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Quelle: dpa/T.Brakemeier

Interview | Rechtsanwalt zur Schulplatz-Klagen

"Es kommen teils sehr verzweifelte Eltern zu uns"

Im Februar melden Berliner Eltern ihre Kinder an den weiterführenden Schulen an. Jedes Kind hat drei Wünsche frei. Trotzdem landen viele nicht an der Schule, die sich die Eltern für sie vorgestellt haben. Manche klagen dann. Ein Berliner Rechtsanwalt berichtet, wie das abläuft.

rbb|24. Guten Tag, Herr Werner. Sie sind Anwalt für Schulrecht in Berlin. Wer wendet sich mit welchen Belangen an Sie? Gibt es bestimmte Termine, zu denen sich regelmäßig viele Eltern melden?

Olaf Werner: Unser Hauptthema sind Schulplätze in Berlin. Da geht es um alle Schularten und Schultypen und um alles, was mit der Aufnahme zu tun hat - also vor allem erste, fünfte und siebte Klasse, wo die kritischen Übergangspunkte sind.

Bei uns melden sich überwiegend Eltern; sie kontaktieren uns mitunter schon im Vorfeld – also bei der Schul-Anmeldung. Die allermeisten Eltern melden sich aber, wenn sie nicht den Schulplatz für ihr Kind bekommen haben, den sie sich gewünscht haben, also wenn die Ablehnungsbescheide da sind. Unsere Hauptsaison ist daher der Sommer.

Zur Person

Olaf Werner

Nun müssen die Eltern ihre Kinder in diesem Jahr zwischen 14. und 23. Februar an den weiterführenden Schulen Berlins anmelden. Ist das so ein Termin, zu dem sich dann schon viele Eltern melden?

Im Bereich der weiterführenden Schulen hält sich die Nachfrage – ganz im Gegensatz zu den Grundschulen – zum Anmeldezeitraum noch in Grenzen. Aber es melden sich für die weiterführenden Schulen doch auch schon ab November langsam Eltern. Oft haben sie spezielle Fragen zu bestimmten Schulen. Ansonsten melden sich auch einige im Januar, die vor der Anmeldung wissen wollen wie man beispielsweise einen Härtefallantrag stellt oder sie haben taktische Fragen zu besonders nachgefragten Schulen. Manche melden sich auch vor der Anmeldung ihres Kindes, weil sie befürchten, an der Wunschschule eine Ablehnung zu bekommen und sie schon mal als Mandanten im Register stehen wollen.

Melden sich aus bestimmten Bezirken besonders viele Eltern?

Die Elternschaft kommt kreuz und quer aus der ganzen Stadt. Es gibt aber natürlich Schwerpunkte. Aus Spandau oder Reinickendorf beispielsweise haben wir kaum Anfragen. Im Bereich der weiterführenden Schulen hatten wir in den vergangenen Jahren besonders viele Eltern aus Pankow oder Lichtenberg, die sich gemeldet haben.

Mit welchen Problemen kommen die Eltern hinsichtlich der weiterführenden Schulen?

Die allermeisten Eltern hätten gerne eine halbwegs vernünftige Schule in der Nähe der Wohnumgebung des Kindes. Sie wollen nicht, dass ihr elf- oder zwölfjähriges Kind eine Stunde lang durch die Stadt fahren muss. Mehr als eine halbe Stunde will eigentlich, bis auf ein paar Ausnahmefälle, keiner fahren.

Warum melden die Eltern ihre Kinder dann nicht einfach bei genau so einer Schule an?

Das machen die meisten Eltern. Doch da das Auswahlkriterium für die Schule aber am Ende nicht die Wohnortnähe ist, sondern es in erster Linie um die besten Noten geht, besteht die Gefahr, dass das nicht klappt.

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Welchen Eltern raten sie zu einer Schulplatz-Klage? Nur denen, deren Förderprognosen-Note nah dran ist an der, bis zu der eine Schule zuvor Kinder aufgenommen hat?

Auch Kinder mit nicht so guten Noten haben, wenn sie eine Ablehnung bekommen haben, eine Chance über ein Wiederspruchs- oder dann gerichtliches Verfahren, doch noch einen Platz an ihrer Wunschschule zu bekommen. Der Maßstab, der vom Gericht dann für die Verteilung angesetzt wird, ist nicht primär die Note. Das Gericht schaut immer, ob es Fehler im Vergabeverfahren gab – also ob Plätze an der Wunschschule des Kindes falsch vergeben worden sind. Da geht es darum, ob Kinder im Auswahlverfahren berücksichtigt wurden, die gar nicht hätten berücksichtigt werden dürfen. Beispielsweise geht es da um Kinder, deren Meldeadresse gar nicht in Berlin war. Oder wo der Notendurchschnitt falsch errechnet war. Bei einem fehlerhaft vergebenen Platz gibt es hinterher zum Ausgleich Zusatzplätze über das Verwaltungsgericht. Im Wesentlichen geht es immer darum, Fehler im Auswahlverfahren zu finden. Aber es klappt natürlich nicht immer.

 

Sie sagen, es gibt dann Zusatzplätze. Doch es kann ja nicht unendliche zusätzliche Plätze an einer Schule geben?

Unendlich viele nicht. Irgendwo wird dann natürlich vom Gericht gedeckelt. Aber das kommt selten vor, denn es wird ja auch nicht so viel geklagt. Es kommt schon überaus selten vor, dass an einer Schule 20 Kinder klagen. An der Merian-Schule in Treptow-Köpenick hatten wir 2021 ein Verfahren, in dem es zwischen zehn und zwölf Kläger gab. Das waren dann schon extrem viele. Für die ist es aber gut gelaufen: sie alle haben zusätzliche Plätze bekommen. Der Regelfall sind aber drei bis fünf Klagen pro Schule. Manchmal klagt auch gar keiner.

Und da geht es immer um Zusatzplätze? Es muss also kein Kind, dessen Verfahren dann als fehlerhaft aufgedeckt wurde, seinen Schulplatz wieder hergeben?

Doch, das kann im Einzelfall auch vorkommen. Aber das ist nur so, wenn sich durch das gerichtliche Verfahren herausstellt, dass die Eltern für das Kind unwahre Angaben bei der Antragsstellung gemacht haben. Da geht es beispielsweise um Scheinanmeldungen. Also wenn ein Kind gar nicht in Berlin wohnt, sondern im angrenzenden Brandenburg, und die Eltern haben das Kind zuvor noch schnell umgemeldet auf die Oma oder Tante in Berlin. Wenn dann im Gerichtsverfahren rauskommt, dass das Kind doch in Brandenburg lebt, kann das Schulamt diesem Kind den Schulplatz wieder entziehen.

In welchem emotionalen Zustand sind Eltern und Kinder, die sich an sie wenden?

Das ist sehr unterschiedlich. Aber es kommen teils sehr verzweifelte Eltern zu uns. Vor allen Dingen, wenn die Kinder sehr weit fahren sollen, ist das für die Eltern schlimm. Da geht es ja nicht nur um die Länge der Fahrstrecke, sondern auch darum, dass ein Kind, das gerade noch nur in seinem Wohnkiez unterwegs war, wegen des Wechsels auf die Oberschule quer durch die Stadt fahren soll. Manchmal liegt die vom Schulamt zugewiesene Schule auch in einem Gebiet mit vollkommen anderen sozialen Verhältnissen. Da haben viele Eltern Sorge, ihre Kinder könnten unter die Räder kommen und verfallen in eine gewisse Panik.

Wie teuer kann das für die Eltern denn werden, und greift da im Zweifelsfall eine Rechtschutzversicherung?

Rechtschutzversicherungen greifen durchaus, wenn man sie rechtzeitig abgeschlossen hat. Wenn man es kurz vorher erst macht, ist es zu spät, denn da gibt es Wartefristen. Die Kosten, die dann erstattet werden können, sind unterschiedlich hoch. Bei uns muss ein Mandant mit Kosten von bis zu rund 3.200 Euro plus Gerichtskosten von etwa 180 Euro rechnen. Ein Teil davon wird oft von der Rechtsschutzversicherung getragen. Wenn alles gut läuft, übernimmt sie etwa 2.000 Euro davon. Es gibt aber auch Fälle, wo die Versicherung nur etwa 500 Euro zahlt.

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Wie gehen die Klagen denn vor Gericht meist aus?

Im Grundschulbereich liegen wir da bei etwa einer Erfolgsquote von 80 bis 90 Prozent. Im Bereich der weiterführenden Schulen liegt die Quote zwischen 50 und 70 Prozent. Es schwankt zwischen den Jahren. In manchen Jahren sind die Schulen und Schulämter sehr ordentlich in ihren Auswahlverfahren. Da finden wir weniger, was falsch gelaufen ist und dann ist auch unsere Erfolgsquote nicht so hoch.

Man spricht ja immer von der Schulplatz-Klage. Ist das denn formaljuristisch wirklich eine Klage? Und wie läuft das ab?

Umgangssprachlich nennt man es Schulplatz-Klage. Das ganze Verfahren hat verschiedene Phasen. Es beginnt mit dem Ablehnungsbescheid, den die Eltern bekommen. Gegen den muss man erst einmal formal Widerspruch einlegen bei der Behörde. Wenn man das nicht fristgerecht tut, ist das Verfahren im Grunde schon beendet.

Bei weiterführenden Schulen reicht der Widerspruch in den seltensten Fällen, um schon zum Schulplatz zu kommen. Da braucht man meistens noch das Verwaltungsgericht. Auch, weil es zeitlich meist sehr knapp ist. Die Bescheide über die Schulplätze kommen oft erst kurz vor den Sommerferien an und das Verwaltungsgericht braucht dann auch noch Bearbeitungszeit. In den letzten Jahren haben wir es oft so gemacht, dass wir Widerspruch für die Mandanten eingelegt und parallel dazu gleich den Eilantrag an das Verwaltungsgericht gestellt haben. Denn das Widerspruchs-Verfahren löst viel zu selten das Problem.

Haben Kinder, die sich dann erfolgreich eingeklagt haben, nicht ein schlechtes Standing an der Schule?

Ich würde an der Stelle sagen, dass die Schulen, die das tragen müssen, meistens sehr professionell damit umgehen. Es handelt sich ja um ein rechtstaatliches Verfahren. Die Möglichkeit, dass jemand, der eine Ablehnung bekommt, überprüfen lässt, ob diese rechtmäßig war, muss es ja geben. Wenn es dann Fehler gab und ein Gericht anordnet, dass die Schule zusätzliche Plätze vergeben muss, sind die Schulen vielleicht nicht begeistert, aber sie setzen das um. Dann sitzen vielleicht in den Klassen nicht 26, sondern 27 Kinder. Ich denke, ganz viele Schulleiter haben auch Verständnis für die Situation der Eltern.

Können Sie persönlich nachvollziehen, wie die Wahl der weiterführenden Schule in Berlin geregelt ist?

Wenn man weiß, wie sich das entwickelt hat, kann man es ein wenig nachvollziehen. Denn vor etwa zehn Jahren noch gab es in Berlin das genau gegenteilige Auswahlverfahren. Damals war der Maßstab, dass den Schulplatz bekam, wer am nächsten dranwohnte. Da gab es auch rechtliche Auseinandersetzungen. Denn es wurde nicht die Luftlinie genommen, sondern der Weg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Es wurde berechnet, wer in der schnellsten Zeit von zuhause bis zur Schule kommt. Das war dann für denjenigen blöd und ungerecht, der den längsten Fußweg zur Bushaltestelle hatte.

Dann wollte man alles anders machen und die Idee kam auf, dass die Schule Profile haben sollten und die Schulplätze so verteilt werden sollten. Daraus hat sich das gegenteilige Problem ergeben.

Die Senatsverwaltung sagt zwar offiziell, es sei alles in Ordnung, weil 90 Prozent der Kinder einen Platz an einer ihrer drei Wunschschulen bekämen. Doch Eltern sagen manchmal, dass beispielsweise der Drittwunsch nicht wirklich ein echter Wunsch, sondern nur eine Notlösung war.

Mitunter soll ja nicht mal die angegebene Erstwunschschule ein wirklicher Wunsch sein, sondern die Wahl vor allen Dingen der Tatsache geschuldet sein, dass ein Kind wegen seines Notendurchschnittes nur da eine Chance auf einen halbwegs sicheren Platz hat.

Richtig. Doch die Statistik der Senatsverwaltung liest sich anders. Ich finde das Verfahren, dass Kinder am Ende dann kreuz und quer durch die Stadt geschickt werden, nicht gut. Zudem kann ich für Gymnasien ja gerade noch nachvollziehen, dass Plätze nach dem Leistungsprinzip vergeben werden. Bei Integrierten Sekundarschulen fehlt mir dafür aber jedes Verständnis. Dass da 60 Prozent der Plätze danach vergeben werden, wer die beste Note hat, finde ich nicht gut.

Da gibt es Integrierte Sekundarschulen wie beispielsweise die Kurt-Schwitters-Schule in Pankow wo die Grenze im Auswahlverfahren bei einem Notendurchschnitt von 1,4 oder 1,5 liegt. Das ist komplett absurd. Für die Integrierten Sekundarschulen wurden Haupt- und Realschulen abgeschafft. Das sollte die Schule für jedermann sein. Ich finde, man sollte an solchen Schulen das Auswahlverfahren nicht vor allen Dingen nach dem Leistungsprinzip durchführen. Das ist aber eine politische Entscheidung. Von der ich weiß, dass sie auch in der Politik äußerst kritisch gesehen wird. Ich denke, irgendwann wird das Prinzip, so wie es jetzt ist, auch wieder fallen. Das ist nicht dauerhaft haltbar.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Neben der Rechtsanwaltskanzlei Werner vertreten noch diverse andere Kanzleien in Berlin und bundesweit Eltern, die sich zum Thema Schulrecht informieren wollen. Für "Schulplatz-Klagen" variieren die Kosten in beträchtlichem Maß.

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