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Quelle: dpa / Paul Zinken

Interview | Straßenbeleuchtung in Berlin

"Der internationale Trend geht hin zum Licht nach Bedarf"

Weil Gasmangel droht, lässt Berlin 200 öffentliche Gebäude nachts im Dunkeln. Auch bei Straßenleuchten gehe es energieeffizienter als jetzt, sagt Lichttechnik-Forscher Samuel Fiedelak. Ein Gespräch über die smarte Stadtbeleuchtung der Zukunft.

rbb|24: Herr Fiedelak, wie schauen Sie als Wissenschaftler mit dem Forschungsfeld Lichttechnik auf Berlins öffentliche Beleuchtung? Welches Potenzial zum Energiesparen sehen Sie da?

Samuel Fiedelak: Wir haben in Berlin im Bundesvergleich noch den größten Anteil von Gasleuchten am Netz: 23.000 von insgesamt 225.000 Straßenleuchten, also rund ein Zehntel. Diese verbrauchen nicht nur ein Vielfaches der Energie von elektrischen Leuchten, sondern auch noch das kostbare Gas, welches wir eigentlich für die Industrie oder die Haushalte brauchen. Ein Großteil von diesen Gasleuchten soll in den nächsten Jahren Stück für Stück auf LED-Technik umgerüstet werden. Aus Gründen des Denkmalschutzes soll jedoch ein gar nicht so kleiner Anteil der Straßenbeleuchtung auch in Zukunft mit Gas betrieben werden.

Bislang gibt es in Berlin rund 52.000 Straßenlaternen mit energieeffizienter LED-Technik. | Quelle: dpa/J. Woitas

Bleiben also rund 200.000 elektrische Leuchten in der Berliner Straßenbeleuchtung. Wie energieeffizient sind die bislang?

Das kommt auf die Art der genutzten Lichtquellen in den Straßenleuchten an. Viele ältere sind mit Natriumdampf-Hochdrucklampen bestückt, die zwar effizient Licht erzeugen, es jedoch nicht sehr effizient im Straßenraum verteilen. Wir haben in Berlin 80.000 davon. Seit 2016 wird die Straßenbeleuchtung kontinuierlich auf die noch energieeffizienteren LED-Leuchten umgerüstet. Da sind wir mittlerweile - Stand Juni diesen Sommers - bei 52.000 LED-Leuchten angekommen, also bei rund 25 Prozent der elektrischen Straßenleuchten. Das Problem ist, dass die in der Anschaffung teuer sind. Viele Kommunen können sich die Umrüstung nur peu à peu leisten. Wenn das Tempo so weitergeht, sind wir in zehn Jahren erst bei ungefähr 50 Prozent Straßenbeleuchtung in Berlin durch LEDs.

Die deutlich steigenden Strompreise werden hier aber zu deutlich kürzeren Amortisationszeiten führen, so dass es die nächsten Jahre eher eine Frage der Beschaffung und der zur Verfügung stehenden Elektriker werden dürfte, als dass der politische Wille fehlt, die Beleuchtung zu ersetzen.

Zur Person

Das wird also noch lange dauern. Kurzfristiger könnte man über zwei andere Wege nachdenken, um bei der Straßenbeleuchtung Energie zu sparen: Man könnte die Lampen zum Beispiel ab 23 Uhr ausschalten - oder die Lichtintensität verringern. Aber sind die Berliner Straßenleuchten überhaupt dimmbar?

Grundsätzlich ist eine Dimmung bei LED-Leuchten viel einfacher und schneller umsetzbar als bei konventionellen Leuchten, aber es bräuchte ein Licht-Managementsystem dafür. Natriumdampf-Lampen sind grundsätzlich auch dimmbar, macht man aber bislang in Berlin nicht. Es gab die sogenannte Halbnacht-Schaltung, wo man zum Beispiel jede zweite Straßenleuchte nach 22 Uhr ausgeschaltet hat.

Letzteres ist allerdings aus wahrnehmungsphysiologischer Sicht eine besonders schlechte Lösung. Dort, wo Leuchten ausgeschaltet werden entstehen sogenannte Tarnzonen, in denen Objekte, wie etwa Fußgänger, nicht mehr rechtzeitig von den Autofahrern erkannt werden können. Insbesondere wenn Blendung durch entgegenkommende Fahrzeuge hinzukommt, können schnell lebensgefährliche Situationen für Fußgänger und Radfahrer entstehen.

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Und darin sehen Sie eine Gefahrenquelle, weil man dort als Fußgänger:in zum Beispiel stolpern kann?

Das Stolpern von Fußgängern wäre noch eine relativ harmlose Gefahrensituation. Viel dramatischer ist es, wenn Kraftfahrer Fußgänger oder Radfahrer zu spät wahrnehmen. Aktuell leuchten die Straßenlampen in Berlin die ganze Nacht. Aus unserer Sicht als Lichttechniker ist das für die Unfallprävention auch nötig - zumindest solange die Autos 50 km/h fahren. Bei dieser Geschwindigkeit muss ich in 60 Metern Entfernung ein Hindernis sehen, um rechtzeitig das Fahrzeug zum Stehen zu bringen. Denn es gibt eine gewisse Verzögerungszeit, bis unser Gehirn die Information verarbeitet, bis man bremst. Dafür braucht es nachts die Straßenbeleuchtung - sonst könnte ich als Autofahrer nicht früh genug erkennen, ob da zum Beispiel ein Mensch auf der Fahrbahn ist.

Würde sich daran etwas ändern, wenn alle maximal 30 km/h fahren dürften?

Die gefahrene Geschwindigkeit ist in der Tat ein wesentlicher Parameter für die Unfallwahrscheinlichkeit. Bei Tempo 30 sinkt der Anhalteweg auf circa zehn Meter. In diesen Bereich bringen Kfz-Scheinwerfer ausreichend Licht, um Objekte frühzeitig erkennen zu können.

In 50 Metern Entfernung liefert ein Abblendlichtscheinwerfer kaum noch einen nennenswerten Beitrag zu Erkennbarkeit. Hier ist Straßenbeleuchtung zwingend notwendig. Wenn also Tempo 30 zur maximalen Geschwindigkeit erklärt würde und diese auch durchgesetzt wird, könnte man die Straßenbeleuchtung sogar nachts abschalten.

Entscheidend ist aber, dass niemand schneller fährt. Wenn das nicht sichergestellt ist, steigt das Unfallrisiko dramatisch. Ob dies jedoch überhaupt von der Bevölkerung akzeptiert wird, bleibt fraglich. Schließlich haben Bürger auch ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Sicherheitsempfinden, wozu die Straßenbeleuchtung entscheidend beiträgt.

Die meisten Straßenlaternen in Berlin sind Natriumdampf-Hochdrucklampen. Davon gibt es rund 80.000 in der Stadt. | Quelle: imago images/S. Zeitz

Dunkelheit ist grundsätzlich mit viel Angst besetzt. Umfragen für eine Studie des Max-Planck-Instituts [csl.mpg.de] haben zum Beispiel ergeben, dass Menschen - besonders wenn sie schon einmal verbale oder körperliche Gewalt erlebt haben - dunkle Orte nachts meiden.

Ob es einen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Dunkelheit gibt und wenn ja, wie stark der ist - dazu gibt es noch Forschungsbedarf. Klar belegt ist aber: Das subjektive Sicherheitsempfinden, also das rein individuelle Befinden, ist im öffentlichen Raum nachts besser, wenn es mehr Beleuchtung gibt. Dann haben die Leute weniger Hemmungen, einen Weg lang zu gehen. Das hat auch etwas damit zu tun, ob ich die Gesichtszüge einer Person, die mir entgegenkommt, schon auf Distanz erkennen kann oder die Körperhaltung. Hat der Mensch etwas in der Hand? Schaut er freundlich oder ernst? Wenn ich das schon auf 50 Meter erkennen kann, fühle ich mich sicherer, als wenn ich das beispielsweise erst in zehn Meter Entfernung erkenne.

Energiefresser Gasleuchte

Wäre es in dieser Hinsicht eine bessere Option, die Straßenbeleuchtung zu dimmen, als sie ganz auszuschalten?

Dazu forsche ich gerade in einem Projekt, bei dem wir mit dem Senat zusammenarbeiten. Es heißt "Dynamische Anpassung der Berliner Straßenbeleuchtung" [li.tu-berlin.de] und dreht sich um die Frage: Wie können wir nur dort beleuchten, wo das Licht in diesem Moment wirklich gebraucht wird? Damit können wir einerseits Energie sparen und andererseits Lichtverschmutzung vermeiden. Dafür arbeiten wir mit Bewegungssensoren oder mit den Verkehrskameras, die es an vielen Ampeln schon gibt. Die Idee ist: Wenn da ein Fahrzeug ist, dann wird das Licht der Straßenleuchte heller. Wenn sich niemand dort bewegt, dimmen wir auf ein Minimum runter.

Wir testen das gerade zum Beispiel auf der Park-and-Ride-Fläche am Bundesplatz und bald soll auch eine smarte Radwegbeleuchtung in der Hasenheide dazukommen. Dort wird jede einzelne Leuchte oben einen Aufsatz bekommen - wie ein Funkempfänger - so dass ich sie einzeln steuern und dimmen kann.

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Gibt es Städte, die so eine smarte Form von Straßenbeleuchtung schon großflächiger umsetzen?

Beispielsweise in der Schweiz in Chur. Dort ist es tatsächlich schon so, dass sich die Straßenlampen nur hochdimmen, wenn jemand zum Beispiel mit dem Hund Gassi geht, also wenn Sensoren eine Bewegung erfassen. Ansonsten bleibt die Beleuchtung auf einem minimalen Level. Dahin geht international der Trend - zum Licht nach Bedarf.

Apropos internationaler Vergleich: Da liest man immer wieder, Berlin sei schon jetzt eine relativ dunkle Großstadt.

Das stimmt. Wenn wir uns Karten angucken vom Nachthimmel über Berlin zum Beispiel im Vergleich mit den Niederlanden, dann sehen wir, dass es bei uns relativ dunkel ist. Wir sehen aber auch, dass es an den Stellen, wo wir schon auf LED umgerüstet haben, teilweise zu hell ist. Das liegt auch daran, dass häufig keine Vermessung des Lichts durchgeführt wird, wenn neue Leuchten eingebaut werden, weil das relativ teuer ist. Jetzt beschweren sich aber teilweise Anwohner, dass sie sich geblendet fühlen - oder dass ihnen die Lichttemperatur nicht gefällt. LED wirken kühler als zum Beispiel Natriumdampf-Lampen, die ein warm-gelbliches Licht machen.

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Aktuell steht Berlin bei circa 25 Prozent LED in der Straßenbeleuchtung. Wie weit sind wir noch entfernt von einem smarten öffentlichen Lichtsystem, wie es zum Beispiel in Chur schon existiert?

Noch ziemlich weit entfernt. Zuerst müsste Geld da sein, um zügiger auf LED umzurüsten. Und dann brauchen wir zusätzliche Elektronik an den Leuchten, um sie an ein smartes System zu koppeln, außerdem vielerorts Bewegungssensoren. In Deutschland laufen dazu aktuell viele Pilotprojekte in der Forschung wie unseres - aber noch sind viele Fragen offen, auch in Sachen Datenschutz: Wo laufen die Daten von den Bewegungsmeldern zusammen? Sollte man beim Lichtmanagement-System auf ein Open-Source-Projekt setzen oder auf eine private Firma?

Am Ende unseres dreijährigen Forschungsprojekts im Sommer 2023 wollen wir soweit sein, Berlin dazu Empfehlungen zu geben. Dann wird die Frage sein: Wie viel Geld hat die öffentliche Hand zur Verfügung, um das auch umzusetzen? Das ist gerade in Berlin so eine Sache.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Anne Kohlick, rbb|24.

Sendung: rbb24 Abendschau, 08.08.2022, 19:30 Uhr

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