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Quelle: dpa

Fragen und Antworten zu "Inklusion"

Eine Schule für alle

rbb online erklärt, was Inklusion ist und beantwortet einige der am häufigsten gestellten Fragen.

Am besten lernt man gemeinsam: Unter diesem Motto sollen in Zukunft Kinder mit geistigen und körperlichen Einschränkungen mit nichtbehinderten Kindern zusammen die Schule besuchen. Geschehen soll das unter dem Fachbegriff "Inklusion". rbb online erklärt, was das ist und beantwortet einige der am häufigsten gestellten Fragen.

Was ist "Inklusion"?

Inklusion bedeutet, dass Kinder mit und ohne Förderbedarf gemeinsam an Regelschulen lernen. Die Idee geht zurück auf die 2006 verabschiedete UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 in Deutschland gilt und das Recht auf gemeinsamen Unterricht enthält. Die Bundesländer sind verpflichtet, ein inklusives Schulsystem zu etablieren. Inklusion geht über Integration hinaus: Menschen mit Behinderung sollen nicht nur integriert, sondern das System so gestaltet werden, dass jeder nach seinen Bedürfnissen gefördert wird.

Inklusion soll jedoch nicht nur körperlich und geistig behinderten Menschen helfen. Der mit Abstand größte Förderbedarf besteht im Bereich "LES": Lernen, Emotionale und soziale Entwicklung, Sprache. 74 Prozent aller förderbedürftigen Schüler fallen in diese Kategorie - Migrantenkinder mit schlechten Deutschkenntnissen genauso wie aggressive Jugendliche aus einem Problemkiez oder Kinder mit Dyslexie.

Ist Inklusion neu?

Nein. Das gemeinsame Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern wird schon länger diskutiert und teitweise auch praktiziert. In Brandenburg wurde der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern bereits im Schulgesetz von 1991 verankert. Das Berliner Schulgesetz von 2004 legt ebenfalls den Vorrang der gemeinsamen Bildung und Erziehung fest.

Heute gibt es in beiden Bundesländern Schulen, die Schritte hin zur Inklusion unternommen haben. Einige haben dafür sogar Preise wie beispielsweise den Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung (z.B. die Montessori-Oberschule in Potsdam und die Grundschule im Grünen in Berlin) oder den Jakob-Muth-Preis der Bertelsmann-Stiftung (z.B. die Erika-Mann Grundschule in Berlin und die Regine-Hildebrandt-Schule in Birkenwerder) erhalten.

In Berlin ist die Herausforderung bei der Inklusion besonders hoch. Nirgendwo ist die Zahl der förderbedürftigen Kinder höher. Schon heute liegt die Hauptstadt im bundesweiten Vergleich beim Anteil von Schülern mit sonderpädagogischem Bedarf im Normalunterricht im Spitzenfeld: 32,5 Prozent.

Wie ist der aktuelle Stand in Brandenburg?

In Brandenburg gibt es seit dem Schuljahr 2012/13 ein Pilotprojekt "Inklusive Grundschule"75 öffentliche und 9 private Grundschulen sind beteiligt. 120 Lehrkräfte wurden eingestellt, und in den Pilotschulen soll es zusätzliche Lehrerwochenstunden geben. Insgesamt soll es in den Klassen nicht mehr als 23 Schüler geben. Darüber hinaus werden Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich pädagogisch geschult.

Das im Dezember 2012 verabschiedete Lehrerbildungsgesetz legt fest, dass in allen Lehramtsstudiengängen inklusionspädagogische Grundlagen vermittelt werden sollen. Außerdem sollen Lehrer kontinuierlich fortgebildet werden.

Zuletzt klagten einige Schulen über zu wenig Unterstützung seitens des Bildungsministeriums. Auch der Abzug von sonderpädagogisch ausgebildeten Lehrern, zum Beispiel an der Albert-Schweitzer-Förderschule, sorgte zuletzt für Unruhe.

Wie ist der aktuelle Stand in Berlin?

Zurzeit lernen in Berlin über 40 Prozent der Förderschüler an Regelschulen. Bundesweit liegt der Durchschnitt bei rund 20 Prozent.

Seit 2011 gibt es ein Gesamtkonzept "Inklusive Schule", das noch unter Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) erstellt wurde. Demnach soll bis 2017 die "inklusive Schule“ in Berlin der Normalfall werden. Reine Förderschulen werden bereits seit 2005 schrittweise abgebaut. Zöllners Nachfolgerin Sandra Scheeres (SPD) hat die Einführung des Konzepts jedoch verschoben, um es noch einmal zu überarbeiten. Ein "Inklusionsbeirat", bestehend aus Schulleitern, Stadträten, Wissenschaftlern und Gremienvertretern erarbeitet dafür Empfehlungen.

Wie ist die Rechtslage?

Die UN-Behindertenrechtskonvention wurde zwar auch von Deutschland ratifiziert, ein automatischer Rechtsanspruch auf inklusiven Unterricht gibt es dadurch allerdings nicht. Der muss erst in der nationalen Gesetzgebung geschaffen werden.

Das Land Berlin ist innerhalb seiner finanziellen Möglichkeiten bereits verpflichtet, ein Höchstmaß an inklusiver Beschulung zu ermöglichen. Laut Berliner Schulgesetz von 2004 haben Eltern von Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf das Recht zu wählen, ob ihr Kind eine allgemeine Schule oder ein Sonderpädagogisches Förderzentrum besucht. Der Besuch der allgemeinen Schule steht jedoch unter dem Vorbehalt der personellen, sächlichen und organisatorischen Möglichkeiten.

In Brandenburg wird das Schulgesetz zurzeit überarbeitet, um die rechtlichen Grundlagen für die landesweite Umsetzung von Inklusion zu schaffen. Schon jetzt ist klar geregelt, dass der gemeinsame Unterricht Vorrang hat. Allerdings haben auch hier die Eltern das Recht, ihr Kind auf eine spezielle Förderschule zu schicken, wenn sie das wünschen.

Was kostet die Inklusion?

Für Brandenburg lässt sich diese Frage klarer beantworten als für Berlin, da in der Mark das Pilotprojekt bereits läuft.

Bis 2014 sind in Brandenburg für das Projekt "Inklusive Grundschule" insgesamt rund 10,3 Millionen Euro eingeplant. Für die zusätzliche Schulung von Lehrern sind noch einmal knapp 1,6 Millionen Euro veranschlagt. Dazu kommen Kosten für die Überarbeitung von Lehrplänen von ca. 330.000 Euro. Parallel zum Inklusionsprojekt werden auch die Lehrpläne der Uni Potsdam verändert, um die nächste Generation von Pädagogen auf inklusiven Unterricht vorzubereiten. Dafür werden bis 2014 insgesamt 3 Millionen Euro bereitgestellt.

In Berlin wurden die Kosten der Umsetzung unter Bildungssenator Zöllner auf rund 2 Millionen Euro geschätzt. Allerdings sollten im Gegenzug rund 3 Millionen Euro eingespart werden, v.a. durch die Schließung von Förderschulen. Das hätte "Ressourcenreserven für bisher nicht geplante Maßnahmen" geschaffen, heißt es im damaligen Konzept. Bildungssenatorin Scheeres hat inzwischen angekündigt, dass sich das Inklusions-Konzept doch nicht kostenneutral umsetzen lasse.

Was spricht für - was gegen Inklusion?

Inklusion ist deutlich umstrittener als der Leitspruch "Eine Schule für alle" vermuten lässt.

Der Widerstand gegen Inklusion zieht sich durch alle sozialen Schichten und politischen Lager hindurch - und er hat nur in den seltensten Fällen etwas mit purer Ablehnung zu tun. Auf der einen Seite stehen Eltern und Lehrer, die um das schulische Niveau fürchten. Die Inklusion von förderbedürftigen Schülern, so ihre Angst, könnte dazu führen, dass die Anforderungen für alle Schüler sinken, um Chancengleichheit herzustellen. Außerdem befürchten vor allem Lehrer und ihre Gewerkschaften, dass die Pädagogen unter der zusätzlichen Arbeitslast zusammenbrechen. Inklusion bedeutet auch, dass regulär ausgebildete Lehrer weitere Zusatzqualifikationen erwerben müssen, um im Unterricht jedes Kind gleich gut betreuen zu können - eine enorme Doppelbelastung. Auch Sonderschulpädagogen machen sich Sorgen: Mit der Umsetzung von "Inklusiven Schulen" werden weniger Sonder- und Förderschulen benötigt.

Befürworter verweisen einerseits auf den moralischen Aspekt von Inklusion: Statt Menschen mit Behinderungen, Lernschwächen oder sozialen Schwierigkeiten zu isolieren, werden ihnen die gleichen Rechte und Möglichkeiten gegeben wie allen anderen Menschen auch - zum Beispiel bei der Bildung. Inklusive Schulen sollen deswegen allen Kindern offen stehen und denen, die mehr Förderung brauchen, gezielt helfen. Anderseits ist Inklusion auch eine wichtige Erfahrung für Kinder, die keinen speziellen Förderbedarf haben: So lernen sie früh, dass Menschen mit Einschränkungen nicht anders oder gar "schlechter" sind als sie selbst.

Abschließend lässt sich diese Frage nicht beantworten. Bisher fehlen einfach die nötigen Erfahrungswerte mit Inklusion.

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