Bestandsaufnahme - Die Berliner CDU - eine Partei im Taumel

Mo 10.10.16 | 08:31 Uhr | Von Thorsten Gabriel, Inforadio
Eine Menschenmasse (Quelle: dpa/Frank Rumpenhorst)
Bild: dpa/Frank Rumpenhorst

Nach der verlorenen Wahl steht die Hauptstadt-CDU vor einer Zerreißprobe. Klar ist: Die Tage von Frank Henkel als Parteichef sind gezählt. Doch vieles andere ist noch unklar – auch wer künftig das Sagen haben wird. Von Thorsten Gabriel

Nach fünf Jahren ist Schluss. Für die Berliner Christdemokraten heißt es wohl in Kürze: raus aus der Regierung, rein in die Opposition. Was auch bedeutet: Nach der verlorenen Abgeordnetenhauswahl wird jetzt abgerechnet in der Hauptstadt-CDU. Die Tage von Parteichef Frank Henkel sind gezählt. Das ist aber auch schon so ziemlich alles, was bislang feststeht. Wer künftig das Sagen haben wird oder wie weit sich die Union inhaltlich neu aufstellen wird ist noch unklar. Und so steht die Berliner CDU nach Jahren der Ruhe nun wieder vor einer Zerreißprobe.

Das haut einige aus der Führungsetage fast vom Stuhl

Die Partei ist im Taumel. Die Stadt hat am 18. September mehrheitlich nicht die CDU gewählt. Mit 17,6 Prozent hat sie das schlechteste Ergebnis seit dem Krieg eingefahren. Am Wahlabend herrschte Ernüchterung bei den Parteifunktionären: Von einem "bitteren Ergebnis für die CDU" sprach Fraktionsvorsitzender Florian Graf, es sei "nichts schönzureden" gestand Generalsekretär Kai Wegner, und Vize-Parteichef Thomas Heilmann erklärte: "Man wird ja nicht sagen können, wir machen jetzt einfach so weiter wie bisher."

Doch – man kann. Zumindest, wenn man Frank Henkel heißt und Parteichef ist: "Als Spitzenkandidat habe ich meinen Teil der Verantwortung zu tragen und das tue ich auch. Das heißt: Ich bleibe im Amt." Bei diesem Satz wären einige in der Führungsetage der Landes-CDU nach eigenem Bekunden fast vom Stuhl gefallen. Zwar hatte man verabredet, keine Personaldiskussionen am Wahlabend zu führen. Aber diese Verweilens-Bekundung des Spitzenkandidaten ging dann doch zu weit.

Ein unverhohlener Fingerzeig Richtung Ausgang

"Ich glaube, Frank Henkel ist sich seiner Verantwortung sehr bewusst, und er will die Partei jetzt nicht ins Chaos stürzen. Deswegen macht er keinen überstürzten Rücktritt. Ich bin sicher, dass er weiß, was er im nächsten Jahr zu tun hat", erklärteder Reinickendorfer Kreischef Frank Steffel am nächsten Tag.

Das war schon keine Brücke mehr, die er dem Parteichef baute, sondern ein ziemlich unverhohlener Fingerzeig Richtung Tür. Nur wenig später bot Henkel den Gremien tatsächlich einen Rückzug auf Raten an – freiwillig, wie alle betonen. "Er wurde da nicht rausgedrängt oder rausgemobbt, sondern hat für sich eine Entscheidung getroffen, und das Präsidium hat ihn gebeten, diese Übergangsphase noch mitzugestalten", sagte Generalsekretär Kai Wegner. Gemeint war die Übergangsphase bis zur nächsten regulären Vorstandwahl im Frühsommer kommenden Jahres.

Frank Henkel, noch amtierender Innensenator und Landeschef der Berliner CDU, wird mit Sexismus-Vorwürfen konfrontiert. (Quelle: dpa/Soeren Stache)
Frank Henkel | Bild: dpa

Wer hatte mit wem Liebschaften und warum?

Doch dieser Plan geriet schon kurz darauf ins Wanken, ausgelöst durch Jenna Behrends: "Ich hätte sehr, sehr gerne mit Frank Henkel persönlich gesprochen. Das hat nicht stattgefunden. Frank Henkel hat mich, entgegen seiner Pressemitteilung, nie persönlich kontaktiert."

Behrends, 26, ist seit zwei Jahren Parteimitglied in Henkels Kreisverband Mitte. In einem offenem Brief beklagte sie fünf Tage nach der Wahl Sexismus in der CDU – und führte ausgerechnet Henkel als Beispiel an: Der habe sie einmal auf einem Parteitag als "große süße Maus" angeredet, nachdem er zuvor ihre dreijährige Tochter als "kleine süße Maus" begrüßt habe. In der Parteispitze ist man alarmiert – doch Henkel selbst schottet sich ab, lässt selbst enge Vertraute im Unklaren und teilt ohne Absprache per Pressemitteilung lediglich mit, dass er sich über Stil und Inhalt des offenen Briefes gewundert habe. Ein Dementi der Vorwürfe oder eine Bitte um Entschuldigung gibt es nicht.

Und damit erneut: Entsetzen bei Parteifreunden. Zumal Behrends Äußerungen geradezu eine Schlammschlacht nach sich ziehen: Wer hatte mit wem Liebschaften und warum? – all das wird nun auf offener Bühne diskutiert, befeuert durch eine Vertreterin der Frauen-Union, während der Parteichef auf Tauchstation ist.

Erfolgreicher Direktkandidat, aber für die Kandidatur zu links

Das Erscheinungsbild der CDU in den Tagen nach der Wahl war und ist kein gutes", lautet das einhellige Fazit drei Wochen nach dem Wahldesaster. Ausgesprochen von Mario Czaja, dem Noch-Sozialsenator und erfolgreichsten Direktkandidaten aller Parteien von ganz Berlin.

In seinem Wahlkreis in Marzahn-Hellersdorf holte er nicht nur satte 47,2 Prozent für sich, sondern auch über 30 Prozent der Zweitstimmen für seine Partei. Einer, der sich damit als künftiger Parteichef empfehlen dürfte, könnte man meinen. Doch in der CDU ticken die Uhren anders. Gerade in den West-Bezirken zollt man dem 41-Jährigen zwar Anerkennung fürs Wahlergebnis, hält ihn ansonsten aber für nicht mehrheitsfähig. Verkürzt könnte man sagen: Sie halten ihn dort für zu unkonventionell und zu links.

Monika Grütters; Foto: Soeren Stache/dpa
Minika Grütters | Bild: Foto: Soeren Stache/dpa

Monika Grütters soll übernehmen – aber wird sie auch?

Das Parteipräsidium drängt eine andere, sich um die Nachfolge zu bewerben: Monika Grütters, ihres Zeichens Kulturstaatsministerin im Kanzleramt und quasi gesetzte Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl im kommenden Herbst. Auf ihr ruhen die Hoffnungen, doch sie selbst hält es wie Henkel – und schweigt. Kein Wunder, mit ihrem Ministerjob hat sie eigentlich genug um die Ohren. Dass sie den Posten im nächsten Jahr dennoch übernehmen würde, scheint trotzdem wahrscheinlich.

Völlig ungelegen käme ihr hingegen ein schnellerer Abgang Henkels in nächster Zeit. Doch genau der zieht drohend herauf. Generalsekretär Wegner beschreibt das Problem diplomatisch: "Ich glaube, ganz wichtig ist in der Tat, wie eine Partei auch mit ihren Führungskräften umgeht, und wir müssen uns überlegen – vor allem Frank Henkel muss sich überlegen –, an welcher Stelle er sich selbst weiter einbringen möchte."

Eine Kampfkandidatur zeichnet sich ab

Und genau da scheint Henkel sich festgelegt zu haben: Er wolle als Vizepräsident des Abgeordnetenhauses kandidieren, pfeifen die konservativen Spatzen von den Dächern. Doch die pfeifen auch, dass Vizefraktionschefin Cornelia Seibeld ebenfalls Interesse an dem überparteilichen Posten hat.

Eine Kampfkandidatur zeichnet sich ab, bei der Henkel auch verlieren könnte. Dann hätte die CDU wieder mal einen ehemaligen Spitzenkandidaten quasi unehrenhaft versenkt – wenngleich auch selbst mitverschuldet. Und die Nachfolgefrage würde die wichtige Diskussion über die künftige inhaltliche Ausrichtung überlagern.

Ergebnisse Berlin-Wahlen ab 1990

Nach seriöser Oppositionsarbeit fühlt es sich nicht an

Denn die wahrscheinlich anstehende Oppositionszeit wird besonders schwer: Die Union ist im Parlament eingekesselt von AfD und FDP. Da wäre ein klares Leitbild schon hilfreich, also eine Antwort auf die Frage: Sollte die Union angesichts einer strukturell eher linksgeprägten Großstadt stärker nach links rücken oder stattdessen am rechten Rand der AfD die Wähler streitig machen? Aus Sicht des konservativen CDU-Vertreters Burkard Dregger wäre ein Rechtsruck die falsche Antwort. Sein Plädoyer: "Wir müssen einfach die seriöse Oppositionsführung übernehmen. Seriös, kritisch, aber auch konstruktiv und nicht populistisch, nicht übertreibend. Wir müssen auch unsere Sprache im Griff haben, nicht eskalieren, sondern auch dort zusammenführen, wo es notwendig ist."

Seriöse Oppositionsarbeit – danach fühlt es sich bislang noch nicht so ganz an. Das neue Abgeordnetenhaus hat sich noch nicht einmal konstituiert, da werden aus Partei und Fraktion schon wieder eifrig Pressemitteilungen verschickt. Generalsekretär und Fraktionschef wettern gegen rot-rot-grün, als schlage das Herz der Union noch im Wahlkampfmodus. Als gelte es noch ein paar Prozentpunkte rauszureißen – als sei der Wahlabend nur ein böser Traum statt ein böses Erwachen gewesen.

Beitrag von Thorsten Gabriel, Inforadio

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