Nachfolger für das Neun-Euro-Ticket - "Wir brauchen eine radikale Lösung"

Mo 01.08.22 | 06:13 Uhr | Von Wolf Siebert und Helena Daehler
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Symbolbild: Fahrgäste warten im Bahnhof auf eine Regionalbahn. (Quelle: dpa/S. Sauer)
Audio: rbb24 Inforadio | 01.08.2022 | Christoph Kober | Bild: dpa/S. Sauer

Was nach dem Neun-Euro-Ticket kommen soll, wird viel diskutiert. Vorbilder finden sich in unseren Nachbarländern: Ein Mobilitätsforscher der TU Berlin sieht eine Möglichkeit, diese Modelle auch hier umzusetzen. Von W. Siebert und H. Daehler

Vier Millionen Verkäufe - das Neun-Euro-Ticket ist auch in Berlin und Brandenburg ein Erfolg. Bei der Suche nach einem Nachfolgemodell werden derzeit Konzepte aus Österreich und Luxemburg diskutiert. Anhand der Statistiken der dort genutzten Modelle und der Erfahrungen lässt sich ableiten, wie gut diese Modelle auch hier passen.

Einer von mehreren Vorschlägen für ein Neun-Euro-Ticket-Nachfolger ist das 365-Euro-Jahresticket. Damit wäre die Fahrt mit allen öffentlichen Verkehrsmitteln im Bereich AB möglich. Diese Forderung gab es bereits vor einigen Jahren des damaligen Regierenden Bürgermeister Michael Müller. Nun kommt der Vorschlag für die Einführung eines solchen Modells in der Stadt von der Berliner CDU.

Wien hat seit zehn Jahren ein 365-Euro-Ticket

In Wien wurde das 365-Euro-Ticket bereits 2012 eingeführt. Damit können dort alle öffentlichen Verkehrsmittel auf dem Stadtgebiet benutzt werden. Seit der Einführung hat sich die Zahl der Fahrgäst:innen in Wien um fast zehn Prozent erhöht und die Anzahl der Abo-Besitzer:innen sogar mehr als verdoppelt.

Wulf-Holger Arndt, Mobilitätsforscher an der TU Berlin, ist sicher, dass das Wiener Modell mit dem 365-Euro-Ticket auch zu Berlin und Brandenburg passen würde: "Wien ist zwar ein bisschen kleiner als Berlin, aber auch eine Hauptstadt mit einem Umland und viel Pendlerverkehr." Wien setze aber nicht nur auf günstige Tickets, sondern auch verstärkt auf eine Verkehrsberuhigung in der Innenstadt.

"Die Finanzierung des 365-Euro-Tickets in Wien läuft unter anderem über die Parkraumbewirtschaftung - die ist dort flächendeckend, das haben wir hier noch nicht." Seit letztem Herbst gibt es auch das sogenanntes Klimaticket für ganz Österreich, damit kann man für etwas mehr als 1.000 Euro im Jahr den ÖPNV im ganzen Land nutzen. Es gibt aber auch Kritik: überfüllte Züge und fehlende Anbindungen in einigen Regionen.

Vier Millionen verkaufte 9-Euro-Tickets

Dass kostengünstige Angebote gefragt sind, zeigen die bisherigen Auswertungen zum Neun-Euro-Ticket. Der VBB zählt Ende Juli (Stichtag: 26.07.) Vier Millionen verkaufte Neun-Euro-Tickets. Die Fahrgastnachfrage in den BVG-Fahrzeugen habe nach neuesten Messungen das Vor-Corona-Niveau der Sommerferienzeit erreicht. In einer Ende Juni durchgeführten Onlinebefragung durch die BVG zeigte sich, dass sich auch neue Kundengruppen von dem Neun-Euro-Ticket angesprochen fühlen. Fast zehn Prozent gaben an, den ÖPNV davor gar nicht benutzt zu haben.

Ohne Ticket durch Luxemburg

In Luxemburg ist das Fahren mit dem öffentlichen Nahverkehr seit anderthalb Jahren kostenfrei. Das gilt sowohl für die 600.000 Einwohner:innen als auch für mehr als 200.000 Pendler:innen plus Tourist:innen. Das Fahren in der 1. Klasse bleibt weiterhin kostenpflichtig. Finanziert wird der Nulltarif in Luxemburg aus Steuergeldern. 40 Millionen Euro wurden zusätzlich investiert. Damit wird auch die Infrastruktur ausgebaut.

Das Nulltarif-Modell lasse sich aufgrund der Größe von Luxemburg gut auf Berlin und Brandenburg übertragen. Finanziert werden könnte das fahrscheinlose Fahren hier auch, ist sich Arndt sicher: "Bei einem Nulltarif braucht es weder Ticketsysteme noch Automaten oder Kontrolleure. Da kann man also noch einiges einsparen."

Lösung muss bei vielen fürs Autoabschaffen sorgen

Ein Neun-Euro-Ticket-Nachfolger muss laut Arndt einen langfristigen Ansatz haben, denn für ein zeitlich begrenztes Angebot würde niemand das Auto abschaffen. Sein Vorschlag ist ein Nulltarif für den Nahverkehr einzuführen. Für Fernzüge müsste dann etwas bezahlt werden. "Wir brauchen jetzt radikale Lösungen für die Klimabilanz, denn die ist schlecht. Seit 1990 gab es keine Senkung der Co2-Bilanz im Verkehr."

Der Nulltarif sei nicht nur finanziell am attraktivsten, denn das Umsteigen auf Bus und Bahn sei komplett ohne Fahrschein am einfachsten. Eine zusätzliche Attraktivität sei, dass bei dieser Lösung auch aufwändige Suchen nach dem geeigneten Tarif einfach wegfalle.

Sendung: Inforadio, 01.08.2022, 6:00 Uhr

Beitrag von Wolf Siebert und Helena Daehler

68 Kommentare

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  1. 68.

    Es geht nicht nur ums Umland: da im Berliner Osten nur (plastik-) abgepacktes Obst/Gemüse in schlechter Qualität und Industriebrot teuer zu kaufen ist, müssen Familien sowieso immer in die Innenstadt fahren. Das 9-Euro Ticket hat die nötige Versorgung für kurze Zeit also deutlich günstiger und damit gerechter gemacht. Mist ist nur, dass die Verbindungen entweder unterbrochen (dieses WE weder U5 noch S5 aber kein Freibad), Strecken verkürzt, ausfallen und generell zu selten fahren. Außerdem ist insbesondere sind insbesondere die U5 Umstiegsmöglichkeiten bescheiden (erste andere U-Bahn ist Alex und Frankfurter Tor wurde einfach begraben)
    All das wäre ja noch OK, man kann ja wachsen. Was ich allerdings furchtbar finde, ist die nicht stattfindende Kontrolle der Maskenpflicht und das Verschwinden auch der normalen Kontrollen (die konnte man wenigstens drauf ansprechen). Damit haben alle Risiko-Gruppen im Berlin Osten praktisch Hausarrest und müssen sich über die Discounter versorgen.

  2. 67.

    FALSCH! RICHTIG ist, dass Sie lediglich vermuten, ich würde etwas verwechseln. Mehr nicht und somit dann ja eigentlich keines Kommentares wert, oder ? ;)

  3. 66.

    Sicherlich- auch.
    Bezogen auf jene , vorrangig junge Leute, die ich kenne (Sohn+Fam.+Freunde , junge Kollg. mit ganz gut bezahltem Job im mittl. Dienst) ist der Hauptgrund B. in's Uml. zu verlassen, der, um die Sorge um die Sicherheit der Familie, insbes. d. Kinder. Welches Kind in B. kann denn noch m. Freunden unbeaufsichtigt auf dem Spielplatz spielen, "ströpen" gehen, m. d. Rad alleine zum Baden fahren? Helikoptereltern u. psych. Beeinträchtigungen aufgr. v. Ängsten sind vorprogrammiert.

  4. 65.

    Hat zwar nicht unmittelbar etwas mit dem Thema des Artikels zu tun, aber Fahrgästinnen gibt es nicht.Eine öffentlich-rechtliche Berichterstattung umfasst auch einen Bildungsauftrag und sollte daher mit gutem Beispiel voran gehen, statt sprachlichen Unfug zu treiben und Neusprech zu forcieren.

  5. 64.

    Auto abschaffen ?! … Nein, das E-Auto ist die hier geforderte radikale (und für uns gute) Lösung für die Stadt … Und später auch für ländliche Gebiete … Sägt nicht immer an dem Ast auf dem wir Alle (sehr gut) sitzen … Wir sind die Hauptstadt einer Nation, die ihren Wohlstand zu sehr großen Teilen dem Automobilbau verdankt … Wir sind nicht Wien, Luxemburg oder gar Amsterdam … Wir haben ANDERE Interessen … Und Berlin hat jetzt sogar ein Automobilwerk vor der Haustür … Mit dem entsprechenden volkswirtschaftlichen Gewinn … Und das die Verkehrsleistung bei gleichzeitig konstantem (!) CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um ein vielfaches gestiegen ist, berücksichtigt man hier überhaupt nicht ?

  6. 63.

    Wenn das Luxemburger mit den Schweizer Modell kombiniert verwirklicht werden sollte, dann würde wohl jemand mehr Fortschritt wagen. Aber die jetzige Bundesregierung mag dann doch mehr Rückschritt wagen.

  7. 62.

    "wenn die Berliner dieselben nicht mehr "Halunkenexpress" nennen. Und das wird erst sein, wenn man "erlebnisorientierte Männer ", Pöbler, Musikanten, Taschendiebe, Frauenbelästiger fern hält" Sie verwechseln da wohl etwas, hier ist nicht die Geisterbahn auf dem Volksfest Thema.

  8. 61.

    Fahrrad im Zug - irgendwie schom komisch. Ein Beförderungsmittel wird befördert - ist wie sich vom ADAC im eigenen Auto zu Arbeit schleppen lassen. Oder?

    ;-)

  9. 60.

    Gesamtkosten für 3 Monate 2000 Millionen Euro.

  10. 59.

    Das Bemühen, das Wollen und die geschaffenen Strukturen sind dabei entscheidend, ob das sein kann, was zur Behauptung steht. Null-Abweichung gab es nie, dass die Abweichung zum Normalfall deklariert wird, auch schon per DFI, ist allerdings relativ neu.

  11. 58.

    Seit Einführung des Tickets fahren wir mehr Auto, weil in den RE kommt man mit Fahrrad nicht mehr rein. Wegen Überfüllung kein Einstieg mehr. Pendler machen so ein Minus.

  12. 57.

    Genauso so ist es liebe @Heike
    Wenn ein vernüftiger und pünktlicher Nahverkehr vorhanden wäre würde ich auch das Auto stehen lassen
    Schöne Woche noch und bei Wärme Zitronenwasser mit oder ohne Vodka.

  13. 56.

    Wir dürfen auch die Lebensart auf dem platten Land mit Dörfern nicht außer Acht lassen: Die Leute fahren nicht nur zur Arbeit, sondern bringen die Kinder weg, kaufen für mehrere Tage ein, müssen mal zum Arzt usw. Und das machen die allermeisten gleich in einem Rutsch, wenn sie schon mal in die nächste Stadt aufm Weg sind. Diese Alltagsaufgaben kann man nicht mit ÖPNV in überschaubarer Zeit erledigen, auch mit dem besten und dichtesten ÖPNV nicht. Dazu liegen die täglichen Ziele zu unterschiedlich auseinander. Das Auto wurde für dieser Art tägliche Flexibilität erfunden. In den nächsten Jahren kommen da sicher auch paar E-Auto hinzu, wenn der alte Verbrenner nach 10 Jahren den Geist aufgiebt.

  14. 55.

    Hallo Toska, so geht es uns auch.....am Stadtrand alle halbe Stunde ein Bus. Dann schon früh total überfüllt. Dann doch lieber das Auto bis mir Alternativen geboten werden.
    Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche:-)

  15. 54.

    Das Märchen von der PKW-Subvention wird zwar neuerdings gestreut, wird dadurch aber nicht wahrer.
    1. Halter kaufen sich ihr Auto meist selbst (Ausnahme Raub/Schenkung).
    2. Halter tragen die Kosten ihrer Reparaturen.
    3. Straßen/Gehwege stehen der Allgemeinheit zur Verfügung (Krankenwagen, Lieferungen, allgemeiner Ortswechsel)
    4. Man könnte ja sonst auch von einer massiven Subvention der Bürger wegen der Bürgersteige sprechen.
    Ich habe auch kein Auto, aber man muss nicht ständig die Probleme bei den Autofahrern abladen.

  16. 53.

    Zumal auch unter der neuen Regierung nicht davon auszugehen ist, dass sich auf dem Lande irgendetwas am ÖPNV verbessert.
    Die Politik kann dankbar sein, dass die Bürger noch das "teure" Benzin kaufen und mit ihrem selbst erwirtschaftetem Auto zur Arbeit fahren.

  17. 52.

    " Die Leute zogen nicht des Sparens, sondern der Sicherheit wegen aus Berlin raus! "

    Naja das mag für den ein oder anderen einer von mehreren Gründen sein aber für die meisten sicher nicht der Hauptgrund . Ich denke Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt und die damit verbundenen Preise liegen als Grund da weit vor Ihren beschriebenen Sicherheitsbedenken .

  18. 51.

    Vollste Zustimmung.
    Klingt so als arbeiten Sie in Freienbrink und müssen, obwohl Sie außerhalb des Berliner Rings wohnen, den Umweg über Ostkreuz nehmen.
    Absolut unzumutbar.
    Genau aus diesem Grund fahre ich mit dem Auto. Freizeit ist unbezahlbar

  19. 50.

    Vielen Dank für den Tipp!
    Ich komme aus Sachsen-Anhalt, da bringt mir das VBB-Verbundticket nichts. Zudem fahre ich an zwei unterschiedlichen Tagen, sodass ich mit diesem Ticket auch nicht viel günstiger wegkommen würde, wäre es auch in S-A gültig.

  20. 49.

    ..... und erkennt dummerweise nicht, dass Berliner Berlin verlassen, aufgrund der Zugezogenen.
    Ich fahre dann erst Öffis, wenn die Berliner dieselben nicht mehr "Halunkenexpress" nennen. Und das wird erst sein, wenn man "erlebnisorientierte Männer ", Pöbler, Musikanten, Taschendiebe, Frauenbelästiger fern hält. Ich selbst wäre eines Taschendiebes wegen, beinahe (mit entspr. Konsequenzen) zum Körperverletzer geworden. Dann sitze ich lieber entspannt in meinem "Autosessel" - selbst im Stau!

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