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Quelle: rbb

Interview | Bäume im Trockenstress

"Solche Grünast-Abbrüche sind im Vorfeld nicht zu erkennen"

Den Bäumen fehlt Regen, immer häufiger brechen schwere Äste unvermittelt ab. Der Fachbereichsleiter für Grünflächen in Potsdam erklärt, warum es noch keine eindeutige Erklärung für das Abbrechen der noch lebenden Äste gibt.

rbb|24: Herr Schmäh, die Dürre setzt den Bäumen auch in diesem Sommer stark zu. Hin und wieder brechen Äste ab, die eigentlich gesund aussehen und häufig recht groß sind. Wie kommt es dazu?

Lars Schmäh: Die Wissenschaft untersucht das noch. Es gibt derzeit mehrere Thesen. Vereinfacht gesagt, ist der Baum ein Lebewesen, hat eine Überlebensstrategie und trennt sich in Extremsituationen von den Bestandteilen, die er am wenigsten zum Überleben braucht. Die erste These ist: Die Äste im unteren Bereich der Krone liegen häufig im Schatten und dort betreibt der Baum weniger Photosynthesen als im oberen oder äußeren Bereich. Eine andere These sagt, dass die Hitze dazu führt, dass die Astoberfläche sich erwärmt und sich die äußere Holzfläche stärker erwärmt als die innere und diese Spannung zum Versagen des Holzes führt. Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass durch die Trockenheit die Wasserflüsse im Baum gestört werden und teils sogar abbrechen und das die Stabilität des Astes beeinträchtigt. Plausibel ist, dass alle Erklärungen eine Rolle spielen.

Zur Person

Welche Baumpflegemaßnahmen mussten Sie in den letzten Jahren anpassen, weil das Klima sich verändert hat?

Das Baumsubstrat haben wir angepasst. Früher haben wir einfach ein Loch in die Erde gegraben, den Baum gepflanzt und die gleiche Erde wieder verwendet. Jetzt heben wir große Pflanzgruben aus, tauschen den Boden aus, verwenden hochwertiges Pflanzsubstrat, setzen Dränrohre ein, damit Wasser und Luft in den Wurzelbereich kommen. Manche Bäume an besonders schwierigen Standorten bewässern wir über die Zeit der Fertigstellungs- und Entwicklungspflege von sieben Jahren hinaus entweder über oberirdische Bewässerung oder durch Wassersäcke. Wir müssen die Bäume aufgrund der Trockenheit erheblich intensiver pflegen, die Kosten dafür haben sich dafür in den letzten Jahren um 50 bis 100 Prozent erhöht.

Gibt es die Möglichkeit, vom Abbruch bedrohte Äste im Vorfeld zu erkennen?

Das ist ja das Spannende: Solche Grünast-Abbrüche sind im Vorfeld nicht zu erkennen. Die gehen ganz plötzlich vonstatten. Im Gegensatz dazu kann man Abbrüche vonTotholz vorhersehen und dem entgegenwirken: Man sieht den Vitalitätsverlust, so dass zunächst weniger Laub ausgebildet wird und dann gibt es kleine Zweige, die gar keine Blätter mehr tragen. Das können wir im Vorfeld gut beobachten und den Ast abnehmen. Bei den Grünast-Abbrüchen ist das Schwierige, dass man das im Vorfeld nicht sehen kann.

Obstanbau

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Wann ist in Potsdam zuletzt unvermittelt ein großer Ast abgebrochen?

Wir hatten vor wenigen Wochen in Babelsberg einen großen Grünast, der von einer alten Rotbuche abgefallen ist. Der Ast war knapp zehn Meter lang und hatte einen Durchmesser von 15 bis 20 Zentimetern. Bei solchen Grünast-Abbrüchen handelt es sich häufig um waagerecht abstehende Äste aus dem unteren Kronenbereich.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr für Passanten ein, von einem herabfallenden Ast getroffen zu werden?

Bei über 100.000 städtischen Bäumen, die wir in Potsdam haben, hat es in diesen Sommer bislang etwa in zehn Fällen Grünastbrüche gegeben. Die Wahrscheinlichkeit ist höher, von einem Auto oder Fahrrad angefahren zu werden, als von einem Ast erschlagen zu werden.

Wie können Baumpfleger:innen den Bäumen helfen fitter zu werden?

Wir begutachten die Bäume alle jährlich. Nach der Begutachtung werden festgestellte Aufwände umgesetzt, so wird Totholz beseitigt und Wunden an Bäumen werden gepflegt. Wenn ein Ast abgebrochen ist, wird die Abbruchstelle beschnitten und begradigt, damit die Rinde wieder über die Abbruchsstelle wächst und die Schnittwunde sich schließt. Sehr viel Aufwand, Zeit und Geld investieren wir bei Jungbaumpflanzungen, damit der Baum möglichst gute Standortbedingungen bekommt. Dazu haben wir inzwischen die Fertigstellungs- und Entwicklungspflege von drei Jahren auf sieben Jahre ausgeweitet. Wir bieten den Jungbäumen sozusagen eine gute Kinderstube, damit sie möglichst stark in ihr Leben starten.

Das Gespräch führte Anna Bordel.

Sendung: rbb24 Inforadio, 05.08.2022, 16:05 Uhr

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