Vor Koalitionsverhandlungen in Berlin - Alle drei sind guter Dinge
Ein neuer Politikstil soll in Berlin Einzug halten. Das haben Grüne und Linke schon vor der Wahl gefordert. Am Mittwochabend stimmten die Grünen der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linken ebenfalls zu. Jetzt geht es darum, diesen neuen Stil zu prägen. Das Spitzenpersonal übt schon. Von Tina Friedrich
"Diese Legislaturperiode muss eine Form von Neuanfang sein", formulierte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nach den ersten Sondierungsgesprächen mit Grünen und Linken. Er sah gelöst und zuversichtlich aus. "Viele Dinge müssen anders formuliert werden. Wir gehen mit einem anderen Anspruch an diese Regierungsarbeit, aber das ist ja auch etwas, das uns verbindet." Das Verbindende zu betonen, darauf sind derzeit alle erpicht.
Spricht man dieser Tage mit Vertretern der drei wahrscheinlichen Regierungsparteien in der Hauptstadt, bekommt man fast den Eindruck, es habe niemals Streit gegeben. Nicht zwischen der Grünen Fraktionschefin Ramona Pop, die keine Gelegenheit ausließ, gegen den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) zu wettern, nicht zwischen Müller und dem Linken-Landesparteichef Klaus Lederer, der auch mal als Stellvertreter für alles Übel der vorvergangenen gemeinsamen Regierungsjahre herhalten musste, oder zwischen den Oppositionsparteien, die sich bei strategischen Entscheidungen mitunter uneins waren.
Die "Lage der SPD"
Alles vergeben und vergessen? Nein, aber angesichts der Lage der SPD zeigen die anderen Parteien milde Nachsicht. Die "Lage der SPD", die alle Gefragten mantra-artig zitieren, bestimmt derzeit die landespolitischen Flurgespräche stärker als die nahenden Koalitionsverhandlungen selbst. Dröhnendes Schwiegen dazu vom Chefverhandler Michael Müller. Auslöser des internen Streits war die kaum verhohlene Kritik von Fraktionschef Raed Saleh an Müller und dessen Persönlichkeit – sinngemäß: Unter Wowereit hatten wir uns alle mehr zu sagen. Müller und Saleh sind ohnehin nicht die dicksten Freunde, derzeit sprechen sie noch weniger miteinander.
Saleh gehört aber ebenfalls zu dem Team, das ab Donnerstag die Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen, Linken und SPD leiten soll. Deren klares Ziel: einen neuen Kommunikationsstil etablieren. Angesichts der internen Kommunikationslage der SPD ist es schwierig, diesen Anspruch frei von Ironie zu formulieren.
Saleh ist als Strippenzieher in der Partei bekannt, er weiß sehr genau, wann er welche Meinungen äußert, wo er sie publiziert und wann er wen auf einen Kaffee treffen sollte. Bereits seit Jahren hat er mehrfach mit Vertretern von Grünen und Linken besagte Kaffees getrunken, um auszuloten, wie man künftig miteinander könnte. Aus den Reihen der Linken heißt es dazu nur, das Spitzenpersonal aller drei Parteien kenne sich sehr lange, länger als manch eine andere mögliche Regierungskonstellation vor Verhandlungen. Das sei hilfreich.
Zum Erfolg verdammt
Eine Haltung aus der Not heraus: Von Saleh stammt auch der Ausspruch, dass die Koalitionsverhandlungen "zum Erfolg verdammt" seien. Aus Grünen und Linken Parteikreisen hört man denselben Wortlaut. Denn welche Alternative gibt es? Die Partei, die sich selbst so nennt, ist es jedenfalls für keinen der Akteure. Und ein Bündnis aus SPD, CDU und Grünen wäre zwar rechnerisch möglich, hält aber niemand für eine ernsthafte Option. Deshalb hält man zusammen, bewahrt stoisch Haltung, während die SPD darum ringt, sich in ihrem Konflikt nicht völlig aufzureiben.
In Linken-Parteikreisen vergleicht man die Situation mit der eigenen Lage nach der Wahl 2006, als man krachend verloren hatte und dennoch eine Neuauflage der rot-roten Koalition anstrebte. Gerade der damalige und aktuelle Fraktionschef Udo Wolf könne gut verstehen, dass es schwierig sei, eine neue Koalition zu planen und gleichzeitig Wunden zu lecken, heißt es.
Auch bei den Grünen allüberall Verständnis: "Ich kann verstehen, dass die SPD intern etwas zu klären hat", sagt Antje Kapek. "Das war ja kein schönes Ergebnis für eine Volkspartei." Nicht einmal die Südamerika-Reise des Regierenden Bürgermeisters bringt die sonst recht streitbaren grünen Spitzenpolitiker auf die Barrikaden. Man sei sich sicher, dass ein Zeitplan gut abgestimmt dennoch zum Erfolg führe, sagt die Fraktionschefin. In SPD-Kreisen wiederum wird die Reise als lange geplante schöpferische Pause für alle Beteiligten gesehen, die ja sonst ein ganzes Jahr durcharbeiten müssten.
Stillschweigen für das Vertrauen
Dennoch schwingt eine gewisse Skepsis mit, wenn Linken-Parteichef Klaus Lederer sagt: "Ich verrate kein Geheimnis, dass in den ersten Sondierungen nicht sofort helle Liebe und Begeisterung entstanden sind bei der Perspektive, über einen längeren Zeitraum über Inhalte verhandeln zu müssen und sie dann auch über einen längeren Zeitraum umzusetzen." Man habe sich schon gefragt, ob das miteinander gut gehen könne und erst recht in einer Dreier-Koalition, in der sich möglicherweise zwei gegen einen verbünden. Offener sagt es ein anderer im Karl-Liebknecht-Haus: Dass in der SPD vieles durch Proporz geregelt wird, und einige vielleicht noch ihre Pfründe retten wollen, biete noch Sprengstoff für die Verhandlungen. Die SPD bekümmert das nicht: "Parteitagsreden" sagt einer dazu und wischt Einwände beiseite.
An sich sprechen die Beteiligten aber wenig über die Ergebnisse der Gespräche und erst recht nicht über Atmosphärisches. Auch das sei Teil der vertrauensbildenden Maßnahmen, so Kapek, denn man habe vertrauliche Gespräche vereinbart. Dass sich nun auch alle daran halten, sei ein erster guter Schritt.