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Video: Abendschau | 20.01.2021 | Norbert Siegmund | Quelle: dpa/P. Grimm

Wunsch und Wirklichkeit

Wie die Berliner Verwaltung mit Home-Office fremdelt

Kontakte reduzieren ist der Kern der Pandemie-Bekämpfung. Home-Office ist ein zentraler Baustein dieser Strategie. Während die Politik die Wirtschaft zu mehr Engagement drängt, scheitert Berlins größter Arbeitgeber, die Verwaltung, an der Aufgabe. Von Christoph Reinhardt

"Wo immer es geht, muss Home-Office her", so formulierte es unzweideutig der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf der Pressekonferenz nach den gemeinsamen Beschlüssen von Bund und Ländern. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) bestätigte das, er sprach aber deutlich zögerlicher von "wichtigen Verabredungen, die wir auch zum Thema Home-Office getroffen haben".

Müller weiß genau: Ausgerechnet die Berliner Verwaltung, mit rund 127.000 Beschäftigten Berlins größter Arbeitgeber, ist auch zehn Monate nach Beginn der Corona-Maßnahmen nur bedingt Home-Office-bereit.

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28.000 Laptops, aber nur 12.500 VPN-Tunnel

In Berlins Amtsstuben ist man schon froh, wenn man von außen auf Emails, Kalender und Dateien zugreifen kann. Nicht einmal die Hälfte der Beschäftigten kann das derzeit. Zwar sind zehntausende Stellen auch beim besten Willen kaum bis gar nicht für Home-Office geeignet, zum Beispiel die von Polizisten und Feuerwehrwehrleuten, Beschäftigten im Justizvollzug oder in den bezirklichen Grünflächen- oder Ordnungsämtern. Für die übrigen rund 85.000 Beschäftigten mit Home-Office-Potenzial stehen inzwischen zwar rund doppelt so viele Laptops zur Verfügung wie zu Beginn der Pandemie.

Aber für die 28.000 Laptops gibt es nur 12.500 VPN-Tunnel zur Verfügung, mit denen sie sich im Prinzip von Zuhause aus sicher mit dem Berliner Landesnetz verbinden könnten. Und tatsächlich aber wurden auch die bestehenden Zugänge zuletzt nur teilweise verwendet.

Von "wenigen hundert Nutzern" pro Tag berichtete die IT-Staatssekretärin Sabine Smentek im Herbst dem Parlament. Wie viele es jetzt sind, kann die IT-Staatssekretärin nicht genau sagen. "Es ändert sich täglich. Weil wir natürlich seit der Pandemie-Situation ständig versuchen, auf dem Weltmarkt weitere Laptops zu bekommen."

Hintergrund

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Einzelne Behörden stehen gut da, andere weniger

Aber längst nicht alle Verwaltungen und Bezirke können mit Laptops tatsächlich etwas anfangen. Vergleichsweise gut stehen einzelne Behörden da, die schon vor der Krise Erfahrungen mit Telearbeitsplätzen gesammelt hatten. Sie mussten die bestehenden Schnittstellen nur ausbauen. Die Innenverwaltung in der Klosterstraße meldet aktuell "rund 70 Prozent" Home-Office, die Finanzverwaltung schräg gegenüber sogar "80 bis 90 Prozent", die Finanzämter im Schnitt 60 Prozent.

Aber wer vor Corona kaum auf Telearbeit setzte, musste ganz von vorne beginnen, sagt die IT-Staatssekretärin. Einen VPN-Zugang zu schaffen sei das geringste Problem, die Infrastruktur dahinter müsse von Grund auf entwickelt werden. Aufwand, den sich offenbar viele Behörden nach dem ersten Lockdown nicht machen wollten. Angesichts der jahrelangen IT-Misere in den Verwaltungen habe man wohl andere Themen mehr Priorität eingeräumt, vermutet Semtek. Sie selbst habe erst im Herbst erfahren, wie wenig die einzelnen Behörden sich um die erforderliche Ausstattung gekümmert hatten.

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"Die Zeit seit März 2020 verschlafen"

CDU-Verwaltungsexperte Stephan Lenz hat überhaupt kein Verständnis, dass ausgerechnet die Berliner IT-Staatssekretärin die Berliner IT-Misere mit Versäumnissen anderer erkläre. Deren Posten genau zu diesem Zweck geschaffen worden sei: An die Stelle der völlig zersplitterten IT-Landschaft eine zentrale Steuerung zu ermöglichen. Das Ergebnis sei schlicht enttäuschend: "Das E-Government-Gesetz von 2016 hat klare Führungsstrukturen geschaffen. Frau Smentek, die IKT-Staatssekretärin, hat die Befugnisse, Prozesse anzuschieben und durchzusetzen. Die nutzt sie offenbar nicht." Nicht nur die betroffenen Behörden, auch die IT-Staatssekretärin habe "die Zeit seit März 2020 verschlafen", so sieht es auch der IT-Experte der FDP, Bernd Schlömer.

Schlömer geht in seiner Kritik aber noch weiter. Die Corona-Krise habe einen zentralen Schwachpunkt des E-Government-Gesetzes aufgedeckt. Man sei bei der Formulierung 2016 "zu lasch" gewesen und habe den Bezirken und einzelnen Ämtern immer noch zu viele dezentrale Kompetenzen gelassen. "Was wir jetzt vorfinden ist auf der einen Seite fehlende Weisung durch eine zentrale IT-Steuerung und auf der anderen Seite eine dezentrale Zuständigkeit. Nach dem Motto, wir können tun und lassen was wir wollen". Im Ergebnis gebe es Mitarbeiter, die während der Pandemie zuhause sitzen und darauf warten, dass sie wieder ins Büro dürften: "Das ist natürlich wirklich fatal."

Büro-PCs werden gegen Laptops getauscht

Auf kurzfristige Verbesserungen hofft nicht einmal die Staatssekretärin. Ihre sogenannte One-Device-Strategie ist langfristig angelegt und sieht den Austausch aller Büro-PCs durch Laptops vor – über einen Zeitraum von fünf Jahren. Man sei wegen der Coronakrise derzeit schneller als geplant, sagt Smentek, und werde sich vielleicht schon in diesem Jahr der 50-Prozent-Marke nähern.

Beitrag von Christoph Reinhardt

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