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Audio: Antenne Brandenburg | 22.09.2022 | Raphael Jung | Quelle: imago images/Artur Widak

Pflichtfach in Polen

Wenn Schüler:innen Schießen lernen

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine beschäftigt sich das Nachbarland Polen intensiv mit der eigenen Sicherheit. Nun müssen sogar Schüler:innen ein einmaliges Schießtraining absolvieren - und jeder darf 15 Mal schießen. Von Raphael Jung

Seit Anfang des neuen Schuljahres erhalten polnische Schüler:innen eine Einführung in die Nutzung von Waffen. Das Schießtraining ist Teil des neuen Lehrplanes des Faches "Sicherheitsausbildung“ und ist Pflicht in der achten und neunten Klasse.

Diese Entscheidung traf der Bildungsminister der regierenden national-konservativen PiS Partei, Przemyslaw Czarnek, bereits im März. Die Gesellschaft müsse sich gegen Angreifer verteidigen können, so Czarnek. Der PiS-Politiker machte sich nach Russlands Angriff auf die Ukraine dafür stark, dass Jugendliche wieder lernen, eine Waffe zu bedienen. Ähnlich dem Unterricht, den es bis 2012 in polnischen Schulen gab und den viele Polen heute aus eigener Erfahrung kennen.

"Eine Frage der Selbstverteidigung"

Wie viele andere Schulen im Land hat auch das 47. Gymnasium von Lodz das Training in den Lehrplan aufgenommen. Auf dessen Schießstand trainierten bislang nur Sport- und Freizeitschützen das Zielschießen. Nun sollen auch die Schüler:innen die Grundkenntnisse des Schießens erlernen.

Einer von diesen Schüler:innen ist die 15-jährige Nikola. Sie besucht die neunte Klasse der Berufsschule für Gastronomie und blickt optimistisch auf das Training. "Ich spüre schon ein wenig Stress, aber ich freue mich auch, dass ich etwas Neues lernen werde", sagt Nikola. Ihre Freundin Sofia findet das Schießen sinnvoll: "Ich denke, es ist eine Frage der Selbstverteidigung, um sich in schwierigen Situationen richtig zu verhalten und um ein Gewehr bedienen zu können. Es passieren ja viele Dinge in der Welt", sagt Sofia.

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Maciej Wozniak, Lehrer für Sport und Sicherheitsausbildung, empfängt täglich Klassen aus Schulen der ganzen Stadt, weil es an seinem Gymnasium einen Schießstand gibt. Er beginnt das Training mit einer Einweisung der Sicherheitsregeln und verteilt daraufhin die Munition – 15 Schüsse gibt es für jeden Schüler. Das Fach "Sicherheitsausbildung" beinhaltet unter anderem auch, wie man sich in Bedrohungssituationen zu verhalten habe, einen Erste-Hilfe-Kurs und eine einfache Verteidigungsausbildung, erklärt Wozniak.

Ermutigung der Eltern

Auch die Eltern der Schüler:innen zeigen sich überwiegend zufrieden mit der Einführung des neuen Lehrplans. Mutter Agnieszka begleitet ihre Tochter Nikola zu ihrem Schießtraining. In ihrer eigenen Schulzeit habe sie solche Schießtrainings selbst erlebt. "Ich finde das gut. Jeder sollte die Möglichkeit haben, einmal ein Gewehr kennenzulernen. Schade nur, dass es so eine einmalige Aktion ist", sagt die Mutter.

Das Schießtraining ist für die Schüler:innen vorerst das letzte. Weitere Trainingseinheiten sind bislang nicht im Lehrplan vorgesehen. Agnieszka glaube, es solle mindestens einmal pro Monat ein Schießtraining stattfinden, damit "die Kinder wirklich damit umgehen können".

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Kritik von polnischem Lehrerverband

Doch vonseiten des polnischen Lehrerverbandes gibt es Kritik. Der Vorsitzende des polnischen Lehrerverbandes, Sławomir Broniarz, sagt, es gebe weder genügend Schießstände noch ausreichend Lehrer für die Schießtrainings. Das Geld für die nötigen Investitionen wäre in anderen Bereichen dringender nötig und die steigenden Energiekosten würden ebenfalls ein Problem darstellen, so Broniarz. Auch die Integration von 180.000 ukrainischen Kindern in den polnischen Schulunterricht müsse eine Priorität sein, sagt Broniarz.

Um Platz im Lehrplan zu schaffen, seien auch wichtige Inhalte gestrichen worden, sagt Aleksandra Piotrowska, Psychologin der Universität Warschau. Diese hätten Schüler:innen notwendige psychologische Kompetenzen vermitteln können, so Piotrowska. Sie könne es nicht akzeptieren, wenn man das Schießtraining und das Bauen von neuen Schießständen nutze, "um das Gefühl der Bedrohung und der Unruhe zu schaffen und gleichzeitig die Überzeugung zu vermitteln, dass ein Schießstand in jedem Landkreis mehr Sicherheit bedeuten würde. Das ist nicht die Wahrheit", so Piotrowska.

Sendung: Antenne Brandenburg, 22.09.23, 14:00 Uhr

Beitrag von Raphael Jung

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