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Audio: rbb24 Inforadio | 06.11.2022 | Guido Ringel | Quelle: imago images/Andreas Gora

Herthas knappe Niederlage gegen Bayern

Von Fortschritten, die zu nichts Zählbarem führen

Auch gegen Bayern musste sich Hertha knapp geschlagen geben. Auch diesmal pendelten die Berliner zwischen mutigem Spektakel und leichtsinnigen Fehlern. Und auch nach nun 13 Spieltagen fällt eine Einordnung der Saisonleistung weiter schwer. Von Marc Schwitzky

Zu Beginn des Textes muss kurz die vierte Wand durchbrochen und direkt vom Autor zum Lesenden gesprochen werden: Noch etliche Minuten nach dem Abpfiff war die zentrale Idee des Textes nicht geboren. Gegen den FC Bayern zeigte Hertha BSC einmal mehr eine imponierende Leistung. Einmal mehr wurde mutiger, teils mitreißender Fußball gespielt. Einmal mehr aber wechselte sich das Mitreißende mit Phasen ab, in denen die Berliner eigenartig fehleranfällig wirkten. Am Ende steht erneut eine knappe Niederlage.

Aus Autorensicht stellt sich die Frage: Was gibt es aus Hertha-Sicht Neues zu erzählen? Das Narrativ, man habe sich nicht für eine gute Leistung belohnt, wird angesichts der bereits fortgeschrittenen Saison allmählich porös. Zu oft war jene Beobachtung schon der rote Faden für die Bewertung von Hertha-Spielen, die abermalige Wiederholung scheint wenig Mehrwert zu geben. Nein, Herthas Situation im November 2022 einzuordnen, fällt schwer.

2:3-Pleite

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Schwarz' Matchplan geht zunächst auf

Es ist ebenfalls nichts Neues, dass Hertha von Trainer Sandro Schwarz einmal mehr sehr gut auf den Gegner eingestellt wurde. Stellte sich in den vergangenen Jahren regelmäßig die Frage, ob und wie unter der Woche trainiert worden sei, lassen sich seit Schwarz' Amtsantritt immer bessere Abläufe erkennen.

Gegen den FC Bayern setzte der 44-Jährige augenscheinlich auf das gewohnte 4-3-3, doch im Spiel stellte sich die Formation anders dar. Im Arbeiten gegen den Ball reihten sich die Berliner in einem 4-4-2 auf. Dodi Lukebakio und Davie Selke, der den angeschlagenen Wilfried Kanga ersetzte, liefen im Verbund Bayerns Innenverteidigung an. Dahinter machte Hertha den Münchnern durch eine klare Mannorientierung zu schaffen. Marco Richter und Jean-Paul Boetius deckten Bayerns Außenverteidigung, Lucas Tousart nahm Joshua Kimmich in die Mangel.

Bayern war dadurch gezwungen, die Bälle schon frühzeitig auf die offensiven Außenbahnen zu verteilen. Doch dort schnappte Herthas Pressingfalle zu, indem der jeweilige Außenverteidiger zusammen mit Tousart oder Suat Serdar aus dem zentralen Mittelfeld genau dann aggressiv den Ball jagten. Das Resultat war, dass die Berliner Ball um Ball gewannen, eigene Kontersituationen einleiteten und der FC Bayern in den ersten zehn Minuten keinen einzigen Schuss verzeichnete. Schwarz hatte seine Spieler hervorragend eingestellt.

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Umstellung zieht Hertha etwas den Stecker

Nach Herthas starkem Beginn aber veränderte sich das Spiel. Gästetrainer Nagelsmann reagierte auf Herthas Pressing und zog Joshua Kimmich im Spielaufbau zwischen die Innenverteidiger, sodass Herthas Mannorientierung numerisch nicht mehr aufging und das Anlaufen somit an Effektivität verlor. Direkt in der 12. Minute gingen die Münchner in Führung. Ein Missverständnis zwischen Serdar und Agustin Rogel führte dazu, dass Sadio Mané viel Platz bekam, Jamal Musiala bediente und dieser souverän einschob.

Abermals, denn auch das ist bei Hertha ein altbekanntes Problem, führte ein vermeidbarer Fehler zu einem Gegentor und dazu, dass Hertha einem Rückstand hinterherlaufen musste. Auch wenn es zur Wahrheit gehört, dass kein Bundesliga-Team solche Patzer gnadenloser bestraft als der deutsche Rekordmeister. Nach dem Tor bewies Hertha jedoch die über die vergangenen Monate gewachsene Widerstandsfähigkeit, fiel nicht auseinander und stellte den FC Bayern weiter vor Probleme.

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Zwischen Licht und Schatten

Die Pole, zwischen denen sich Hertha in dieser Saison bewegt, zeigen sich exemplarisch zwischen Minute 37 und 45. In Minute 37 und 38 kassierte die "alte Dame" gleich zwei Gegentreffer direkt hintereinander. Manch einer wird darauf verweisen, wie glücklich die Bälle vor die Füße von Doppeltorschütze Eric Maxim Choupo-Moting fielen, der nur noch einzuschieben brauchte. Dabei wird jedoch die jeweilige Entstehung der Tore außer Acht gelassen, denn in beiden Szenen verteidigte Hertha tölpelhaft. Es sind Fehler, die weniger mit der Stärke des FC Bayern zusammenhängen, als vielmehr mit der eigenen Konzentration und Abstimmung - auch andere Bundesligisten hätten Herthas schwaches Abwehrverhalten in jenen Situationen ausgenutzt.

Dennoch gab Bayern-Coach Nagelsmann nach dem Spiel zu, dass die Drei-Tore-Führung wohl zu hoch war. Hertha sah das genauso und verkürzte in einer völlig wilden Spielphase noch auf 2:3. Erst netzte Lukebakio nach einem schön herausgespielten Angriff (40.), fünf Minuten später verwandelte Selke einen berechtigten Elfmeter. "Wir haben uns nach dem 0:3 nochmal reingehauen, sind gut zurückgekommen und haben die Bayern zum Zittern gebracht - das schaffen nicht viele Mannschaften und damit hätte auch niemand mehr gerechnet", hielt Kevin-Prince Boateng nach dem Spiel fest. Tatsächlich war es imponierend, mit welcher Trotzreaktion sich Hertha überraschend zurückmeldete. Der von Trainer Schwarz eingeforderte Mut und Glaube an die eigene Stärke lässt auch nach einem 0:3-Rückstand - ob gegen Bayern oder Wochen zuvor Leipzig - nicht nach.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass nur drei Mannschaften in der Liga öfter zurücklagen als Hertha. Es fällt den Hauptstädtern auch nach 13 Spieltagen noch schwer, eine gute Leistung über die vollen 90 Minuten zu zeigen. In der zweiten Halbzeit am Samstagnachmittag versuchten die Berliner noch einmal alles, um den Rekordmeister ins Wanken zu bringen, allzu oft wurde es jedoch nicht mehr gefährlich. Herz, Leidenschaft, Kampf und gewisse fußballerische Qualitäten waren Hertha auch in den zweiten 45 Minuten nicht abzusprechen, doch wie so oft in dieser Saison fehlten die letzten Prozentpunkte, um etwas Zählbares mitzunehmen. "Frustrierend" nannte das Trainer Schwarz nach dem Abpfiff.

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Hertha bewegt sich, das hat das Bayern-Spiel noch einmal gezeigt, in einer komplizierten Gemengelage. Woche für Woche werden die Leistungen der Mannschaft gelobt, Woche für Woche heißt es, man habe sich nicht belohnt. Die "expected-Points"-Statistik ermittelt anhand der Wahrscheinlichkeit von Toren und Gegentoren, wie viele Punkte eine Mannschaft eigentlich haben sollte: Hertha fehlen statistisch fast vier Zähler - einer der höchsten Werte der Liga. Es ist die Wahrheit, dass der Hauptstadtklub eine bessere Tabellenlage verdient hätte. Die spielerischen und mentalen Fortschritte der Mannschaft seit dem Amtsantritt von Schwarz sind enorm, auch das stimmt.

Die andere Wahrheit lautet aber: Hertha BSC hat nach 13 Spielen gerade einmal elf Punkte. Es wurden bislang nur zwei Spiele gewonnen. Sicherlich war das bisherige Gegner-Programm alles andere als leicht, doch sollten sich keine Erfolge einstellen, werden spielerische Fortschritte und Spielpläne zu Schall und Rauch. Es ist diese Gemengelage, die die sportliche Einordnung Herthas so haarig macht. Wenn die Wahrheit laut Otto Rehhagel auf dem Platz liegt, fragt der Hertha-Fan derzeit: "Ja, welche denn?" Womöglich kann man diese Frage nach den beiden kommenden Spielen gegen den VfB Stuttgart (Dienstag, 20:30 Uhr) und 1. FC Köln (Samstag, 15:30 Uhr) beantworten.

Sendung: rbb24 Abendschau, 06.11.22, 19:30 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

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