Interview | Deutsche Filmbranche fünf Jahre nach #metoo - "Der Machtmissbrauch, der stattgefunden hat, hat mich schockiert"

Sa 15.10.22 | 13:39 Uhr
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Archivbild: Die Schauspielerin Anna Brüggemann bei einem Spaziergang am 23.03.2021.(Quelle:dpa/J.Kalaene) .
Audio: Anna Brüggemann zur Frage, was im deutschen Film noch passieren muss. | Bild: dpa/J.Kalaene

Wie steht es fünf Jahre nach #metoo um die Repräsentation von Frauen in Film, Fernsehen und auf dem roten Teppich? Schauspielerin und Initiatorin von "Nobody’s Doll" Anna Brüggemann im Gespräch über die Veränderungen in der Filmbranche.

Vor fünf Jahren ging ein Ruck durch Hollywood und den Rest der Welt. Anfang Oktober 2017 veröffentlichte die "New York Times" einen Artikel, in dem schwere Vorwürfe gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein öffentlich gemacht wurden. Unter dem Hashtag #metoo gab es große, vor allem weibliche Unterstützung gegen die Opfer sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch. Die Schauspielerin und Autorin Anna Brüggemann hat im Kontext der #metoo-Bewegung 2018 auf der Berlinale eine Aktion gegen überholte Rollenbilder auf dem roten Teppich gestartet: "Nobodys Doll".

Zur Person

Archivbild:Anna Brüggemann am 07.07.2021.(Quelle:dpa/Geisler-Fotopress)
dpa/Geisler-Fotopress

Die Schauspielerin und Autorin Anna Brüggemann stand mit 15 Jahren das erste Mal vor der Kamera, schreibt mit ihrem Bruder Dietrich gemeinsam Drehbücher und hat 2021 ihren Debütroman "Trennungsroman" veröffentlicht. Auf der Berlinale 2018 hat sie die Aktion "Nobodys Doll" ins Leben gerufen, die überholte Rollenbilder auf dem roten Teppich anprangert.

rbb|24: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie im Oktober 2017 das erste Mal von #metoo gehört haben?

Anna Brüggemann: Ich habe damals nicht sofort Parallelen zu Deutschland gezogen. Unsere Filmbranche ist durch das Fördersystem ganz anders strukturiert. Dadurch gibt es bei uns keine so mächtigen Filmproduzenten wie Harvey Weinstein. Aber in Bezug auf ihn hat mich das nicht wirklich überrascht. Gleichzeitig fand ich es ein bisschen seltsam, dass so viele Hollywoodschauspielerinnen sehr laut gerufen haben "I am a feminist".

Warum?

Sie sind durch genau dieses System groß geworden, haben es gefüttert. Natürlich wurde das auch wahnsinnig hochgejazzt. An dem ganzen Gossip war ich überhaupt nicht interessiert. Der Machtmissbrauch, der stattgefunden hat, der hat mich schockiert.

Bei #metoo ging es ja auch vor allem um den Machtmissbrauch und um die Situation am Arbeitsplatz. Es gab auch in Deutschland darüber Diskussionen. Die Filmakademie hat auch einen Ort eingerichtet, bei dem man sich anonym melden kann. Ist das Drehen dadurch sicherer geworden?

Ja. Ich hatte in meiner Karriere zwei blöde Situationen. Eine mit einem männlichen Kollegen. Da war ich 23 und er hat von mir immer nur in der dritten Person geredet. Da frage ich mich bis heute, warum der Regisseur das mitgemacht hat. Er hat so Sachen gesagt wie "da bewegt sie ihren kleinen Po dahin". So etwas wäre heute nicht mehr denkbar.

Haben Sie sich gewehrt?

Ich habe mich bei dem Kollegen nicht getraut, was zu sagen, was ich bereue. Weil ich aber auch ganz sachlich dachte, wir müssen jetzt diese Szene hier fertig machen. Ich habe nicht gedacht, dass es Teil des Systems war, weil ich ja schon so viel gedreht hatte und auch so viele positive Erfahrungen gemacht hatte mit ganz tollen Kollegen und Kolleginnen. Ich dachte in dem Moment damals einfach nur: Was für ein Arschloch.

Sie haben kurz nach dem Aufkommen von #metoo selbst reagiert mit der Aktion "Nobodys Doll".

Absurderweise ist die Idee dazu unabhängig von #metoo entstanden. Es hat mich schon immer genervt, was für ein Unterschied zwischen Männern und Frauen auf dem roten Teppich gemacht wird. Und nicht nur da. Allein, was für Kommentare sich gerade junge Schauspielerinnen bei Kostümproben anhören müssen. Ich bin nun mal so ein Turnschuh-Mädchen gewesen und hatte eigentlich immer das Bedürfnis, in Sneakers und Jeans über den Teppich zu gehen. Das war schon Anfang der 2000er so. Da kamen Leute auf mich zu und meinten, ich könne das nicht machen, ich müsse doch 'etwas aus mir machen'. Das hat mich erst lange Zeit verunsichert und dann irgendwann genervt. Die Idee zu "Nobodys Doll" gab es also schon vorher.

Da kamen Leute auf mich zu und meinten, ich könne das nicht machen, ich müsse doch 'etwas aus mir machen'. Das hat mich erst lange Zeit verunsichert und dann irgendwann genervt.

Anna Brüggemann, Schauspielerin

Weinstein war also der letzte Anstoß?

Es spielte schon mit rein, dass sich in Hollywood viele als Feministin bezeichnet haben. Aber das Frauenbild, dass sie verkaufen, ist nicht feministisch. Feminismus ist für mich, dass man etwas nicht nur durch seinen Körper bewirkt, sondern durch seinen Intellekt, durch das, was man tut und nicht durch seine Schönheit.

Das war zwar schon immer eine Möglichkeit für Frauen, gesellschaftliche Teilhabe zu haben. Aber Feminismus geht darüber hinaus. Gerade in Hollywood hat man ja nur die Teilhabe durch Jugend, Dünnheit und Schönheit. Insofern ist das halt ein etwas vergifteter Feminismus.

Mit ihrer Initiative "Nobodys Doll" wollten Sie die Definitionsmacht des patriarchalisch geprägten Blickes beugen. Der Slogan war "Wir sind Nobodys Doll. Wir sind Künstlerinnen und keine hübschen Puppen". Wie ist es damals aufgenommen worden?

Sehr zwiespältig. Ich habe vorher Akquise gemacht, weil ich natürlich wollte, dass möglichst viele Kolleginnen und Kollegen mitmachen. Kirsten Niehus hat sofort zugesagt. Die deutsche Filmakademie hat leider ausdrücklich abgesagt. Bei den Kolleginnen waren einige sofort dabei. Es gab aber auch andere, die gesagt haben: "Ich nutze dieses System auch für mich. Aber ich verstehe, was du als Prinzip dahinter anprangerst. Also mache ich mit". Das waren mir die Liebsten, weil es eine coole Haltung war.

Es gab auch viele Telefonate mit berühmten Kolleginnen, die quasi erst gesagt haben, dass sie die Idee gut finden und sich dann doch unsicher wurden. Viele haben sich nicht getraut. Ich war überrascht, dass sich manche angegriffen gefühlt haben. Aber ich wollte wirklich niemanden angreifen. Ich wollte nur das Frauenbild, beziehungsweise das Menschenbild aufbrechen.

Die Aktion ist viereinhalb Jahre her, auch wenn es zwischendurch coronabedingt eine "Rote-Teppich-Pause" gab. Haben Sie das Gefühl, dass sich auf den roten Teppichen etwas verändert hat?

Ja, denn unsere Aktion fiel auf einen Zeitpunkt, auf den sich eh viel verändert hat, ein neuer Frauentyp nach vorne getreten ist. Auf einmal gab es auf Laufstegen Doc Martens, um nur ein Beispiel zu nennen. Deswegen sieht man jetzt komplett andere und anders gekleidete Frauen, was ich sehr begrüße. Ich habe schon das Gefühl, dass, ob ausgelöst durch unsere Aktion oder nicht, eine Entspannung eingetreten ist.

Die Wahrnehmung auf dem roten Teppich ist das eine. Das andere ist die Darstellung von Frauen in Film und Fernsehen. Es gibt genug Studien, die belegen, dass Frauen über 30 kaum vorkommen. Hat sich für Sie in der Wahrnehmung etwas geändert?

In meiner subjektiven Wahrnehmung, ja. Ich habe schon das Gefühl, dass es interessante Rollen für Schauspielerinnen ab 40 gibt. Allein durch den Siegeszug von Francis McDormand in Amerika. Ich war auch begeistert von "Legal Affairs" mit Lavinia Wilson. Ich hoffe, dass diese Entwicklung weitergeht. Wenn man interessante Geschichten erzählen will, ist das unumgänglich. Viel Interessantes fängt halt erst ab 40 an. Wenn man das alles ausklammert oder nur die männliche Perspektive erzählt, geht so viel verloren.

Wie oft bekommen Sie Drehbücher, in denen Sie nur das weibliche Beiwerk sind?

Seltener als man denken könnte. Was mir eher wahnsinnig oft passiert ist, aber das ist kein feministisches Problem, sondern eher ein deutsches, dass überdurchschnittlich viele Krimis produziert werden.

Also eher ein Problem in der Genre-Vielfalt?

Ja, und dann ist es doch wieder ein feministisches Problem. Da hat auch Maria Furtwängler neulich zu gesagt, dass die Mordopfer oft junge blonde Frauen sind. Ich kann das nicht mehr sehen. Es reicht. Solche Filme mache ich dann auch nicht, auch wenn ich die taffe Kommissarin spielen darf. Ich will nicht mehr dauernd Gewalt an Frauen sehen.

Wo stehen wir gerade in der Gleichberechtigung von Schauspielern, Schauspielerinnen, Regisseuren und Regisseurinnen in der Filmbranche? Was braucht es noch, damit wir gar nicht mehr darüber reden müssen, ob eine Gleichberechtigung vorhanden ist?

Es müssen noch mindestens zwei wichtige Themen auf den Tisch. Die Attraktivität des Alters, die Sichtbarkeit von Frauen über 50 im Film und in der Gesellschaft. Das würde eine unglaubliche Welt auftun und auch eine unglaubliche Entspannung für die Frauen bringen.

Und ein Thema, das noch überhaupt nicht diskutiert wurde, ist die Annahme, dass Schauspielerinnen und Schauspieler immer dünn sein müssen. Gerade der Blick nach Hollywood ist da erschütternd. Es gibt keine gesunde Mitte. Entweder die Frauen sind spindeldürr oder sie verkörpern die lustige Dicke. Aber wo sind die normal gebauten Frauen?

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Anna Wollner für rbb|24.

7 Kommentare

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  1. 7.

    Den "Toni Erdmann" fand ich schon recht unterhaltsam, aber auch nicht so spitzenmäßig, wie er von weiten Teilen der Kritik bejubelt wurde. Vielmehr hat mich Ades Debüt "Der Wald vor lauter Bäumen" mit der wunderbaren Eva Löbau berührt. Dieser herzzerreissende Film fristet leider immer noch ein Schattendasein als Geheimtipp; was mw. auch daran liegt, dass er ob seiner gewissen "Sperrigkeit" eher selten im TV lief und die alte DVD eine ziemlich lieblose Angelegenheit darstellt - Letterbox und keinerlei relevante Extras. Auf blu-ray wurde der Film bisher nicht veröffentlicht. :(

  2. 6.

    Gerade ,,Toni Erdmann" hat mich doch eher zwiespältig zurückgelassen.
    Ich stellte mir sofort die Frage, hätte diese story auch als Mutter-Tochter- oder Mutter-Sohn-Beziehung funktioniert? Warum Vater-Tochter?
    Am Ende lässt mich der Film in einer Stimmung zurück, aber er regt mich nicht grundsätzlich zum Nachdenken an. Dazu erschienen mir die Situationen und Konstellationen dann doch zu ausgedacht. Die ruhige Kameraführung ließ den SchauspielerInnen genügend Raum, ihr Können in Szene zu setzen, ist aber wegen des dokumentarischen Charakters der Einstellungen im Kontrast zur eher märchenhaften Handlung nicht unproblematisch. Klar, ob solch intellektueller Spielereien ist die Kritik natürlich begeistert, während mich sowas mehr langweilt.
    Auch macht eine Schwalbe noch keinen Sommer.

  3. 5.

    @Manne: Für mich war Maren Ades "Toni Erdmann" ein für deutsche Filmverhältnisse ziemlich herausragender Film - keine flache Komödie, kein Romantik-Kitsch, kein Krimi.
    In internationaler Hinsicht mag ich die Filme von Sofia Coppola - wobei diese natürlich den Vorteil des berühmten Vaters hatte, um dahin zu kommen, wo sie heute steht. Durch solche Pionierinnen werden aber hoffentlich weitere Frauen motiviert, ebenfalls ihren eigenen Stil umzusetzen.

    @rbb: Kirsten Niehuus schreibt sich mit zwei u.

  4. 4.

    Es geht nicht darum, wen Sie sehen wollen, sondern wer besetzt wird und wie. Wenn Schauspielerinnen zwischen 30 und 50 kaum Rollenangebote kriegen oder Rollen von Müttern von Töchtern im heiratsfähigen Alter mit viel zu jungen Darstellerinnen besetzt werden, stimmt doch was nicht. Das hat für mich nicht einmal was mit Feminismus zu tun, sondern mit schlichter Gleichberechtigung. Ich habe 15 Jahren für Filmproduktionen gearbeitet, allerdings im Produktionsbereich und da sieht es nicht viel anders aus. Die höheren Posten sind überwiegend männlich besetzt, weil die Posten auch gegenseitig zugeschachert werden. Oder wollen Sie ernsthaft behaupten, dass Frauen dümmer und unfähiger sind? Sie spielen sich leider oft weniger auf. Meine Erfahrung, wenn eine Frau sagt, ich kann das zu 70 %, kann sie es garantiert zu 100 %. Sagt ein Mann, er kann 100 %, leistet er meistens nicht mal 50 %. Deshalb müssen Frauen sichtbarer werden und das nicht nur auf der Leinwand.

  5. 3.

    Ich würde es sehr begrüßen, wenn endlich mehr von Frauen käme.
    Vor 50 Jahren war die Blütezeit des deutschen Autorenfilms, wo viele tolle Filme entstanden sind.
    Wenn von Frauen nur dümmliche Komödien oder langweilige Krimis kommen, dann leben sie an ihren Möglichkeiten vorbei.
    Ich kenne keine Regisseurin, die wirklich was auszusagen hätte.
    Wenn hinter Hollywood nicht so viel Geld stecken würde, dann würde sich kaum jemand diesen ganzen Schrott mit special effects und Millionen- Werbeetats ansehen.
    Haben Frauen das träumen verlernt?

  6. 2.

    Zum Thema Präsentation auf dem Laufsteg werde ich nie die Berlinale 2006 vergessen, als ich Claude Chabrol und Isabelle Huppert im Berlinale Palast nach der Vorführung von " Geheime Staatsaffairen" gesehen habe. Diese international renommierte Schauspielerin trat in Jeans und Hemdbluse auf und wirkte super natürlich.
    Ganz anders dann der Auftritt der deutschen Schauspielerinnen der Verfilmung von "Elementarteilchen", - ausnahmslos in sehr eng anliegenden tief ausgeschnitten Kleidern.....

  7. 1.

    Auweia solche Probleme hätte ich auch gern, Feminismus wird immer Peinlicher und Jammriger.
    Mir und vielen anderen ist das Alter der Darsteller völlig egal.

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