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Audio: rbb24 Inforadio | 01.08.2022 | Christoph Kober | Quelle: dpa/S. Sauer

Nachfolger für das Neun-Euro-Ticket

"Wir brauchen eine radikale Lösung"

Was nach dem Neun-Euro-Ticket kommen soll, wird viel diskutiert. Vorbilder finden sich in unseren Nachbarländern: Ein Mobilitätsforscher der TU Berlin sieht eine Möglichkeit, diese Modelle auch hier umzusetzen. Von W. Siebert und H. Daehler

Vier Millionen Verkäufe - das Neun-Euro-Ticket ist auch in Berlin und Brandenburg ein Erfolg. Bei der Suche nach einem Nachfolgemodell werden derzeit Konzepte aus Österreich und Luxemburg diskutiert. Anhand der Statistiken der dort genutzten Modelle und der Erfahrungen lässt sich ableiten, wie gut diese Modelle auch hier passen.

Einer von mehreren Vorschlägen für ein Neun-Euro-Ticket-Nachfolger ist das 365-Euro-Jahresticket. Damit wäre die Fahrt mit allen öffentlichen Verkehrsmitteln im Bereich AB möglich. Diese Forderung gab es bereits vor einigen Jahren des damaligen Regierenden Bürgermeister Michael Müller. Nun kommt der Vorschlag für die Einführung eines solchen Modells in der Stadt von der Berliner CDU.

"Das tut dem System nicht gut"

Bahngewerkschaften lehnen Verlängerung des Neun-Euro-Tickets ab

Die Zukunft des Neun-Euro-Tickets wird seit Wochen diskutiert - nun auch mit den Gewerkschaften der Bahn. Sie lehnen eine Fortführung des Tickets ab. Die Infrastruktur sei für derartige Massenbeförderungen (zumindest noch) nicht ausgelegt.

Wien hat seit zehn Jahren ein 365-Euro-Ticket

In Wien wurde das 365-Euro-Ticket bereits 2012 eingeführt. Damit können dort alle öffentlichen Verkehrsmittel auf dem Stadtgebiet benutzt werden. Seit der Einführung hat sich die Zahl der Fahrgäst:innen in Wien um fast zehn Prozent erhöht und die Anzahl der Abo-Besitzer:innen sogar mehr als verdoppelt.

Wulf-Holger Arndt, Mobilitätsforscher an der TU Berlin, ist sicher, dass das Wiener Modell mit dem 365-Euro-Ticket auch zu Berlin und Brandenburg passen würde: "Wien ist zwar ein bisschen kleiner als Berlin, aber auch eine Hauptstadt mit einem Umland und viel Pendlerverkehr." Wien setze aber nicht nur auf günstige Tickets, sondern auch verstärkt auf eine Verkehrsberuhigung in der Innenstadt.

"Die Finanzierung des 365-Euro-Tickets in Wien läuft unter anderem über die Parkraumbewirtschaftung - die ist dort flächendeckend, das haben wir hier noch nicht." Seit letztem Herbst gibt es auch das sogenanntes Klimaticket für ganz Österreich, damit kann man für etwas mehr als 1.000 Euro im Jahr den ÖPNV im ganzen Land nutzen. Es gibt aber auch Kritik: überfüllte Züge und fehlende Anbindungen in einigen Regionen.

Vier Millionen verkaufte 9-Euro-Tickets

Dass kostengünstige Angebote gefragt sind, zeigen die bisherigen Auswertungen zum Neun-Euro-Ticket. Der VBB zählt Ende Juli (Stichtag: 26.07.) Vier Millionen verkaufte Neun-Euro-Tickets. Die Fahrgastnachfrage in den BVG-Fahrzeugen habe nach neuesten Messungen das Vor-Corona-Niveau der Sommerferienzeit erreicht. In einer Ende Juni durchgeführten Onlinebefragung durch die BVG zeigte sich, dass sich auch neue Kundengruppen von dem Neun-Euro-Ticket angesprochen fühlen. Fast zehn Prozent gaben an, den ÖPNV davor gar nicht benutzt zu haben.

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Soll es eine Anschlusslösung für das Neun-Euro-Ticket geben?

Für neun Euro pro Monat können Bürger im Sommer den kompletten deutschen Nahverkehr nutzen. Und das Angebot wird angenommen: Millionen Tickets wurden bereits verkauft, Regios sind prall gefüllt. Die Frage ist nur: Wie geht es weiter?

Ohne Ticket durch Luxemburg

In Luxemburg ist das Fahren mit dem öffentlichen Nahverkehr seit anderthalb Jahren kostenfrei. Das gilt sowohl für die 600.000 Einwohner:innen als auch für mehr als 200.000 Pendler:innen plus Tourist:innen. Das Fahren in der 1. Klasse bleibt weiterhin kostenpflichtig. Finanziert wird der Nulltarif in Luxemburg aus Steuergeldern. 40 Millionen Euro wurden zusätzlich investiert. Damit wird auch die Infrastruktur ausgebaut.

Das Nulltarif-Modell lasse sich aufgrund der Größe von Luxemburg gut auf Berlin und Brandenburg übertragen. Finanziert werden könnte das fahrscheinlose Fahren hier auch, ist sich Arndt sicher: "Bei einem Nulltarif braucht es weder Ticketsysteme noch Automaten oder Kontrolleure. Da kann man also noch einiges einsparen."

Lösung muss bei vielen fürs Autoabschaffen sorgen

Ein Neun-Euro-Ticket-Nachfolger muss laut Arndt einen langfristigen Ansatz haben, denn für ein zeitlich begrenztes Angebot würde niemand das Auto abschaffen. Sein Vorschlag ist ein Nulltarif für den Nahverkehr einzuführen. Für Fernzüge müsste dann etwas bezahlt werden. "Wir brauchen jetzt radikale Lösungen für die Klimabilanz, denn die ist schlecht. Seit 1990 gab es keine Senkung der Co2-Bilanz im Verkehr."

Der Nulltarif sei nicht nur finanziell am attraktivsten, denn das Umsteigen auf Bus und Bahn sei komplett ohne Fahrschein am einfachsten. Eine zusätzliche Attraktivität sei, dass bei dieser Lösung auch aufwändige Suchen nach dem geeigneten Tarif einfach wegfalle.

Sendung: Inforadio, 01.08.2022, 6:00 Uhr

Beitrag von Wolf Siebert und Helena Daehler

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