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Video: Abendschau | 19.04.2021 | Quelle: imago-images/Jörg Halisch

Interview | Berliner Lehrer zur Corona-Testpflicht

"Purer Irrsinn, dass sich die Schüler in der Schule testen"

Erstmals mussten am Montag alle Schülerinnen und Schüler in Berlin einen Corona-Selbsttest machen - in der Schule. "Gefährlich" findet das ein Gymnasial-Lehrer. Im Interview erklärt er, warum er sich weigert, seine Schüler bei den Tests anzuleiten.

rbb|24: Herr Schulz*, Sie unterrichten an einem Gymnasium in Berlin-Pankow, wo sich am Montagmorgen zum ersten Mal alle Schülerinnen und Schüler vor Unterrichtsbeginn auf Corona testen sollten. So verlangt es eine neue Anordnung der Senatsbildungsverwaltung von allen Berliner Schulen - ab jetzt zweimal pro Woche. Wie lief das erste große Testen ab?

Sebastian Schulz*: Es war nicht das große Chaos, aber manche meiner Befürchtungen sind eingetroffen. Vor allem war es zeitaufwändig, umso mehr, je jünger die Kinder sind. Wir unterrichten von Klassenstufe 5 bis 12 an unserem Gymnasium. Meine Gruppe aus der elften Klasse hatte prinzipiell keine Probleme, die Selbsttests zu machen. Aber es fehlte überall an Desinfektionsmittel, um die Tische vor und nach dem Test abzuwischen. Es gab keine Handschuhe, um den potentiell infektiösen Müll zu entsorgen. Es gab eine Schülerin im Nachbarraum, die weinte, weil sie Angst vor dem Test hatte. In der Senatsverordnung steht, dass die Kinder und Jugendlichen ihre Maske nur 15 Sekunden pro Nasenloch runterziehen, um schnell das Teststäbchen einzuführen. Aber Sie ahnen bestimmt schon, dass es so nicht funktioniert hat.

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Sondern? Wie war es in der Praxis?

Zum Teil lagen die Masken auf dem Tisch. Es wurde beim Testen gekichert und gelacht. Dann gab es viele, die niesen mussten, direkt nachdem das Stäbchen in der Nase war. Und zu diesem Zeitpunkt hatten die Schüler ihre Masken noch nicht wieder auf. Wenn dann vier, fünf Jugendliche auf einmal niesen in einem kleinen Klassenraum - das ist in Sachen Aerosole natürlich gefährlich. Zum Glück weiß ich von keinem Fall an meiner Schule, der am Montag positiv getestet wurde.

Fühlten Sie sich als Lehrer, der die Tests anleiten soll, gut auf diese Aufgabe vorbereitet?

Es hieß, es gäbe eine Einweisung für uns Lehrer. Die bestand leider nur in der Packungsbeilage des Schnelltests. Ein Zettel, mehr nicht. Das ist einer der Gründe, weshalb ich mich geweigert habe, diese Aufgabe zu übernehmen. Das habe ich unserer Schulleitung schon am Freitag mitgeteilt. Ich sehe die Testpflicht in den Schulen als den puren Irrsinn an. Deshalb habe ich eine Gefährdungsanzeige geschrieben. Das geht auf dem Dienstweg an Schulleitung, Schulträger, bis hoch zum Senat, weil ich durch die Massentestungen in den Schulen Schülerinnen, Schüler und das Kollegium in Gefahr sehe.

Sind Sie allgemein gegen eine Testpflicht für Schülerinnen und Schüler?

Nein, ich bin ganz klar für die Testpflicht, aber zu Hause. In der Schule finde ich das Infektionsrisiko beim Testen viel zu hoch - und der organisatorische Aufwand kommt noch dazu. Wir Lehrer müssen dabei auch mal nah ran an die Schüler, um zum Beispiel die Testlösung zu verteilen - zehn Tropfen hier, zehn Tropfen da - das habe ich im Nachbarzimmer bei meiner Kollegin beobachtet. Alles ohne Handschuhe, ohne Schutzausrüstung. Und viele von uns im Kollegium haben noch keine Impfangebote bekommen, andere haben erst eine Impfung erhalten - ich zum Beispiel. Würden die Schüler sich zu Hause testen, müsste man die positiv Getesteten nicht erst wieder isolieren - sondern sie wären gar nicht erst in die Schule gekommen.

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Wie hat die Schulleitung darauf reagiert, dass Sie sich weigern, die Tests anzuleiten?

Die Schulleitung hat mir einerseits vermittelt, dass sie meine Position verstehen kann. Dem Direktor sind aber die Hände gebunden. Er muss die Vorschriften des Senats umsetzen. Dementsprechend hat er mit der Dienstpflicht argumentiert und mit dienstrechtlichen Konsequenzen gedroht, wenn ich mich weigere. Was diese Konsequenzen aber genau sein sollen, wurde nicht klar. Mir geht in dem Fall meine Gesundheit vor.

Wieviel Zeit der ersten Schulstunde haben die Tests in Anspruch genommen?

Sicherlich 30, 35 von den 45 Minuten. Jeder Kollege, jede Kollegin versuchte irgendwie nach eigenem System, diese Tests hinter sich zu bringen. Die einen wollten es draußen machen, um das Infektionsrisiko zu senken. Aber da hieß es von der Schulleitung: Draußen ist es zu kalt, da funktionieren die Schnelltests nicht richtig, geht lieber rein. Andere Lehrer machten die Tests drinnen, gestaffelt am offenen Fenster. Wieder andere ließen alle Schüler gleichzeitig in der Nase rühren. Ich selber habe - gegen die Anweisung der Schulleitung - für meine Gruppe Elftklässler den Raum aufgeschlossen, gesagt: Bitte geht rein, macht den Test, ich warte draußen. Hinterher haben mir alle gesagt, dass sie negativ sind.

Aber kontrolliert haben Sie das nicht?

Ich habe den Schülern vertraut. Die Senatsanweisung sieht allerdings vor, dass die Tests kontrolliert werden. Aber wie wollen Sie das machen, wenn 15 Jugendliche gleichzeitig vor Ihnen in der Nase rühren? Da können Sie doch nicht bei allen schauen, ob das Stäbchen tief genug drin ist. Ich habe keine medizinische Ausbildung - woher soll ich sowas wissen?

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Was wäre passiert, wenn jemand positiv getestet worden wäre?

Dann haben wir die Anweisung, das betroffene Kind ins Sekretariat zu bringen. Von dort aus werden die Eltern angerufen, das Kind nach Hause geschickt und weiter zum PCR-Test. Ich finde diese Vorgabe aber schwierig, weil ich meine Klasse so lange allein lassen müsste, bis ich das positiv getestete Kind ins Sekretariat gebracht habe. Da fehlt in meinen Augen eine zweite Person, die mich als Lehrer unterstützt. Auch pädagogische Fragen sind offen: Wie gehe ich damit um, wenn die Schüler Angst bekommen, die neben der positiv getesteten Person gesessen haben?

Wie groß ist Ihre Angst, sich in der Schule mit Corona anzustecken?

Diese Angst schwingt seit einem Jahr ständig mit. Natürlich nehmen die Schüler die Maske auch mal ab - um zu trinken oder zu essen. Das ständige Lüften funktioniert in vielen Klassenräumen auch nicht. Und wir wissen aus den Statistiken, dass Schulen infektionsgefährliche Orte sind - besonders seit es die britische Variante bei uns gibt, die ansteckender ist. Dabei mache ich mir weniger Sorgen, dass ich selbst einen schweren Verlauf haben könnte - ich bin erst Mitte 30 - sondern habe mehr Angst, Verwandten Corona mitzubringen, die zum Beispiel Risikopatienten sind.

Seit Montag sind auch die Klassenstufen 7 bis 9 nach Monaten des Distanzunterrichts zurück an den Berliner Schulen. Wie schauen Sie auf die Entscheidung des Senats, trotz steigender Infektionszahlen auch diese Schülerinnen und Schüler zurück in den Präsenzunterricht zu holen?

Im Moment zirkuliert ja dieses Wort "mütend" - eine Mischung aus "müde" und "wütend". Das beschreibt ganz gut, wie ich mich dazu fühle. Im vergangenen Jahr wurden die Schulen bei viel geringeren Inzidenzzahlen geschlossen. Wie der Senat jetzt entscheidet, lässt mich kopfschüttelnd zurück. Da muss sich schnell etwas ändern - auch bei der Testpflicht. Das muss zu Hause stattfinden. Aber ich befürchte, dass sich die Frage bald von selbst erledigt hat, weil die Schulen wieder ganz schließen werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

*Name auf Wunsch des Gesprächspartners geändert. Das Interview führte Anne Kohlick für rbb|24.

Beitrag von Anne Kohlick

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