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Audio: Inforadio | 23.04.2021 | Maria Ossowski | Quelle: dpa/Internetaktion #allesdichtmachen

Kommentar | Aktion #allesdichtmachen

In Zeiten wie diesen ist Sarkasmus schwer zu ertragen

Sarkasmus polarisiert, Ironie wertet ab. Die Aktion #allesdichtmachen ist nach hinten losgegangen, weil sie nicht zielführend war. Einfühlsame Künstler*innen hätten die Stimmung im Lande erspüren können, kommentiert Maria Ossowski.

Sie liegt am Boden und oft in den letzten Zügen. Eine Branche, die nicht nur Branche und als solche wirtschaftlich bedeutend ist, sondern die Lebenslust, Seelenraum und Geistesstütze bietet, es geht ihr und ihren Protagonisten miserabel. Die Politik reagiert auf die Verzweiflung aus den Kulturwelten nicht, Pilotprojekte sind abgesagt, aufwändige Hygienemaßnahmen werden ignoriert. Außer lauwarmem Geldregen, der oft nicht ankommt, gibt es keine Signale, die Mut machen und damit das Berufsverbot der Künstler*innen ein wenig erträglicher.

Hintergrund

Schauspieler-Aktion #allesdichtmachen

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Kein Wort zu den Toten der Pandemie

Aus dieser Stimmung heraus sind die Videos mit den sarkastischen und ironischen Statements prominenter Schauspieler*innen entstanden. Alle haben einzeln zu Hause vor der Videokamera gesessen und in kurzen Clips Politik und Medien vorgeführt. Das sei, so erklärt die verantwortliche Münchner Produktionsfirma, Kunst. Ulrich Tukur rezitiert zu Beginn Rilkes berühmtes: "der Tod ist groß, wir sind die Seinen lachenden Munds..." - Das macht er zum Niederknien schön.

Dann allerdings leitet er ins Gruseln über, wir sollten doch alle Supermärkte schließen und Hungers sterben, damit das Virus keine Wirte mehr zerstört und selber stirbt. Liefers greift auch die Medien als Verursacher der Panik an, ebenfalls in Manier seiner Tatortfigur Professor Börne bitter ironisch. Das mag man gelungen finden oder peinlich, richtig oder geschmacklos, überfällig oder dreist. Allen Videos eigen ist die Tatsache, dass die Covidtoten, in Deutschland immerhin 80.000, nicht erwähnt werden. Das ist in der angespannten Situation unserer Zeit nicht besonders empathisch, teilweise im Medienbashing faktisch falsch und vor allem so gar nicht durchdacht.

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Einer Kulturnation unwürdig

Ziel verfehlt

Letztlich darf Satire nach Tucholsky zwar alles, die Frage nur, die sich stellt: Ist so eine Aktion momentan zielführend? Rührt sie, bewegt sie so sehr, dass, getragen von einer riesigen Welle des Verständnisses und des Mitgefühls, die Verantwortlichen erwachen und endlich begreifen, wie entwürdigt, wie deprimiert sich Kulturschaffende fühlen? Um dann vielleicht doch noch Open air zu erlauben oder durchdachte Pilotprojekte für Veranstaltungen? Das wäre das Ziel. Und das ist, mit Verlaub, leider verfehlt.

Sarkasmus polarisiert, Ironie wertet ab. Und deshalb schießen die Ressentiments aller, der Unterstützer wie der Kritiker, aus dem Boden in sämtliche Richtungen. Das liegt in erster Linie an unserer längst unerbittlichen, alle Extreme fördernden, schrecklichen Debattenunkultur vor allem in den sozialen Netzwerken. In den Rachen schieben sollten sie sich ihre Kritik, heißt es, Querdenkerei wird ihnen vorgeworfen, Kolleg*innen schämen sich, die ersten Schauspieler*innen distanzieren sich bereits von ihren Videos, wie z.B. Meret Becker. Das sei wohl nach hinten losgegangen, schreibt sie.

Die Statements gehen in Shitstorms unter

Ja. Das ist so. Wortmächtige Erzähler wie Ulrich Tukur, beliebte Darstellerinnen wie Ulrike Folkerts hätten weit mehr erreicht, wenn sie in ihrer künstlerischen Art authentisch berichtet hätten, wie es ihnen und ihren unbekannteren Kolleg*innen ergeht, sehr individuell, ohne Larmoyanz, aber doch mit Verve, hin und wieder selbstironisch und damit unangreifbar. Das hätte gesessen. In Zeiten wie diesen ertragen die meisten Menschen Sarkasmus nur schwer. Als einfühlsame Künstler*innen hätten sie die Stimmung im Lande erspüren können. Als Fanal ihrer Verzweiflung gehen die Statements jetzt jedoch in Shitstorms unter. Das ist bitter. Denn die seelische und wirtschaftliche Not in der Kultur wächst mit jedem Tag.

Sendung: Abendschau, 23.04.2021, 19:30 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

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