Kulturkritik | "Götterdämmerung" in Berlin
Mit "Götterdämmerung" ist am Sonntag an der Berliner Staatsoper der Opernzyklus "Ring des Nibelungen" abgeschlossen worden. Eine schwache Inszenierung von Dmitri Tcherniakov reißen Ensemble und Dirigent wieder raus. Von Andreas Göbel
Mit der "Götterdämmerung" ist am Sonntag der neue "Ring" an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin zu Ende gegangen: mit einem Triumph für das Sängerensemble und den Dirigenten Christian Thielemann, der für den erkrankten Daniel Barenboim eingesprungen ist - und mit Buh-Rufen für die Regie von Dmitri Tcherniakov.
Die großen Inszenierungen von Richard Wagners vierteiligem Opernzyklus "Ring des Nibelungen" hatten immer das Politische dieser Tetralogie mitgedacht - sei es der "Jahrhundert-Ring" von Patrice Chereau in Bayreuth oder auch die Deutungen von Götz Friedrich und Harry Kupfer in Berlin. Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov siedelt seine Inszenierung an der Staatsober in einem Forschungslabor an - und hätte so viel über Politisches und Menschliches erzählen können: Da wird untersucht, manipuliert und intrigiert.
Doch so weit in die Tiefe will der Regisseur offensichtlich nicht gehen. Er überwältigt mit einem gigantischen Bühnenbild, mehr als einem Dutzend verschiebbarer Kästen auf mehreren Stockwerken, von Laboratorium über Konferenzraum bis zum Behandlungszimmer. Gut ausgeschildert für Schlaftherapie oder Stresstest. Das beeindruckt eine Zeitlang, kann aber die inhaltliche Leere nicht füllen.
Tcherniakov lässt alles weg, was ihm nicht in seine Deutung passt: kein Gold, kein Feuer, kein Schwert. Immerhin Tarnhelm und Ring, aber die haben keine Funktion. Stattdessen wird es beliebig: Am Ende wird Siegfried von Hagen in einer Turnhalle mit Basketballkorb ermordet. Viele putzige Einfälle im Detail, aber keine große Deutung. Die Buh-Rufe für den Regisseur waren erwartbar. Ein "Jahrhundert-Ring" ist das nicht geworden.
Das Ensemble kann sich sehen und hören lassen, darstellerisch strotzt es nur so vor Spielfreude. Sängerisch gibt es etliche Glanzlichter. Andreas Schager als Siegfried kommt mit Leichtigkeit über das Orchester. Michael Volle als Wotan/Wanderer und Stephan Rügamer als Mime wachsen über sich hinaus mit beeindruckender Text-Verständlichkeit, aber auch berührend zwischen komödiantisch und tragisch. Anja Kampe als Brünnhilde hat am Ende zu kämpfen, stemmt sich durch die "Götterdämmerung", aber auch das immerhin ein Arbeitserfolg.
Den größten Triumph erzielt Christian Thielemann am Pult der Staatskapelle, eingesprungen für Generalmusikdirektor Daniel Barenboim. Seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten ist Thielemann eine Wagner-Autorität, aber hier hat er sein Meisterstück abgeliefert. Es war ein Orchesterfest und gleichzeitig eine sichere Bank für Sängerinnen und Sänger auf der Bühne.
Gleichzeitig hat er sich in kürzester Zeit in die heikle Akustik der Staatsoper eingearbeitet, selbst für seine Verhältnisse extrem langsame Tempi gewählt, um alles klar darstellen zu können. Unter seiner Leitung spielt das Orchester mit Brillanz, Sinnlichkeit und Wärme, wie man es selten einmal in dieser Vollendung erlebt.
Thielemann und die Staatskapelle – das passt zusammen, und mit dieser Leistung hat sich der Dirigent endgültig als idealer Nachfolger von Daniel Barenboim in die erste Reihe gestellt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10. Oktober 2022, 7:55 Uhr
Beitrag von Andreas Göbel
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