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Audio: Anna Brüggemann zur Frage, was im deutschen Film noch passieren muss. | Quelle: dpa/J.Kalaene

Interview | Deutsche Filmbranche fünf Jahre nach #metoo

"Der Machtmissbrauch, der stattgefunden hat, hat mich schockiert"

Wie steht es fünf Jahre nach #metoo um die Repräsentation von Frauen in Film, Fernsehen und auf dem roten Teppich? Schauspielerin und Initiatorin von "Nobody’s Doll" Anna Brüggemann im Gespräch über die Veränderungen in der Filmbranche.

Vor fünf Jahren ging ein Ruck durch Hollywood und den Rest der Welt. Anfang Oktober 2017 veröffentlichte die "New York Times" einen Artikel, in dem schwere Vorwürfe gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein öffentlich gemacht wurden. Unter dem Hashtag #metoo gab es große, vor allem weibliche Unterstützung gegen die Opfer sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch. Die Schauspielerin und Autorin Anna Brüggemann hat im Kontext der #metoo-Bewegung 2018 auf der Berlinale eine Aktion gegen überholte Rollenbilder auf dem roten Teppich gestartet: "Nobodys Doll".

Zur Person

rbb|24: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie im Oktober 2017 das erste Mal von #metoo gehört haben?

Anna Brüggemann: Ich habe damals nicht sofort Parallelen zu Deutschland gezogen. Unsere Filmbranche ist durch das Fördersystem ganz anders strukturiert. Dadurch gibt es bei uns keine so mächtigen Filmproduzenten wie Harvey Weinstein. Aber in Bezug auf ihn hat mich das nicht wirklich überrascht. Gleichzeitig fand ich es ein bisschen seltsam, dass so viele Hollywoodschauspielerinnen sehr laut gerufen haben "I am a feminist".

Warum?

Sie sind durch genau dieses System groß geworden, haben es gefüttert. Natürlich wurde das auch wahnsinnig hochgejazzt. An dem ganzen Gossip war ich überhaupt nicht interessiert. Der Machtmissbrauch, der stattgefunden hat, der hat mich schockiert.

Bei #metoo ging es ja auch vor allem um den Machtmissbrauch und um die Situation am Arbeitsplatz. Es gab auch in Deutschland darüber Diskussionen. Die Filmakademie hat auch einen Ort eingerichtet, bei dem man sich anonym melden kann. Ist das Drehen dadurch sicherer geworden?

Ja. Ich hatte in meiner Karriere zwei blöde Situationen. Eine mit einem männlichen Kollegen. Da war ich 23 und er hat von mir immer nur in der dritten Person geredet. Da frage ich mich bis heute, warum der Regisseur das mitgemacht hat. Er hat so Sachen gesagt wie "da bewegt sie ihren kleinen Po dahin". So etwas wäre heute nicht mehr denkbar.

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Haben Sie sich gewehrt?

Ich habe mich bei dem Kollegen nicht getraut, was zu sagen, was ich bereue. Weil ich aber auch ganz sachlich dachte, wir müssen jetzt diese Szene hier fertig machen. Ich habe nicht gedacht, dass es Teil des Systems war, weil ich ja schon so viel gedreht hatte und auch so viele positive Erfahrungen gemacht hatte mit ganz tollen Kollegen und Kolleginnen. Ich dachte in dem Moment damals einfach nur: Was für ein Arschloch.

Sie haben kurz nach dem Aufkommen von #metoo selbst reagiert mit der Aktion "Nobodys Doll".

Absurderweise ist die Idee dazu unabhängig von #metoo entstanden. Es hat mich schon immer genervt, was für ein Unterschied zwischen Männern und Frauen auf dem roten Teppich gemacht wird. Und nicht nur da. Allein, was für Kommentare sich gerade junge Schauspielerinnen bei Kostümproben anhören müssen. Ich bin nun mal so ein Turnschuh-Mädchen gewesen und hatte eigentlich immer das Bedürfnis, in Sneakers und Jeans über den Teppich zu gehen. Das war schon Anfang der 2000er so. Da kamen Leute auf mich zu und meinten, ich könne das nicht machen, ich müsse doch 'etwas aus mir machen'. Das hat mich erst lange Zeit verunsichert und dann irgendwann genervt. Die Idee zu "Nobodys Doll" gab es also schon vorher.

Weinstein war also der letzte Anstoß?

Es spielte schon mit rein, dass sich in Hollywood viele als Feministin bezeichnet haben. Aber das Frauenbild, dass sie verkaufen, ist nicht feministisch. Feminismus ist für mich, dass man etwas nicht nur durch seinen Körper bewirkt, sondern durch seinen Intellekt, durch das, was man tut und nicht durch seine Schönheit.

Das war zwar schon immer eine Möglichkeit für Frauen, gesellschaftliche Teilhabe zu haben. Aber Feminismus geht darüber hinaus. Gerade in Hollywood hat man ja nur die Teilhabe durch Jugend, Dünnheit und Schönheit. Insofern ist das halt ein etwas vergifteter Feminismus.

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Mit ihrer Initiative "Nobodys Doll" wollten Sie die Definitionsmacht des patriarchalisch geprägten Blickes beugen. Der Slogan war "Wir sind Nobodys Doll. Wir sind Künstlerinnen und keine hübschen Puppen". Wie ist es damals aufgenommen worden?

Sehr zwiespältig. Ich habe vorher Akquise gemacht, weil ich natürlich wollte, dass möglichst viele Kolleginnen und Kollegen mitmachen. Kirsten Niehus hat sofort zugesagt. Die deutsche Filmakademie hat leider ausdrücklich abgesagt. Bei den Kolleginnen waren einige sofort dabei. Es gab aber auch andere, die gesagt haben: "Ich nutze dieses System auch für mich. Aber ich verstehe, was du als Prinzip dahinter anprangerst. Also mache ich mit". Das waren mir die Liebsten, weil es eine coole Haltung war.

Es gab auch viele Telefonate mit berühmten Kolleginnen, die quasi erst gesagt haben, dass sie die Idee gut finden und sich dann doch unsicher wurden. Viele haben sich nicht getraut. Ich war überrascht, dass sich manche angegriffen gefühlt haben. Aber ich wollte wirklich niemanden angreifen. Ich wollte nur das Frauenbild, beziehungsweise das Menschenbild aufbrechen.

Die Aktion ist viereinhalb Jahre her, auch wenn es zwischendurch coronabedingt eine "Rote-Teppich-Pause" gab. Haben Sie das Gefühl, dass sich auf den roten Teppichen etwas verändert hat?

Ja, denn unsere Aktion fiel auf einen Zeitpunkt, auf den sich eh viel verändert hat, ein neuer Frauentyp nach vorne getreten ist. Auf einmal gab es auf Laufstegen Doc Martens, um nur ein Beispiel zu nennen. Deswegen sieht man jetzt komplett andere und anders gekleidete Frauen, was ich sehr begrüße. Ich habe schon das Gefühl, dass, ob ausgelöst durch unsere Aktion oder nicht, eine Entspannung eingetreten ist.

Die Wahrnehmung auf dem roten Teppich ist das eine. Das andere ist die Darstellung von Frauen in Film und Fernsehen. Es gibt genug Studien, die belegen, dass Frauen über 30 kaum vorkommen. Hat sich für Sie in der Wahrnehmung etwas geändert?

In meiner subjektiven Wahrnehmung, ja. Ich habe schon das Gefühl, dass es interessante Rollen für Schauspielerinnen ab 40 gibt. Allein durch den Siegeszug von Francis McDormand in Amerika. Ich war auch begeistert von "Legal Affairs" mit Lavinia Wilson. Ich hoffe, dass diese Entwicklung weitergeht. Wenn man interessante Geschichten erzählen will, ist das unumgänglich. Viel Interessantes fängt halt erst ab 40 an. Wenn man das alles ausklammert oder nur die männliche Perspektive erzählt, geht so viel verloren.

Wie oft bekommen Sie Drehbücher, in denen Sie nur das weibliche Beiwerk sind?

Seltener als man denken könnte. Was mir eher wahnsinnig oft passiert ist, aber das ist kein feministisches Problem, sondern eher ein deutsches, dass überdurchschnittlich viele Krimis produziert werden.

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Also eher ein Problem in der Genre-Vielfalt?

Ja, und dann ist es doch wieder ein feministisches Problem. Da hat auch Maria Furtwängler neulich zu gesagt, dass die Mordopfer oft junge blonde Frauen sind. Ich kann das nicht mehr sehen. Es reicht. Solche Filme mache ich dann auch nicht, auch wenn ich die taffe Kommissarin spielen darf. Ich will nicht mehr dauernd Gewalt an Frauen sehen.

Wo stehen wir gerade in der Gleichberechtigung von Schauspielern, Schauspielerinnen, Regisseuren und Regisseurinnen in der Filmbranche? Was braucht es noch, damit wir gar nicht mehr darüber reden müssen, ob eine Gleichberechtigung vorhanden ist?

Es müssen noch mindestens zwei wichtige Themen auf den Tisch. Die Attraktivität des Alters, die Sichtbarkeit von Frauen über 50 im Film und in der Gesellschaft. Das würde eine unglaubliche Welt auftun und auch eine unglaubliche Entspannung für die Frauen bringen.

Und ein Thema, das noch überhaupt nicht diskutiert wurde, ist die Annahme, dass Schauspielerinnen und Schauspieler immer dünn sein müssen. Gerade der Blick nach Hollywood ist da erschütternd. Es gibt keine gesunde Mitte. Entweder die Frauen sind spindeldürr oder sie verkörpern die lustige Dicke. Aber wo sind die normal gebauten Frauen?

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Anna Wollner für rbb|24.

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