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Video: rbb|24 Brandenburg aktuell | 16.05.2023 | R. Wittig/K. Neumann | Quelle: dpa/Patrick Pleul

Ausstellung zu Brandenburger Militärgefängnis

Die Furcht vor "Schwedt" war in der DDR sprichwörtlich

"…sonst kommst Du nach Schwedt!" - ein halber Satz, eine vollumfassende Drohung. Die militärische Führung in der DDR nutzte das Militärgefängnis, um Abweichler auf Spur zu bringen und Disziplin durchzusetzen. Eine Ausstellung soll weiter aufklären. Von Markus Woller

Der Mythos wuchs mit jedem ausgemergelten, gebrochenen Soldaten, der nach seiner Inhaftierung im Militärgefängnis Schwedt zurück in seine Einheit geschickt wurde. Keiner von ihnen durfte vom Alltag im Gefängnis berichten. Bis heute sprechen viele Gefangene nicht mal mit der eigenen Familie über das Erlebte. Die Furcht vor "Schwedt" war in der DDR sprichwörtlich.

"Ziel war die Umerziehung", sagt einer, der auch erst vor zehn Jahren sein eigenes Schweigen gebrochen hat. Detlef Fahle wurde 1983 eingesperrt. Drei Monate seines Lebens, die er nie vergessen wird. "Die Wärter nannten sich selbst auch Erzieher", berichtet Fahle. Der verschärfte Drill begann um 4 Uhr nachts. "Aufstehen, Morgensport, dann acht Stunden schwere körperliche Arbeit im Arbeitskommando, danach militärische Schulungen." Psychische und physische Erniedrigungen inklusive. "Gebrochen haben sie mich nicht. Mein Körper war dort, mein Geist woanders", erzählt Fahle rückblickend.

Detlef Fahle wurde 1983 in Schwedt eingesperrt | Quelle: rbb

Flucht endet schon in Bad Freienwalde

Sein Vergehen: unerlaubtes Entfernen von der Truppe. Wegen seiner Homosexualität sei er zuvor in der Kaserne in Marxwalde, dem heutigen Neuhardenberg, gedemütigt worden. Eines Abends bedrohte ihn ein Fähnrich mit einer Pistole. "Für mich war das eine Morddrohung. Ich wollte nur noch weg." Fahle stahl einen Lkw, Fahrtziel Kap Arkona, wo er seinem Leben ein Ende setzen wollte. Schon in Bad Freienwalde wurde er geschnappt, später nach Schwedt gebracht.

Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Klar ist, dass viele Tausend junge Männer zwischen Juni 1968 und Mai 1990 im einzigen Militärgefängnis der DDR inhaftiert wurden und dort Disziplinar- oder Freiheitsstrafen verbüßen mussten. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Aufarbeitung des Unrechts in Schwedt in Gang kam. Zusammen mit wenigen anderen, die bereit waren, sich öffentlich ihrer Vergangenheit zu stellen, gründete Detlef Fahle im Jahr 2013 einen Verein. In der Stadt war man zunächst nicht begeistert. Das Erbe, der Ruf des Gefängnisses - das alles wog zu schwer für eine Stadt, die sich im neuen Deutschland gerade einen Namen als Nationalpark- und Industriestadt erarbeiten wollte.

Schwedt unterstützt mittlerweile finanziell

Doch die Vereinsmitglieder ließen nicht locker, wollten die Erinnerung an das Militärgefängnis in ein neues Schlaglicht setzen. Und nach und nach wandelte sich auch der Umgang der Stadtverantwortlichen mit dem dunklen Erbe Militärgefängnis. "Man hat erkannt, dass hier auch was Gutes entstehen kann, indem man aufarbeitet", so Detlef Fahle. "Indem man jungen Menschen anschaulich zeigen kann, wo der Unterschied ist zwischen einer Diktatur und einer Demokratie."

Interview | Autorin Katja Hoyer

"Es wird wenig darüber gesprochen, wie die DDR in die deutsche Geschichte passt"

Es ist erstaunlich, dass ein Buch, das eine neue Geschichte der DDR erzählen will, gerade in Großbritannien für viel Aufmerksamkeit sorgt. Katja Hoyer, Autorin von "Diesseits der Mauer", lebt in London und gilt dort als Deutschland- und nun auch als DDR-Erklärerin.

Detlef Fahle ist es wichtig, diesen Prozess auch nach außen weiter voranzutreiben, mehr ehemalige Insassen dazu zu bringen, sich der eigenen Familie oder Fremden zu öffnen. Ein Baustein dabei: die Wanderausstellung "NVA-Soldaten hinter Gittern. Der Armeeknast Schwedt als Ort der Repression", die seit Dienstag im Brandenburger Landtag zu sehen ist. Sie wurde vom Stadtmuseum in Schwedt zusammen mit einem Historiker und dem Verein konzipiert, zeigt Bilder, Dokumente und bietet eine Hörstation mit Ausschnitten aus Zeitzeugeninterviews.

Liedtke fordert weitere Aufarbeitung

Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke mahnte in ihrer Rede zur Eröffnung, dass die Geschehnisse bis heute nur unzureichend beleuchtet und aufgearbeitet seien. "Das Militärgefängnis in Schwedt gehört zur Erinnerungskultur im Land Brandenburg", so die Parlamentspräsidentin, und es gehöre auch zur Militärgeschichte eines geeinten Deutschlands. Als Beitrag gegen das Vergessen müsse "Schwedt" aus ihrer Sicht Eingang ins Militärhistorische Museum Dresden finden.

Infos im Netz

Ausstellung "NVA-Soldaten hinter Gittern"

Maria Nooke, die Beauftragte des Landes zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, hält die Wanderausstellung für einen wichtigen ersten Schritt. Sie mache Gästen in ganz Deutschland klar, dass "Schwedt" zum Repressionssystem der DDR-Erziehungsdiktatur gehörte. Nooke unterstützt zudem Bemühungen, am ehemaligen Standort in der Oderstadt einen festen Erinnerungsort zu schaffen.

Fester Erinnerungsort nicht in Sicht

Den würde sich auch Detlef Fahle wünschen. Die noch vorhandenen Ruinen, wie das Stabs- und das Wachgebäude, könnten nach seinen Vorstellungen zu einem Ausstellungsort ausgebaut werden, um zum Beispiel Besuchergruppen zu empfangen und Zeitzeugengespräche durchzuführen. Realistisch ist das bei den momentanen Baupreisen aber nicht, das haben Stadt, Kulturministerium und Stiftung Aufarbeitung bereits durchgerechnet.

Aufarbeitung wird aber weiter notwendig sein, sagt Fahle. "Damals mussten wir schweigen, jetzt dürfen wir endlich reden. Ich merke, wie gut mir das tut."

Sendung: Brandenburg aktuell, 16.05.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Markus Woller

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