Gestreamte Proteste - Demo-Influencer: Krawall bringt Klicks

Fr 26.04.24 | 16:59 Uhr
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Ein Mann macht ein Selfie vor einer Demo in Berlin, im Hintergrund stehen Wasserwerfer (Quelle: dpa/Vladimir Menck/SULUPRESS.DE)
Audio: rbb Inforadio | 28.10.2023 | Helena Daehler | Bild: dpa/SULUPRESS.DE

Wenn Demonstrationen eskalieren, filmen Schaulustige und Influencer mit ihren Smartphones die Einsätze der Polizei - wie zuletzt bei pro-palästinensischen Demos in Berlin. Ein Experte erkennt eine neue hybride Protestform.

Donnerstagmittag. Hermannplatz, Neukölln. Es ist Marktzeit, der Platz ist belebt, im Hintergrund ruft ein Gemüsehändler mit ohrenbetäubender Stimme "Lecker lecker!" Hassan steht ein paar Meter abseits der Stände und spricht in sein Telefon. Auf der Statue hinter ihm, dem "Tanzenden Paar" prangt ein "Free Palestine"-Grafitti. In den vergangenen zwei Wochen wurde die Statue immer wieder beschmiert, überstrichen, beschmiert, überstrichen. Mehrere Polizeiwagen sind seit einigen Tagen pausenlos hier am Platz stationiert – der Krieg in Nahost ist am Hermannplatz allgegenwärtig – auch an einem ganz normalen Markttag wie heute.

In die Tiktok-Videoberichterstattung "reingerutscht"

Hassan, der 37-jährige Neuköllner, streamt seit dem 7. Oktober regelmäßig live bei Tiktok. Er spricht in die Kamera zu seinen Follower:innen über den Krieg und filmt die Proteste an der Sonnenallee. Er erreicht damit, wenn es hochkommt, mehrere Tausend Menschen. Er sieht seine Aufgabe darin, "neutral" zu berichten. "Man muss zwischen Hamas und Palästina wirklich differenzieren. Das machen viele nicht!" Von neutraler "Berichterstattung" im klassischen journalistischen Sinne kann aber nicht die Rede sein. Auf seinem Tiktok-Account ist viel Israel-Kritik zu sehen, Quellenangaben von Videos, die er teilt, fehlen. Eigene Meinung mischt sich mit Berichten vom aktuellen Geschehen.

Das ist das Gute, wenn du live bist. Da können die Leute sich selber ein Bild davon machen. Das ist meine Aufgabe bei Demonstrationen.

Hassan streamt seit dem 7. Oktober bei TikTok

Hassan ist in Berlin geboren und aufgewachsen – seine Eltern sind deutsche Staatsbürger palästinensischer Herkunft – so er hat sich schon immer mit beiden Ländern identifiziert. Das Vorgehen der Polizei gegenüber einigen der Demonstrationen und die – aus seiner Sicht – zu einseitige Berichterstattung hätten ihn zum Tiktoker gemacht: "Dann sehe ich - in dem Land, wo ich aufgewachsen bin, wo ich geboren bin: Dass man nichts reden darf, dass man den Mund nicht aufmachen darf und schweigen muss. Das habe ich festgehalten, viele Leute haben mir zugesprochen und so bin ich da reingerutscht."

Wer sind Demo-Influencer? (Quelle: rbb)Linus Kebba Pook von Democ e.V. analysiert Videos auf sozialen Medien

Kaum Vertrauen in klassische Medien

Für viele - vor allem junge Menschen - sind soziale Medien wie Tiktok inzwischen zur Hauptinformationsquelle geworden. Das Misstrauen gegenüber klassischen Medien ist groß. Bei Hassan, aber auch bei seinen Zuschauer:innen. Ob er das Interview mit dem rbb heute machen soll – auch das hat er seine Follower:innen vorab gefragt. Wir haben Glück: 60 zu 40 geht es aus - zu unseren Gunsten. Frage an die Community: "Vertraut ihr noch klassischen Medien?" Die Antworten folgen unmittelbar, Hassan liest einige vor:

  • "Null Vertrauen in die Medien"
  • "Nur Lüge und Hetze"
  • "Nein, das ist alles gelogen"
  • "Alles verdrehte Berichterstattung"
  • "Deutsche Medien hasserfüllt und rassistisch"

"Das ist natürlich das Gute, wenn du live bist", sagt Hassan. "Da können die Leute selber sehen, sich selber ein Bild davon machen. Das ist meine Aufgabe bei Demonstrationen."

Ein hybrider Protest

Ein paar Tage zuvor – ein Mittwochabend an der Sonnenallee und eine typische Szene in diesen Tagen: Am Rande einer verbotenen pro-palästinensischen Versammlung fliegen vereinzelt Böller in Richtung der Einsatzkräfte. Die Polizei schreitet ein, um eine Person festzunehmen. Es kommt zu einer Rangelei, Rufe sind zu hören. Eine bunte Mischung aus Journalist:innen, Streamern und Schaulustigen fangen die Szene mit Kameras und Handys ein. Eskalation und Krawall ziehen in den sozialen Medien – und werden mit Klicks belohnt. Was auf den Straßen passiert, findet unmittelbar auch im Netz statt – und andersherum.

Auf Tiktok beobachten wir gerade eine massive Radikalisierung einfach durch Videos, durch Inhalte, die auf dieser Plattform stattfinden und auch über einen langen Zeitraum online bleiben.

Linus Kebba Pook, Geschäftsführer von Democ e.V.

Der Verein Democ e.V. beobachtet seit 2019 antidemokratische Bewegungen online und offline – Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus – und auch die Proteste seit dem 7. Oktober. "Auf Tiktok beobachten wir gerade eine massive Radikalisierung einfach durch Videos, durch Inhalte, die auf dieser Plattform stattfinden, auch über einen langen Zeitraum online bleiben", sagt Linus Kebba Pook, Geschäftsführer von Democ. "Ich denke da vor allem auch an sehr klassische Falschnachrichten, eigentlich Desinformation."

Fake-Videos verbreitet

Art und Schwere der Desinformationen unterscheiden sich dabei stark. Kebba Pook öffnet einen der vielen Ordner mit Video-Material auf seinem Rechner. Auf dem Bildschirm erscheint ein Video, das den Alexanderplatz voller Demonstrierender zeigt – gefilmt aus einer vorbeifahrenden S-Bahn. In der Mitte des Videos steht der Schriftzug "Free Palestine" neben einer Palästina-Fahne. "Das sind Bilder einer Black-Lives-Matter-Demonstration vor einigen Jahren", sagt Kebba Pook. "Hier wird also suggeriert, es würde eine pro-palästinensische Demo mit vielen Tausend Teilnehmern auf dem Alexanderplatz stattfinden. Hier am Rand ist sogar noch der Originalkontext des Videos zu erkennen. Insgesamt scheint es die Leute aber nicht groß zu interessieren."

Eine weitere Falschmeldung verbreitete sich in der letzten Woche wie ein Lauffeuer. Laut Gerüchten sei ein 13-jähriger auf einer Demonstration von der Polizei angegriffen worden und daraufhin verstorben. Bereits einige Stunden später stellt die Polizei Berlin in den sozialen Medien klar: "Das ist ein Fake." Doch: das Gerücht ist in der Welt und heizt die Stimmung weiter an – auch heute findet man noch Videos zu dem Fall auf Tiktok.

Erfolgsmodell Krawall

"Ich würde auf Tiktok erwarten, dass die Aufrufe zu Krawallen, das Filmen dieser Protestgeschehen eher mehr wird", sagt Linus Kebba Pook vom Democ-Verein. "Weil es sich gerade lohnt. Es ist für die Streamer, die Tiktoker und Influencer gerade ein Erfolgsmodell von Krawallen zu streamen – sie zu zeigen und das Protestgeschehen damit auch anzuheizen."

Die Streamer blieben dabei mitnichten neutrale Beobachter – einerseits vermittelten sie zwischen den Menschen online im Stream und den Geschehnissen vor Ort. Andererseits seien sie selbst aktive Teilnehmer der Demonstrationen. Nicht selten verabreden sich Menschen noch in den Kommentarspalten eines Live-Streams zu eigenen Versammlungen. "Aus meiner Sicht lässt sich die Trennung zwischen dem, was offline auf der Straße und online passiert, in der digitalisierten Gesellschaft so nicht mehr aufrechterhalten", sagt Kebba Pook.

Es ist für die Streamer, die Tiktoker und Influencer gerade ein Erfolgsmodell von Krawallen zu streamen – sie zu zeigen und das Protestgeschehen damit auch anzuheizen.

Linus Kebba Pook, Geschäftsführer von Democ e.V.

Das Phänomen der Demo-Influencer ist auch der Polizei Berlin nicht entgangen. Auf rbb-Anfrage teilt eine Polizeisprecherin mit: "Die Polizei Berlin beobachtet und identifiziert im Rahmen des Internetmonitorings Nutzende in den sozialen Medien, die besonders aktiv an der Organisation angezeigter Versammlungen und an der Verbreitung von entsprechenden Inhalten beteiligt sind. Insbesondere die Art und Weise von Mobilisierungen von Organisationen/Personen zu Versammlungen wird ausgewertet."

Ob die Polizei Berlin tatsächlich über die Mittel verfügt, die schiere Masse an Desinformation und Aufrufen zu Krawallen engmaschig auszuwerten, bleibt fraglich. Hier wären bekanntermaßen die Anbieter wie Tiktok gefragt, einen besseren Umgang mit irreführenden Inhalten zu finden.

Wer sind Demo-Influencer? (Quelle: rbb)Tiktok-Live-Videos erhalten schnell, viele Reaktionen

Der Protest geht weiter – online und offline

Für dieses Wochenende sind erneut mehrere pro-palästinensische Demonstrationen in Berlin geplant. Auch Hassan wird wieder live dabei sein. Er wünscht sich friedliche Demonstrationen und kritisiert die Menschen, die sich vor allem wegen Krawall und Eskalation beteiligen. Aber auch Hassan weiß, dass gerade diese Inhalte auf Tiktok Reichweite bedeuten.

Letzte Frage an die Community: "Hand auf's Herz: Was haltet ihr von Gewalt und Krawall auf den Demonstrationen?" - "Demonstration ist in Ordnung, aber friedlich!", schreibt einer. "Wir wollen keine Gewalt, sondern Frieden!", ergänzt eine andere. "Ich halte nichts davon, weil es nichts bringt." Hassan schaut sichtlich zufrieden.

"Okay Leute, ich bin jetzt erstmal wieder offline", sagt Hassan. Im Hintergrund schreit noch immer der Gemüseverkäufer. "Ich komme auf jeden Fall nochmal online. Danke, dass ihr dabei wart. Passt auf euch auf! Und nicht vergessen: Free Palestine, Free Gaza, Stoppt den Krieg!"

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.10.2023

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16 Kommentare

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  1. 16.

    Den habe ich heute auf inforadio gehört. Bla-bla in Reinstkultur. So oft das gleiche mit anderen Worten. Vom Dreck in Berlin kein Wort-aber WELTSTADT.

  2. 15.

    Futter für die Gesichtserkennung! Da werden sich noch einige bedanken.

  3. 14.

    Das nennt sich dann Pressefreiheit, aber wehe ich Filme meine eigene Wohnung. Dann verletzt man gleich die persöhnlichkeitsrechte anderer.Kann nicht sein, dass ich mein Leben lauten Menschen anpassen muss.Erst Recht, wenn der Singel nur auf einem Raum zu leben hat. Ergo Ruhe bei 6- 22 Uhr .

  4. 13.

    Bringt jede Demo und jeder Protest nicht auch Klicks und Zuschauer für den rbb?

  5. 12.

    Das Gelaber von so einem "Influenzer" erinnert eher an das Gewäsch von Marktweibern, die mit ihren Fingern auf andere zeigend über ihre Umgebung lauthals herziehen. Die fühlten sich auch immer am wohlsten und im vermeintlichen Recht, um so mehr Claqueure sie hatten. Die Technik entwickelte sich weiter, aber der Mensch blieb in der Regel zurück.

  6. 11.

    Deftig…aber ehrlich! Durch diese Influenzer….ich wüsste von denen gerne mal eine Qualifikation zu irgendwas…wird mehr Schaden angerichtet, da nicht fundiertes „Wissen“ weitergetragen wird. Ist mein persönliches Empfinden. Es wird eine Stimmung angeheizt dadurch, die mir Angst macht. Bin ich alleine, wenn ich sage, ich bin überfordert durch die ganzen Krisen/Kriege? Wohin führt das alles? Ich bin ein Gegner jeglichen Terrorismus, nur….wie will man Einhalt finden? Mein Gefühl ist kein Gutes.

  7. 10.

    Auch heute in der Abenschau wieder ein unkritischer Bericht über die Klima-Kleber mit Interviews (auch mit extra angereisten).

  8. 9.

    Der rbb selbst schickt ohne Anlass Reporter*innen vor Ort, um zu sehen, ob etwas passiert, thematisiert auch, wenn gar nichts passiert. Man rennt selbst den Quoten hinterher, obwohl man ÖRR ist. Die eigene Rolle hat man noch immer nicht politisch und soziologisch im Blick: Wenn man vielfach nur zu best. Themen auf die immergleiche Weise berichtet, ob Silvester-Krawalle, Migration und Asyl oder organisierte Kriminalität, dann prägt man den Diskurs mit. Das ist mangelnde Reflexion.

    Ebenso handelt man unprofessionell, wenn man über Sachthemen keine Expertise verfügt und diese auch nicht durch Expert*innen einholt, insbes. aus der Wissenschaft. Wort kriegen vor allem reißerische Reaktionäre wie Mansour, Ghadban oder die Dreggers und Co., die nachweislich wiederholt Rassismus und Rechtsextremismus verharmlost, Ideologiefragmente davon übernommen haben. Statt kritischer Distanz gibt es auch beim rbb Sonntagsumfragen - unseriös, unwissenschaftlich, 0% Journalismus.

  9. 8.

    manchmal ist es sehr richtig was im Netz gezeigt wird,beispielsweise das Bild einer 22Jährigen die auf einen Pick Up bewusstlos liegt ,offensichtlich gefoltert und vergewaltigt von der Hamas.Es sind Bilder des Massakers und „Global South United“ist nicht weiter als der gefährliche Unsinn von der Zerstörung der Existenz von Israel von Subjekten die zu solchen Massakern fähig sind,aber auch Araber im Gazastreifen selbst ermordeten indem ein Krankenhaus im Gazastreifen von der Hamas bombardiert wurde.Jede Relativierung zu solchen Taten von Menschenverächtern ist zum kotzen ...aber wenn auf Social Media mit Sensationsgier verdient wird passiert nichts wegen Cancel Culture .Viele im Netz informieren sich nicht selbstständig genug und lassen sich manipulieren ohne eine eigene Meinung zu entwickeln,dass wird ausgenutzt und daran verdient,aber das ist kein Grund keine Videos von Dingen die die Welt erfahren muss zu zeigen

  10. 7.

    Sehenden Auges diese Typen deutsche Gesetze konsequenzenlos brechen lassen - WO ist Kai Wegner mit seinem 100-Tage Programm und seinen eigenhändig artikulierten Berlin-Verbesserungen?

  11. 5.

    TicToc ist übrigens auch eine wichtige Quelle für #TheGazaYouDontSee. Die Filme werden aber denen nicht gefallen, die die Hamas-Terroristen für eine seriöse Quelle halten.

  12. 4.

    Dieses ganzen soziale Medien haben ich von Anfang an nicht interessiert, die nutze ich nicht, weil ich sie für gefährlich und für so sinnvoll wie einen Furunkel am Hintern halte.

  13. 3.

    Ich finde das diese Influencer mit das größte Problem sind ... das ist schon erschreckend wie damit Leute von Jung bis Alt! bei TikTok youtube shorts u.s.w. regelrecht bombardiert werden.. völlig ungeprüft ....

    Haben das die Verantwortlichen überhaupt auf dem Schirm ...

    Mir wurden auch unzählige Video shorts vorgespielt, wo die Palästinenser doch schon sehr einseitig als die alleinigen Opfer dagestellt werden...

    Getopt von "SozialMedia" Experten .. die Experten auf jedem Gebiet sind .. egal ob es nun um geopolitische Schauplätze, Virus oder 5G Strahlung geht ..

    Das ist wirklich gefährlich wenn Leute bei solchen Märchenerzählern hängen bleiben...

  14. 2.

    Es ist einfach Wiederlicht ! Alles wird heutzutage Tage gefilmt, wer fragt die Personen die dort auf Bilder zu sehen ,sind ob sie damit einverstanden sind??

  15. 1.

    Dummfluencer träfe ess besser.

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