Verpflichtende Corona-Tests für Präsenzunterricht - So sollen Schüler in Berlin und Brandenburg sich selbst testen
In Berlin sollen alle anwesenden Schüler ab Montag zweimal wöchentlich unter Anleitung von Lehrern und Erziehern bei sich selbst einen Nasen-Abstrich machen. Auch Brandenburg führt dann die Testpflicht ein, allerdings wird zu Hause in der Nase gestochert.
Ab Montag (19. April) besteht in Berlin und Brandenburg eine Testpflicht für Schülerinnen und Schüler. Diese testen sich dann verpflichtend zweimal wöchentlich in der Schule selbst (Berlin) oder zuhause (Brandenburg).
Ausschließlich ein negatives Testergebnis ermöglicht die Teilnahme an schulischen Präsenz-Angeboten und den Betreuungsangebote (Notbetreuung für die Klassen 1-6). Wie die Vor-Ort-Testungen in Berlin ablaufen sollen, hat die Senatsbildungsverwaltung detailliert aufgeführt [berlin.de].
Warum werden die Schüler getestet?
Die Bildungsminister Deutschlands setzen auf flächendeckende Tests, um Schulschließungen möglichst lange zu verhindern. Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheres (SPD): "Wir alle wollen vermeiden, dass Schüler den Anschluss verlieren oder durch die Schulabstinenz psychisch leiden." Infizierte Kinder und Jugendliche sollen durch die Testungen möglichst früh identifiziert werden, die Schulen könnten so länger geöffnet bleiben.
Dafür sollen ab 19.4. sowohl in Berlin als auch in Brandenburg die Schüler verpflichtend zwei Selbsttests pro Woche selbst bei sich durchführen. In Berlin finden diese Tests direkt in der Schule statt, Brandenburger Schüler können diese zuhause durchführen. Durch die Testung vor Ort will man in Berlin sicherstellen, dass möglichst viele Schüler die Tests benutzen und das Schulpersonal die Test-Ergebnisse überprüfen kann.
Ob die Schulen mit Tests sehr viel sicherer werden, ist allerdings offen. Eine Studie aus Österreich ergab, dass solche Schnelltests nur etwa ein Fünftel bis ein Viertel der infizierten Kinder und Jugendlichen erkennen [Universität Wien].
Was passiert vor dem Test?
Für die Testung der Schülerinnen und Schüler in der Schule ist nach Angaben der Berliner Senatsverwaltung keine Einverständniserklärung der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten oder der volljährigen Schülerinnen und Schüler erforderlich. Die Begründung hierfür ist, dass die Präsenzpflicht in den Schulen weiterhin aufgehoben ist und die Schüler alternativ im Distanzunterricht bleiben könnten. Zudem, so der Senat weiter, führten die Schüler die Tests in den Schulen selbst durch – es fände also kein körperlicher Kontakt zu Lehrkräften oder anderem schulischen Personal während der Testung statt.
Die Schülerinnen und Schüler werden vor der ersten Anwendung eines Selbsttests durch das pädagogische Personal über die Notwendigkeit und den Ablauf durch das pädagogische Personal ihrer Schulen aufgeklärt. Dafür gibt es online und für jedermann zugänglich Handreichungen und Erklärvideos [berlin.de].
Wo wird vor Ort getestet?
Die Selbsttestung kann im Klassenraum oder, je nach örtlichen Gegebenheiten, auch in anderen Räumen - und immer unter Einhaltung der bekannten Hygieneregeln (AHA+L) - stattfinden. Das Tragen weiterer Schutzbekleidung über Masken hinaus nicht erforderlich, wenn die sonst geltenden Hygieneregeln eingehalten werden.
Der Raum muss gut belüftet, die Abstandsregelung gewährleistet sein. Testungen im Freien sind bei entsprechender Witterung möglich. Ansammlungen vor Gebäuden oder Räumen sollen jedoch vermieden werden.
Wie funktioniert so ein Selbsttest?
Im Regelfall wird ein Teststäbchen aus der versiegelten Verpackung geholt und der Abstrich mit der dort angebrachten kleinen Bürste in der Nase vorgenommen. Dann wird das Teststäbchen beim Test der Firma Roche beispielsweise, der in vielen Schulen zum Einsatz kommt, in einen recht filigranen kleinen Behälter mit Flüssigkeit getunkt, dessen Versiegelung zuvor entfernt werden muss. Dort wird die Bürste gequetscht und ausgewrungen. Im Anschluss wird das Teststäbchen weggelegt. Der Behälter mit der Flüssigkeit bekommt eine Kappe mit einer kleinen Gießöffnung. Durch diese werden ca. vier Tropfen der durch das Eintauchen des Teststäbchens entstandenen Lösung auf eine Stelle eines Testbehälters aus Plastik mit einem Sichtfenster getropft.
Nun sollte sich, wenn genug biologisches Material entnommen wurde, zügig ein Kontrollstrich im Fenster zeigen. Bleibt es nach 15 bis 30 Minuten bei dem einen Strich, ist der Benutzer, so dieser Test, nicht mit dem Coronavirus infiziert. Zeigt sich während der o.g. Zeit ein zweiter Strich, besteht der Verdacht einer Covid-19-Infektion. Dann führt ein PCR-Test zur endgültigen Klärung. Das gilt sowohl für die Schüler in Berlin, die sich vor Ort, als auch für Brandenburger Schüler, die sich zuhause testen.
Wie sieht die Testsituation in der Schule konkret aus?
Die Schülerinnen und Schüler sollen – altersangemessen angeleitet vom pädagogischen Personal ihrer Schule - für den eigentlichen Abstrich im vorderen Nasenbereich ihre Maske für jeweils 15 Sekunden pro Nasenloch abnehmen. Im Anschluss setzen sie die Maske sofort wieder auf und führen den noch ausstehenden Teil des Test-Procederes durch.
Die Infektionsgefahr im Raum steigt dadurch nach Senatsangaben nur minimal an. Dennoch sollte in diesem Zeitraum der Abstand untereinander konsequent eingehalten und der Raum gut gelüftet werden.
Erst nach dem Test geht der Unterricht los . Auch wenn alle Getesteten negativ sind, geschieht das unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen (Abstand, Masken).
Wer wird getestet?
In Berlin: Alle Schüler im Präsenzunterricht bzw. in der Notbetreuung. Die Testungen finden in Kleingruppen in der jeweils 1. Unterrichtsstunde bzw. zu Beginn der Notbetreuung statt.
Für die Teilnehmenden an Prüfungen sollen in Berlin ebenfalls Testmöglichkeiten vor Ort zur Verfügung gestellt werden, um Testungen vor den Prüfungen zu ermöglichen. Eine Testung ist hier jedoch keine Voraussetzung für die Teilnahme an einer Prüfung.
In Brandenburg finden die Selbsttests für die Schüler nicht vor Ort in der Schule, sondern wie in der Woche nach Ostern auch in Berlin noch, weiter zuhause statt. Schüler, die sich nicht testen wollen, dürfen auch hier nicht in den Präsenzunterricht kommen.
Gibt es Alternativen?
Alternativ zum Selbsttest in der Schule können die Schülerinnen und Schüler in Berlin eine Bescheinigung einer öffentlichen Teststelle über ein negatives PCR- oder PoC-Testergebnis vorlegen. Der Test darf nicht älter als 24 Stunden sein.
Schülerin und Schüler, die bereits vollständig geimpft sind, können den Impfausweis oder ein entsprechenden anderen Nachweis vorlegen. Die Impfung, die für den vollständigen Impfschutz nötig ist, müsse dabei mindestens 14 Tage zurückliegen, heißt es von der Senatsbildungsverwaltung.
Und wenn sich ein Kind nicht testen will?
Wenn die Testung bei einem Kind nicht möglich ist, sollen die Schulleitungen mit den Erziehungsberechtigten nach "individuell angepassten Vorgehensweisen" suchen. Das Schulpsychologische und Inklusionspädagogische Beratungs- und Unterstützungszentrum (SIBUZ) kann beratend hinzugezogen werden.
Ist den Erziehungsberechtigten die Testdurchführung nicht möglich, so ist dies der Schulleitung zu begründen. Wie die Beschulung der Kindes erfolgen kann, stimmen Schulleitung und Eltern bzw. Erziehungsberechtigte gemeinsam ab (Härtefallregelung).
Für Schülerinnen und Schüler, die wegen einer Behinderung, Erkrankung oder vergleichbaren Beeinträchtigung nicht oder nur zuhause getestet werden können, gilt die Härtefallregelung bzw. entscheiden Schulleitung und Eltern über die Art der Beschulung. Auch hier kann das SIBUZ beratend hinzugezogen werden.
Was passiert, wenn Kinder oder Jugendliche positiv getestet werden?
Die betroffene Person gilt bis zur Bestätigung durch einen PCR-Test nicht als Corona-positiv, sondern als Verdachtsperson.
Vor Ort in der Schule sind laut Senat folgende Maßnahmen zu ergreifen: Das betreffende Kind soll unverzüglich von der Gruppe getrennt und so schnell wie möglich von den Eltern oder Erziehungsberechtigten abgeholt werden. Für die Wartesituation sollen die Schulen geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, in denen unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregelungen eine "sensible" Beaufsichtigung stattfindet. Die Beaufsichtigung kann auch im Freien erfolgen.
Die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten sollen sofort informiert und das weitere Vorgehen mit ihnen abgestimmt werden. Der dann notwendige PCR-Test wird bei nicht volljährigen Schülern gemeinsam mit den Eltern bei einer der Berliner Teststellen gemacht. Die Kinder sind bis zum Ergebnis dieses Tests in Selbstquarantäne.
Die weiteren Personen, die sich während der Durchführung des Tests im Raum befunden haben, sind nicht automatisch Kontaktpersonen. Sie nehmen am Unterricht teil.
Welche Kritik gibt es?
Selbstkritisch schreibt der Senat in seinem Informationsschreiben an die Berliner Schulen: "Uns ist bewusst, dass damit eine weitere organisatorische Herausforderung und eine Belastung des sowieso schon eingeschränkten Schulalltags verbunden sind."
Die GEW hat sich am 15. April klar positioniert und die Teststrategie an Schulen, die es prinzipiell für richtig hält, als chaotisch und unzumutbar bezeichnet [gew-berlin.de]. Es gäbe keine rechtssicheren Regelungen für das pädagogische Personal in den Schulen, hieß es. "Wir raten daher dem schulischen Personal von der Anleitung der Tests ab." Schon zuvor hatte es von der GEW geheißen: "Gerade Grundschulkinder brauchen bei der Durchführung der Tests viel Hilfe. Es fängt beim Öffnen der Stäbchentasche und der Selbsttests und beim Verschließen der Röhren an", erklärte Tom Erdmann am 14. April.
Norman Heise, Vorsitzender des Landeselternausschusses in Berlin, sagte der ZEIT [kostenpflichtiger Artikel bei zeit.de], dass es für ihn als Vater nicht nachvollziehbar sei, "warum eine Testpflicht in der Schule sein muss". Die Politik traue Eltern anscheinend nicht zu, ihre Kinder zuverlässig zu Hause zu testen, so Heise weiter. Seiner Meinung nach fürchten viele Eltern auch eine Stigmatisierung ihres Kindes, wenn es positiv getestet wird.
Der Berliner Kinderschutzbund bemängelt ebenfalls, es sei fraglich, wie Betroffenen bei einem positiven Testergebnis betreut werden sollen. "Kinder haben Ängste und sind bei einem positiven Testergebnis im Klassenraum großer Scham ausgesetzt", sagte ein Sprecher. Dem Schulpersonal sollte das Testergebnis vertraulich und mündlich mitgeteilt werden, das gleiche Recht hätten auch Kinder und Jugendliche. Außerdem werde die ohnehin kurze Unterrichtszeit durch die Tests in der Schule weiter verkürzt.
Virologen warnen schließlich, dass negative Testergebnisse die Kinder und Jugendlichen in falscher Sicherheit wiegen könnten – und dass sie dadurch nachlässig bei Abstandsregeln werden könnten.
Was ist die Rechtslage?
Ein Schüler ist bereits vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit einem Eilantrag gegen die Corona-Testpflicht an Brandenburger Schulen gescheitert. Der 11. Senat des Gerichts lehnte es mit Beschluss vom 12. April ab, den Paragraf 17a der Corona-Eindämmungsverordnung Brandenburgs vorläufig außer Kraft zu setzen.
Die Pandemie-Vorschrift, gegen die der Schüler vorgegangen war, regelt im Wesentlichen, dass ab 19. April der Zutritt zu Schulen und damit auch die Teilnahme am Präsenzunterricht nur mit negativem Corona-Test erlaubt ist. Das Gericht teilte die Auffassung des Antragstellers nicht, dass diese Vorschrift keine Grundlage im Infektionsschutzgesetz habe. Es dränge sich auch nicht auf, dass die "Beibringung eines negativen Tests unverhältnismäßig wäre", heißt es in einer Gerichtsmitteilung. Mit Blick auf die dritte Corona-Welle und die hohen Inzidenzen spreche alles dafür, dass der Gesundheitsschutz diesen Eingriff in die Handlungsfreiheit rechtfertige.
Sendung: Kulturradio, 19.04.2021, 6 Uhr