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Quelle: dpa/Karlheinz Schindler

Geburtsorte in Osteuropa

Das Ortsnamen-Dilemma der Statistiker

Geboren in Breslau oder Wrocław? Lemberg oder Lwiw? Welcher Name in der Geburtsurkunde steht, sagt nicht unbedingt etwas über die Staatsangehörigkeit aus. Besonders bei osteuropäischen Geburtsorten ist die Zuordnung schwierig. Von Adam Gusowski

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Mittel- und Osteuropa die Grenzen wieder einmal verschoben. Nach 1945 musste Polen seine Ostgebiete an die Sowjetunion abtreten. Dafür bekam der polnische Staat ehemals deutsche Gebiete im Westen und in Ostpreußen zugesprochen - es kam zu einer Westverschiebung des Staatsgebietes. Dabei wurden auch die Ortsnamen geändert bzw. eingepolnischt. Genau hier liegt die größte Schwierigkeit, die Ortsnamen und die nationale Zugehörigkeit der dort geborenen Menschen statistisch eindeutig zuzuordnen.

In der Theorie also müsste es heißen, dass in Stettin ein Deutscher und in Szczecin ein Pole geboren wurde. Doch auch das stimmt nur bedingt, denn diese Gebiete waren schon immer traditionelle Einwanderungsgebiete mit einer multikulturellen Bevölkerungsstruktur. Der Name des Geburtsortes "Stettin" oder "Szczecin" kann in der Frage der nationalen Herkunft und Zugehörigkeit nur eine grobe Hilfe sein.

Ortsnamen teilweise mehrfach geändert

Noch komplizierter ist es bei der sprachlichen Anpassung der kleinen Städte, Ortschaften und Dörfer. Der Prozess der Änderung von Ortsnamen erfolgte etwa in Polen in mehreren Phasen und dauerte einige Jahre. Es kam durchaus vor, dass ein deutscher Name eines Dorfes nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Namen bekam. Das geschah oft willkürlich durch die neuen Siedler und wurde später von der polnischen Namenskommission noch einmal geändert. In manchen Fällen also kann der gleiche Geburtsort zwei, drei oder sogar vier Namen haben. Auch das kann zu Verwirrungen führen und muss nicht unbedingt die nationale Zugehörigkeit klären.

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Ein besonderer Fall sind die Gebiete Schlesien und Ostpreußen. Hier wurden die Grenzen in den letzten Jahrhunderten mehrmals verschoben. Die Bewohner haben oft eine neue Identität bekommen, ohne dass sie einen Fuß vor die Tür setzen mussten.

Eine ähnliche Situation ergibt sich in den Gebieten hinter der polnischen Ostgrenze. Die ukrainische Stadt Lwiw, deutsch Lemberg, polnisch Lwów war von 1918 bis 1939 eine polnische Stadt. Vor 1939 in Lwów Geborene gehörten also zur Zweiten Polnischen Republik. Zwischen 1939 und 1941 Geborene kamen aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts in der Ukrainischen Sowjetrepublik zur Welt, nach 1941 Geborene im deutschen Generalgouvernement. Nach 1945 Geborene widerum wuchsen in der Sowjetunion auf. Das alles natürlich völlig unabhängig davon, zu welchem kulturellen Kreis die betroffenen Personen traditionell gehörten.

Richtige Namensverwendung heute

Unabhängig von Geschichte und Grenzverschiebungen muss man sich heute in bestimmten Fällen auf eine Sprachregelung einigen: Die Diskussion um die deutschen Namen polnischer Städte ist in Polen in den letzten Jahren abgekühlt. Niemand stört sich daran, wenn man Urlaubsgrüße aus Danzig und nicht aus Gdansk verschickt. Genauso wenig ungewöhnlich erscheint es, wenn in deutschsprachigen Zeitungen Nachrichten aus Warschau und nicht aus Warszawa zu lesen sind. Umgekehrt ist es genauso: Polen fahren nach Monachium und nicht nach München, besuchen Freunde in Kolonia und nicht in Köln.

Und dennoch ist es eine Frage der Höflichkeit. Wenn beispielsweise Brandenburger Politiker heute nach Stettin fahren, sollten sie eher das Wort Szczecin benutzen. Es wäre ein Beweis dafür, dass man mit der gemeinsamen Geschichte sensibel umgeht.

Diese Sensibilität ist vor allem auch bei der polnischen Stadt Łódź wichtig. Im Deutschen sollte man eher Lodsch oder Łódź verwenden und nicht Litzmannstadt (offizieller Name zwischen 1940 und 1945). Die Stadt war damals nach dem deutschen General Karl Litzmann benannt.

Beitrag von Adam Gusowski

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