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Audio: rbb 88.8 | 23.11.2022 | Anke Michel | Quelle: rbb/Anke Michel

Pfandleihhäuser erleben Boom

"Manche kommen, um schnell für zehn Euro etwas zu versetzen, um Windeln zu kaufen"

Die Preise steigen derzeit deutlich schneller als die Löhne – um die Lebenshaltungskosten zu decken, sind also andere Geldquellen gefragt. Pfandleihern wie Martha Spindler in Berlin-Schöneberg beschert das einen regen Zulauf. Von Anke Michel

In Pfandleihhäusern arbeitet Martha Spindler mittlerweile seit mehr als 20 Jahren. Jetzt ist sie Anfang 70 – was man ihr nicht ansieht – und führt seit Jahren ihr eigenes Geschäft in der Schönberger Kolonnenstraße. Die zierliche Frau hat viel gesehen in all den Jahren, sagt sie. Es gebe aber immer wieder Situationen, die sie berührten und länger nicht losließen: "Manche kommen am Freitagabend, um schnell noch für zehn Euro etwas zu versetzen, um Windeln für ihr Kind zu kaufen.

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Szenen wie diese hätten in den vergangenen Wochen zugenommen, sagt Martha Spindler. Das deckt sich mit den Beobachtungen von Wolfgang Schedl, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Pfandkreditgewerbes.

Die Tendenz sei eindeutig, wenn es auch noch keine genaue Statistik dazu gebe: "Seitdem die Lebenshaltungskosten so gestiegen sind, melden die Mitgliedsbetriebe deutlich mehr Kunden." Rund 80 Prozent der Pfandleihhäuser sind in dem Verband organisiert, in Berlin gehören 35 Betriebe der Organisation an – darunter auch das Pfandleihhaus von Martha Spindler.

"Es geht quer durch die Gesellschaft"

In dem Geschäft sitzen Martha Spindler und ihre Mitarbeiter hinter Sicherheitsglas an Schaltern und bedienen die Kundinnen und Kunden – fast wie in einer Bank. Es seien ganz unterschiedliche Menschen, die zu ihnen kämen, sagt sie: "Es geht quer durch die Gesellschaft. Ganz Arme kommen, Geschäftsleute oder Handwerker. Und sie bringen auch alles, was man zu Geld machen kann: Schmuck, Nachlass, Technik, Autos oder Fahrräder." Autos würden sie allerdings gar nicht mehr annehmen, weil sie die Fahrzeuge nicht lagern könnten.

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Der Gegenstand wird im Wert von den Mitarbeitern im Pfandhaus geschätzt, und das Bargeld wird dem Kunden sofort ausgezahlt. Es ist die schnellste Art, einen Kredit zu bekommen - ohne Bonitätsprüfung, man muss nur seinen Ausweis vorlegen. Das Pfandleihhaus in Schöneberg nimmt 3,5 Prozent Zinsen und verdient so sein Geld.

Wer seine Sachen wieder auslöst, muss also mehr Geld dafür bezahlen, als die Kreditauszahlung betrug. Der Wertgegenstand wird ein halbes Jahr aufbewahrt, in dieser Zeit kann man ihn wieder auslösen.

Die Dinge, die nicht verkauft werden und zurückbleiben, werden bei extra Auktionen für Gegenstände aus Pfandleihhäusern versteigert. Wird dabei mehr Geld erzielt als der Betrag des Darlehens plus Zinsen und Versteigerungskosten, bekommt der ehemalige Besitzer den Überschuss ausgezahlt. Holt er sich das Geld nicht innerhalb von drei Jahren ab, geht der Betrag an den Staat.

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Mit Abstand am häufigsten wird Schmuck angeboten

Die meisten Kundinnen und Kunden bei ihr seien zwischen 30 und 50 Jahren alt, sagt Martha Spindler. Mit Abstand am häufigsten wird Schmuck abgegeben. Das macht auch die 35-jährige Aylin, die extra aus Neukölln nach Schöneberg gefahren ist, um hier ein Goldarmband zu versetzen. Den Schmuck hat sie von ihrem Exfreund geschenkt bekommen, erzählt sie. Deswegen wolle sie ihn loswerden. Außerdem schulde sie ihrer Mutter Geld. Für das Armband aus 585er-Gold bekommt sie 175 Euro sofort ausgezahlt. "Ich bin happy, das hat anscheinend doch einiges gewogen". Auslösen will sie den Schmuck nicht. "Ich bin froh, den los zu sein, er erinnert mich nur an meinen Ex", sagt sie. Der ganze Prozess bis sie ihr Geld in der Hand hält, hat keine zehn Minuten gedauert.

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Aylin ist eher ein Einzelfall - entgegen dem Klischee werden 90 Prozent der Sachen wieder abgeholt, sagt Martha Spindler. Aber das gelinge eben nicht allen Kunden, die das vorhatten: "Die Leute kommen und sagen: Bitte nicht verkaufen und nicht versteigern, ich hole es auf jeden Fall wieder ab. Dann kommt aber keiner. Und beim nächsten Mal erzählen sie uns dann den Grund: Gekündigt, kein Gehalt gekriegt, irgendwas in der Art."

Und das könne schließlich jeden treffen, sagt Martha Spindler: "Heutzutage braucht sich niemand mehr zu schämen, ins Pfandleihhaus zu gehen. Das ist was ganz Normales."

Sendung: rbb 88.8, 23.11.2022, 06:15 Uhr

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Beitrag von Anke Michel

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