Geburtsorte in Osteuropa - Das Ortsnamen-Dilemma der Statistiker

Di 21.08.18 | 06:00 Uhr | Von Adam Gusowski
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Archivbild: Mitarbeiter der Verkehrstechnik GmbH Stahnsdorf stellen in Prenzlau ein Hinweiszeichen nach Berlin/Stettin auf. (Bild: dpa/Karlheinz Schindler)
Bild: dpa/Karlheinz Schindler

Geboren in Breslau oder Wrocław? Lemberg oder Lwiw? Welcher Name in der Geburtsurkunde steht, sagt nicht unbedingt etwas über die Staatsangehörigkeit aus. Besonders bei osteuropäischen Geburtsorten ist die Zuordnung schwierig. Von Adam Gusowski

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Mittel- und Osteuropa die Grenzen wieder einmal verschoben. Nach 1945 musste Polen seine Ostgebiete an die Sowjetunion abtreten. Dafür bekam der polnische Staat ehemals deutsche Gebiete im Westen und in Ostpreußen zugesprochen - es kam zu einer Westverschiebung des Staatsgebietes. Dabei wurden auch die Ortsnamen geändert bzw. eingepolnischt. Genau hier liegt die größte Schwierigkeit, die Ortsnamen und die nationale Zugehörigkeit der dort geborenen Menschen statistisch eindeutig zuzuordnen.

Beispiele für Namensänderungen

vor 1946                                             
nach 1946
Stettin Szczecin
Breslau Wrocław
Danzig Gdańsk

In der Theorie also müsste es heißen, dass in Stettin ein Deutscher und in Szczecin ein Pole geboren wurde. Doch auch das stimmt nur bedingt, denn diese Gebiete waren schon immer traditionelle Einwanderungsgebiete mit einer multikulturellen Bevölkerungsstruktur. Der Name des Geburtsortes "Stettin" oder "Szczecin" kann in der Frage der nationalen Herkunft und Zugehörigkeit nur eine grobe Hilfe sein.

Ortsnamen teilweise mehrfach geändert

Noch komplizierter ist es bei der sprachlichen Anpassung der kleinen Städte, Ortschaften und Dörfer. Der Prozess der Änderung von Ortsnamen erfolgte etwa in Polen in mehreren Phasen und dauerte einige Jahre. Es kam durchaus vor, dass ein deutscher Name eines Dorfes nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Namen bekam. Das geschah oft willkürlich durch die neuen Siedler und wurde später von der polnischen Namenskommission noch einmal geändert. In manchen Fällen also kann der gleiche Geburtsort zwei, drei oder sogar vier Namen haben. Auch das kann zu Verwirrungen führen und muss nicht unbedingt die nationale Zugehörigkeit klären.

Ein besonderer Fall sind die Gebiete Schlesien und Ostpreußen. Hier wurden die Grenzen in den letzten Jahrhunderten mehrmals verschoben. Die Bewohner haben oft eine neue Identität bekommen, ohne dass sie einen Fuß vor die Tür setzen mussten.

Eine ähnliche Situation ergibt sich in den Gebieten hinter der polnischen Ostgrenze. Die ukrainische Stadt Lwiw, deutsch Lemberg, polnisch Lwów war von 1918 bis 1939 eine polnische Stadt. Vor 1939 in Lwów Geborene gehörten also zur Zweiten Polnischen Republik. Zwischen 1939 und 1941 Geborene kamen aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts in der Ukrainischen Sowjetrepublik zur Welt, nach 1941 Geborene im deutschen Generalgouvernement. Nach 1945 Geborene widerum wuchsen in der Sowjetunion auf. Das alles natürlich völlig unabhängig davon, zu welchem kulturellen Kreis die betroffenen Personen traditionell gehörten.

Richtige Namensverwendung heute

Unabhängig von Geschichte und Grenzverschiebungen muss man sich heute in bestimmten Fällen auf eine Sprachregelung einigen: Die Diskussion um die deutschen Namen polnischer Städte ist in Polen in den letzten Jahren abgekühlt. Niemand stört sich daran, wenn man Urlaubsgrüße aus Danzig und nicht aus Gdansk verschickt. Genauso wenig ungewöhnlich erscheint es, wenn in deutschsprachigen Zeitungen Nachrichten aus Warschau und nicht aus Warszawa zu lesen sind. Umgekehrt ist es genauso: Polen fahren nach Monachium und nicht nach München, besuchen Freunde in Kolonia und nicht in Köln.

Und dennoch ist es eine Frage der Höflichkeit. Wenn beispielsweise Brandenburger Politiker heute nach Stettin fahren, sollten sie eher das Wort Szczecin benutzen. Es wäre ein Beweis dafür, dass man mit der gemeinsamen Geschichte sensibel umgeht.

Diese Sensibilität ist vor allem auch bei der polnischen Stadt Łódź wichtig. Im Deutschen sollte man eher Lodsch oder Łódź verwenden und nicht Litzmannstadt (offizieller Name zwischen 1940 und 1945). Die Stadt war damals nach dem deutschen General Karl Litzmann benannt.

Beitrag von Adam Gusowski

9 Kommentare

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  1. 9.

    1. Geltende Rechtslage: Jeder Deutsche hat das Recht, in amtlichen Papieren seine Geburt bzw. Heirat mit deutschen Ortsnamen bescheinigt zu bekommen, wenn das Ereignis vor dem 2+4-Vertrag lag! 2. Bei Partnerschaften verwendet jeder den eigenen/den anderen Ortsnamen ("Stettin/Szczecin" für die deutsche Seite). Dies gilt für die traditionellen deutschen Ortsnamen, also nicht Litzmannstadt oder Göringstadt. 3. Jeder nimmt den Ortsnamen seiner Sprache in Texten mit der eigenen Zielgruppe: in deutschen Texte also Lodsch. 4. Der damalige Vizestadtpräsident Breslaus zur Partnerschaft mit Wiesbaden: "Ob Breslau oder Wroclaw, das ist ein deutsches Problem. Wir wissen auch mit Breslau, wer gemeint ist!"

  2. 8.

    Ich bin gespannt, wie Sie das mit Mailand, Rom, Venedig, Prag oder Brünn halten... Es ist linguistisch üblich und geboten, Ortsnamen zu übersetzen. Das wird sich der Menschheit nicht austreiben lassen. Insofern kann man ganz entspannt, so wie im Kommentar ja auch angedacht, weiterhin Breslau, Stettin, Danzig oder Oppeln sagen.

  3. 7.

    Jeder soll es in seiner Sprache nennen, siehe auch das abgebildete Autobahnschild.
    Oder haben Sie schon mal einen Amerikaner gehört der München ausspricht?!

  4. 6.

    Ein dickes Daumen hoch für die doppelten Ortsschilder. In der Ahnenforschung ist es schon lange normal, mit zwei Namen
    zu arbeiten. Die zweifache Benennung ist ein guter Schritt in Richtung Europa.
    Europa united.

    Grüsse aus NRW

    Christina Ehlert

  5. 5.

    Ich habe den Kommentar nicht mißverstanden, sondern plädiere dafür, dass man in der aktuellen Berichterstattung die heutigen Ortsnamen benutzt.

  6. 4.

    Im Grunde genommen ist die Regel für den Geburtsort recht einfach. Es bleibt derjenige, der bei der Geburt galt. Für vor 1920 geborene Spandauer also Spandau (nicht Berlin), für vor 1937 geborene Altonaer also Altona (nicht Hamburg), für vor 1990 in Karl-Marx-Stadt Geborene weiterhin Karl-Marx-Stadt und nicht Chemnitz und für vor 1945 in Hermann-Göring-Stadt Geborene - leider - weiterhin Hermann-Göring-Stadt und nicht Salzgitter.

    So ist es auch mit Menschen aus Breslau, Stettin und Danzig, die dort vor 1945 geboren wurden.

    Selbstverständlich gelten für die heutige Zeit andere Regeln: Zuallererst sollte versucht werden, den aktuell gültigen Namen auszusprechen, wer dies beherrscht, sollte dies auch tun. Im Grunde genommen ist es auch bei "Schschenzin" und "Posnanj" (offenes O) nicht schwierig. DDR-deutsch "Slask" klingt lächerlich. Entweder also "Swonsk" (weiches W) oder Schlesien. In Polen kommt Mensch mit beidem klar.

  7. 3.

    Abgesehen davon, dass die "neuen" polnischen Namen für die Orte in den alten deutschen Ostgebieten durchaus auch schon vor 1945 von Polen benutzt wurden und damit alt sind (die "Gazeta Olsztynska" in Allenstein (Ostpreußen) gab es schon lange vor dem Krieg), geht es im Kommentar ja gerade darum, dass man ohne falsche Scheu die deutschen Namen benutzen soll, nachdem man sich lange Zeit schwer damit tat. Da hat "chborne" den Kommentator missverstanden.

  8. 2.

    Na, das wurde ja mal Zeit, dass man beim rbb merkt, dass Städte östlich der Oder seit über 70 Jahren neue Namen haben. Wie oft habe ich mich über die Berichterstattung geärgert, wenn die Städtenamen vor 1945 verwendet wurden, so, als hätte sich nichts geändert. Bei den Hauptstädten hat es sich eingebürgert, das der deutsche Name verwendet wird, da ist o.k. Das ganze ist meines Erachtens nicht nur eine Frage der Höflichkeit, sondern der political correctness.
    Im übrigen, ein Teil meiner Familie wurde als Deutsche in Polen geboren, waren also polnische Staatsbürger, weil sie in den Gebieten lebten, die nach 1919 von Deutschland an Polen gingen. Bei uns wechselten also nicht nur die Ortsnamen, sondern auch die Staatsbürgerschaften.

  9. 1.

    Seit wann soll der Name der Geburtsstadt etwas über die Staatsangehörigkeit aussagen? Die teilweise erst sehr spät aus den alten deutschen Ostgebieten gekommenen Aussiedler durften doch seinerzeit nur kommen, weil sie eben Deutsche waren, unabhängig davon, dass ihre Geburtsorte nach dem Krieg unter polnische Verwaltung gestellt wurden.
    Abgesehen davon, dass gerade die Grenzen Ostpreußens in den letzten Jahrhunderten nicht „mehrmals verschoben“ wurden sondern zu den beständigsten Grenzen Europas gehörten: wer als deutscher Politiker versuchen würde, bei einem Besuch ständig von „Szczecin“ zu sprechen, droht sich nicht nur wegen der komplizierten Aussprache lächerlich zu machen.. Wenn man sich – berechtigt! – weigert, in der Sprache der damaligen deutschen Eroberer von Litzmannstadt statt von Lodsch zu sprechen, sollte man auch konsequent von Stettin sprechen, statt unterwürfig die Namen der Sieger zu übernehmen!

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