Fantreffen vor dem Derby - Als fast das ganze Stadion "Eisern Berlin" brüllte

Di 29.10.19 | 16:02 Uhr | Von Stephanie Baczyk
Union-Fan Andreas und Herthaner Matthias vor dem Hauptstadtderby. / rbb/Stephanie Baczyk
Video: Inforadio | 27.10.2019 | Abseits | Bild: rbb/Stephanie Baczyk

Andreas ist Union-Fan aus Marienfelde, Matthias Hertha-Fan aus Adlershof. Beide sind beim 'Mauerspiel' der beiden Klubs 1990 im Olympiastadion gewesen, nun erinnern sie sich an die Wendezeit, abgekühlte Gefühle und freuen sich auf ein Wiedersehen. Von Stephanie Baczyk

Fußballfans kennen sie. Diese Momente, die einfach magisch sind. Die bleiben, egal wie weit sie irgendwann in der Vergangenheit liegen. Wenn der eigene Verein etwas Großes gepackt hat, den Aufstieg vielleicht oder den Klassenerhalt. Wenn der Spielverlauf absurd verrückt oder die Anspannung so riesig ist, dass man eigentlich gar nicht mehr auf den Rasen schauen will, aber doch muss. Wenn das Herz pocht und man das Stadion mit einem tiefen Glücksgefühl und einem zufriedenen Grinsen verlässt.

Der Abend des 27. Januar 1990 im Berliner Olympiastadion ist magisch. Trotz Kälte.

Die beiden Mannschaftskapitäne Olaf Seier (Union) und Dirk Greiser (Hertha) geben sich beim Wiedervereinigungsspiel am 27. Januar 1990 die Hand. / dpa/Thomas Wattenberg
Die beiden Mannschaftskapitäne Olaf Seier (Union) und Dirk Greiser (Hertha) geben sich beim Wiedervereinigungsspiel am 27. Januar 1990 die Hand. | Bild: dpa/Thomas Wattenberg

Rot-weiße Schals, blau-weiße Kappen

Unten auf dem Platz kicken Hertha BSC und der 1. FC Union gegeneinander, Hertha gewinnt am Ende mit 2:1, aber der Sport ist nebensächlich. Die Mauer ist offen, seit zweieinhalb Monaten, und mit ihr ist der Weg frei für das erste Hauptstadtderby der beiden Klubs. Viele der über 51.270 Fans kommen mit rot-weißen Schals und blau-weißen Kappen. Axel Kruse, selbst in den Westen geflüchtet und deshalb Monate von der FIFA gesperrt, trägt an besagtem Abend zum ersten Mal das Hertha-Trikot mit dem Bären auf der Brust. Er erinnert sich, "dass fast das ganze Stadion 'Eisern Berlin' gebrüllt hat".

Matthias aus Adlershof, Hertha-Fan, ist damals 18 Jahre alt. Es ist einer seiner ersten Besuche im Olympiastadion. "Das war 'ne sehr euphorische Stimmung", sagt der Mann mit der grauen Schiebermütze. "Wenn ich davon erzähle, kriege ich heute noch Gänsehaut." Matthias wächst im Osten Berlins auf. Über seinen Vater bekommt er ein Paket mit Hertha-Devotionalien, darunter einen Ball, der heute nicht mehr blau und weiß, sondern eher gelb und grün aussieht. Ein Relikt. "Das war so, wie wenn das Kind zum ersten Mal die Mutter sieht", erinnert er sich und lacht. "Ich war hin und weg. Da hat's mich dann erwischt."

Alles eine Frage des Gefühls

Auch Andreas verbringt den 27. Januar 1990 im weiten Rund des Olympiastadions. "Als neutraler Fan", wie er sagt. "Ich weiß noch, dass ich gefroren habe. Damals bin ich in Marienfelde zur Schule gegangen und ich glaube, das ganze Jahr habe ich wie so einen Euphorie-Rausch erlebt. Abenteuer pur. Vorher fand ich West-Berlin, naja, so ein bisschen piefig, spießig. So Harald-Juhnke-Traumschiff-langweilig. Und auf einmal geht die Mauer auf und drum herum ist alles Neuland."

Auf den Rängen singen Unioner und Herthaner gemeinsam, feiern "die blau-weiße Hertha und den FC Union". Sie sehen glücklich aus, selig. Andreas lächelt, als er davon ezählt, unter seinem grauen Bart. "Das war einfach nur schön", sagt er. "Dass die Mauer auf ist und die Leute das jetzt wirklich gucken können. Dass Leute aus Pankow, die früher mal zur Hertha gegangen sind, endlich wieder zur Hertha gehen können. Und dass Leute aus Neukölln, die früher mal zu Union Oberschöneweide gegangen sind, wieder rüber können." Ein Gefühl, das bleibt. Das auch heute noch greifbar ist, für die, die dabei waren.

Hertha und Union - früher eine Nation

"Hertha und Union, viele werden es nicht mehr wissen, das war früher eine Nation", sagt Axel Kruse. "Die waren im Prinzip befreundet. Viele Herthaner haben Union zu Mauerzeiten besucht." Die Fans der Eisernen widerum begleiten und unterstützen die 'Alte Dame' bei Spielen im Ostblock. Anhänger beider Vereine halten zusammen, tragen den Stempel der Underdogs, der Verschmähten. "Dat war sicherlich politisch begründet", sagt Matthias. "Die Fanlager waren eigentlich klar getrennt. Union war so der Klub der Dissidenten, der regimekritischen Leute."

Unioner Andreas, Herthaner Matthias - und ganz viele Derby-Gedanken. / rbb/Stephanie Baczyk
Unioner Andreas, Herthaner Matthias - und ganz viele Derby-Gedanken. | Bild: rbb/Stephanie Baczyk

Klar positioniert gegenüber der Vereinsführung des BFC Dynamo, des damaligen Stasi-Klubs. Wobei für Andreas "nicht jeder, der zu Union gegangen ist, unbedingt Anti-DDR war. Aber man hat beim Freistoß schon gerne 'die Mauer muss weg' gesungen."

So wunderbar die Bilder von 1990 auch sind, eine Fanfreundschaft wie vor 30 Jahren gibt es heute nicht mehr. "Ich glaube, es ist wie in einer Ehe", sagt Matthias. "Oder bei zwei Liebenden, wo der Fluss dazwischen ist. Die konnten sich nicht haben. Dann ist 'ne Brücke gebaut worden, man hat sich getroffen und im Laufe der Jahre auseinandergelebt." Natürlich gibt es sie noch, die älteren Herren mit den Aufnähern beider Teams auf der Jacke. Ex-Hertha-Stürmer Theo Gries trifft sie bis heute zufällig, wenn er von seinem Job als Scout beim 1. FC Union zu Besuch im Westteil der Stadt ist. Auch Matthias sieht sie im Stadion. Aber sie sind weniger geworden.

Klassen-Kampf gegen Europapokal-Träume

Überlebt hat der Wunsch nach einem Derby in der Fußball-Bundesliga. Olaf Seier, Unions Kapitän beim 'Mauerspiel', spricht nach der Partie 1990 optimistisch von einem baldigen Aufeinandertreffen beider Teams im Oberhaus. 2019 - und vier Duelle in der Zweiten Liga später - ist es soweit. "Wir sind der Underdog", sagt Andreas, "wir haben das kleinere Stadion, das kleinere Budget." Matthias sagt: "Unterm Strich braucht Union die Punkte mehr als wir." Derby-Gedanken.

Der 1. FC Union geht als Aufsteiger in die Partie, das Ziel ist in dieser Saison der Klassenerhalt.  Die Mannschaft von Coach Urs Fischer definiert sich über den Teamgedanken, über Leidenschaft, Laufbereitschaft und Einsatz. Hertha BSC träumt von Europa, groovt sich unter dem neuen Trainer Ante Covic langsam ein.

Ein Derby macht Helden

Matthias zuckt mit den Schultern. "Selbst der bestbezahlte Fußballer weiß genau, was ein Derby den Leuten auf den Rängen bedeutet", hält er noch mal fest. Ein Derby macht Helden. Für das am Samstag stehen 22 neue bereit. Andreas wird im Stadion An der Alten Försterei sein, Matthias hat spontan eine Karte bekommen, guckt dann doch nicht - wie ursprünglich geplant - zusammen mit Union-Fans. Früher, als die Mauer noch stand, ist er regelmäßig zu den Eisernen gegangen.

Es war eine Art Asyl, wie er sagt, weil er eben kein Spiel seiner Hertha besuchen durfte. DDR-Oberliga, Fußball-Romantik. Der 48-Jährige ist seit der Wende nicht mehr An der Alten Försterei gewesen, am Wochenende gibt er sein Comeback. Und er ist fest verabredet. Mit Andreas, auf ein oder zwei Derby-Bierchen.

Beitrag von Stephanie Baczyk

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