe das bisherige System darauf hinaus, "dass in bestimmten Fällen nur noch Schülerinnen und Schüler mit besonders guten Noten Plätze erhalten".

Unterstützung von Eltern nötig

Auch Norman Heise, Vorstand des Berliner Landeselternausschuss Schule (LEA), sieht das Problem vor allem in den fehlenden Schulplätzen. "Je weniger Schulen es gibt, die freie Kapazitäten haben, umso stärker steigt die Zahl der übernachgefragten Schulen. Und in gleichen Maßen steigt das Problem mit den sogenannten NCs."

Ausbaden müssen das dann die Familien. Neben dem Notendurchschnitt hänge ein gelungener Übergang in die Oberschule nämlich auch davon ab, wie stark sich die Eltern reinhängen, sagt Heise. Also inwieweit die Eltern sich informieren und Chancen an einzelnen Schulen ausrechnen. "Weniger bildungsaffine Eltern" würden dies seltener tun. "Diese nehmen möglicherweise einfach nur irgendeine Schule, die in der Nähe ist. Die dann möglicherweise besonders übernachgefragt ist oder auch sonst gar nicht zu ihrem Kind passt."

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Mehr Transparenz, andere Mechanismen?

In einem ersten Schritt, so Heise, könnte daher mehr Transparenz helfen. Würde zum Beispiel die Durchschnittsnote veröffentlicht, bis zu der eine Schule im Vorjahr Schüler angenommen hat, könnten alle Eltern und Kinder vermutlich übernachgefragte Schulen meiden. Aber: "Die Senatsbildungsverwaltung verweigert das mit der Begründung, kein Ranking der Schulen haben zu wollen. Das verstehen wir nicht."

In einem zweiten Schritt, so Heise, könne man an den Mechanismen für die Platzvergabe schrauben. Eine Idee könnte sein, dass Familien beispielsweise statt drei Wunschschulen mehr davon angeben könnten, "so dass sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind nur übernachgefragte Schulen wählt, verringert".

Forderung nach Änderung der Quoten an ISS

Möglich seien auch andere Quoten als 60 Prozent (Note), 30 Prozent (Auslosung) und 10 Prozent (Härtefälle), sagt Heise. "Es gibt Extrembeispiele wie eine ISS mit gymnasialer Oberstufe, wo der Schnitt bei 1,5 liegen muss, um sicher einen Schulplatz zu bekommen. Das heißt, dass 60 Prozent der Schüler dort im Endeffekt besonders leistungsstark sind - und nur 30 Prozent sind das nicht so sehr. Da habe ich natürlich eine andere Durchmischung der Schülerschaft, als wenn die Quote bei 50:50 liegen würde."

Rechtsanwalt Werner kennt ähnliche Fälle, bei denen der Notendurchschnitt an ISS sehr hoch liegt. "Das ist komplett absurd. Für die Integrierten Sekundarschulen wurden Haupt- und Realschulen abgeschafft, das sollte die Schule für jedermann sein. Ich finde, man sollte an solchen Schulen das Auswahlverfahren nicht vor allen Dingen nach dem Leistungsprinzip durchführen", sagt der Jurist.

Auch Ralf Treptow, Leiter eines Gymnasiums in Pankow und ehemaliger Vorsitzender der "Vereinigung der Oberstudiendirektoren" (VOB), spricht sich im Gespräch mit rbb|24 für veränderte Quoten aus - vor allem an Integrierten Sekundarschulen.

Die Regeln, wie die Schulplätze vergeben würden, seien für alle Schulformen - ob ISS mit gymnasialer Oberstufe, ISS ohne Oberstufe oder Gymnasium - dieselben, kritisiert Treptow. Tatsächlich aber gebe es an diesen Schultypen ganz unterschiedliche Bedingungen. So hätten ISS beispielweise kleinere Klassen und mehr Personal als Gymnasien. Daher gebe es Fälle, dass der Notendurchschnitt an einer Sekundarschule höher liege als bei einem benachbarten Gymnasium. Die Schieflage zwischen ISS mit Oberstufe und ohne sei sogar teils noch größer, so Treptow. Sein Vorschlag: Jede ISS muss die Plätze gerecht unter allen Bewerbern verteilen, durch Quoten für jeden Leistungsstand. Eine Schule müsste also eine bestimmte Menge von 1-2er Kandidaten nehmen, das gleiche gilt für Kinder mit 2-3er-Durchschnitt oder 3-4er. An Gymnasien mache die Zulosung schwächerer Schüler hingegen weniger Sinn, so Treptows Ansicht.

"Konkret gefordert ist, die zumutbare Wegstreckenzeit zu verkürzen"

Abseits von Ideen, wie die Schulplätze anders vergeben werden könnten, hat Norman Heise vom Landeselternausschusses aber auch klare Forderungen: "Was wir konkret gefordert haben vom Senat ist, dass man die zumutbare Wegstreckenzeit von 60 Minuten, die auch nicht wirklich in einer Verordnung oder einem Gesetz festgehalten ist, verkürzt auf maximal 45 Minuten", so Heise.

Und natürlich: mehr Schulen. "Wenn man mehr Schulplätze hätte, könnte das Vergabesystem auch entlastet werden", sagt Norman Heise. "Denn zu Beginn hat es ja noch relativ gut funktioniert."

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Beitrag von Friederike Steinberg; Mitarbeit: Sabine Priess

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