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Quelle: Imago Images/Stefan Zeitz

Unterbringung und Betreuung in Berlin

Wie Rot-Grün-Rot den Bürokratie-Wettlauf für Flüchtlinge vererbt

Der Umgang mit Flüchtlingen wird auch die neue Berliner Regierung fordern. Betroffene könnten schneller integriert werden, wenn der Gang durch die Behörden nicht so lang wäre. Doch in einem wichtigen Punkt ist Rot-Grün-Rot gescheitert. Von Sebastian Schöbel

Es gibt Herausforderungen in der Berliner Politik, für die auch eine neue Regierung keine 100 Tage Schonfrist bekommt. Die Unterbringung Tausender Flüchtlinge vor allem aus der Ukraine, gehört dazu. Denn auch wenn die Zahl der Flüchtlinge, die Berlin erreichen, zuletzt gesunken ist: Die rund 32.500 Unterkunftsplätze in Berlin sind so gut wie alle belegt.

Die derzeit noch zuständige Sozialsenatorin Katja Kipping warnte bereits: 10.000 weitere Plätze würden in diesem Jahr benötigt. Den potentiellen Koalitionspartnern SPD und CDU bot Kipping die Expertise ihrer Verwaltung während der Gespräche an. "Der Handlungsdruck ist einfach viel zu groß, als dass man wochenlangen Stillstand ermöglichen könnte."

Quelle: dpa/Britta Pedersen

Wobei die Suche nach immer neuen Unterkünften inzwischen ziemlich eingespielt ist. Ein anderes ungelöstes Problem aber vererbt der rot-grün-rote Senat: Noch immer sind die bürokratischen Hürden für Geflüchtete in Berlin recht groß. Vom Antrag eines Aufenthaltstitels bis zur Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins dauere es zum Teil sehr lange, kritisiert der Berliner Flüchtlingsrat. Betroffene müssten den Umweg über die Sozialämter der Bezirke machen, um irgendwann beim Jobcenter zu landen und alle ihnen zustehenden Sozialleistungen nutzen zu können.

Rot-Grün-Rot kann sich nicht auf zentrale Anlaufstelle einigen

Eine Lösung wäre eine zentrale Anlaufstelle direkt am Ankunftszentrum auf dem ehemaligen Flughafen Tegel. Doch diese "One-Stop-Agency", wie es in Fachkreisen heißt, gibt es auch ein Jahr nach Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine nicht. "Das ist schon seit vielen Monaten nicht einigungsfähig gewesen", räumte Kipping zuletzt ein.

Dabei müsste Berlin wohl gar keine neue Behörde gründen, um Flüchtlingen aus der Ukraine schnellen Zugang zu Sozialleistungen und vor allem Aufenthaltstiteln zu ermöglichen: Der Flüchtlingsrat plädiert schon sehr lange dafür, das Landesamt für Einwanderung (LEA) im Ankunftszentrum Tegel einzubeziehen. "Würde das LEA in TXL die Aufenthaltstitel oder auch nur eine Fiktionsbescheinigung sofort erteilen, könnten die Geflüchteten direkt die ihnen eigentlich gesetzlich zustehenden Leistungen der Jobcenter einschließlich der Vermittlung in Arbeit und Sprachkurse, einer regulären Krankenversicherung, einen Wohnberechtigungsschein und Kindergeld erhalten", so der Flüchtlingsrat auf rbb-Nachfrage.

Letzte Senatssitzung vor Koalitionsgesprächen

Kipping sieht Bedarf für 10.000 neue Plätze für Geflüchtete in Berlin

Die Zahl der Geflüchteten, die in Berlin ankommen, ist aktuell gesunken. Dennoch benötige Berlin neue Unterkünfte, sagt Sozialsenatorin Kipping, denn fast alle Plätze seien belegt.

Personalmangel verhindert Einbindung des LEA in Tegel

Das LEA untersteht nicht der Sozial-, sondern der Innenverwaltung. Die verweist zunächst auf das Online-Antragsverfahren für Aufenthaltstitel: Flüchtlingen werde damit unmittelbar eine Bescheinigung ausgestellt, die als Arbeitserlaubnis gilt. Vier bis fünf Wochen später könne man dann beim LEA persönlich vorsprechen und einen Aufenthaltstitel bekommen.

Alles in einem Aufwasch in Tegel nach der Registrierung zu erledigen, sei aber nicht möglich, so die Innenverwaltung: Das LEA habe schlicht nicht genug Personal, um auch im Ankunftszentrum eine Außenstelle zu betreiben. "Es wäre zudem kaum vermittelbar, dass Geflüchtete, die in einer One-Stop-Agency vorsprechen, früher bedient werden als diejenigen, die bereits Wochen zuvor einen Antrag beim LEA gestellt haben und auf einen Termin zur Vorsprache warten." Auch gegenüber anderen Geflüchteten und Asylbewerbenden, die zunächst wie bisher beim Landesamt für Flüchtlinge in Reinickendorf registriert werden, wäre eine Vorzugsbehandlung "exklusiv für Geflüchtete aus der Ukraine eine schwer vermittelbare Bevorzugung", so die Innenverwaltung.

Dass beim LEA schlicht das Personal nicht ausreicht, um auch in Tegel präsent zu sein, räumt die Sozialverwaltung ein. Dabei ist man auch dort davon überzeugt, dass "damit mittelbar etwa auch die Entlastung der bezirklichen Sozialämter" möglich wäre. Trotzdem gehe es in Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern noch relativ schnell, Menschen durch die bundesdeutsche Bürokratie zu schleusen. In Tegel stünden den Geflüchteten zudem umfangreiche Beratungsangebote zur Verfügung.

Hilfe für ukrainische Geflüchtete

"Das war auch ein bisschen blinder Aktionismus, weil man so gerne helfen wollte"

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Wohnungsnot überschattet bürokratischen Hindernislauf

Viel größer ist inzwischen aber ohnehin das Problem, dass viele Geflüchtete länger in den Leichtbauhallen auf dem Tegeler Ex-Flughafen ausharren müssen, als geplant – weil es schlicht keine Unterkünfte mehr für sie gibt. "Ein Aufenthalt im Ankunftszentrum kann daher derzeit bis zu drei Monate dauern", räumt die Sozialverwaltung ein.

Die scheidende Sozialsenatorin Katja Kipping hat die Verlängerung des Ankunftszentrums in Tegel bis Juni bereits auf den Weg gebracht. Gehe es nach ihr, so die Linken-Politikerin, werde die Massenunterkunft noch bis mindestens 2024 benötigt. CDU und SPD sollten in ihren Koalitionsverhandlungen deswegen auch darüber sprechen, schnell weitere Modulare Unterkünfte, sogenannte MUFs, zu bauen. "Ich werbe sehr dafür, dass es eine gerechte Verteilung über alle Bezirke gibt." Denn bisher, so Kipping, würden die Bezirke im Osten die Hauptlast tragen, "während sich andere einen schlanken Fuß machen".

Beitrag von Sebastian Schöbel

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