Pfandleihhäuser erleben Boom - "Manche kommen, um schnell für zehn Euro etwas zu versetzen, um Windeln zu kaufen"

So 27.11.22 | 10:33 Uhr | Von Anke Michel
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Das Pfandleihhaus in Berlin-Schöneberg im November 2022. (Quelle: rbb/Anke Michel)
Audio: rbb 88.8 | 23.11.2022 | Anke Michel | Bild: rbb/Anke Michel

Die Preise steigen derzeit deutlich schneller als die Löhne – um die Lebenshaltungskosten zu decken, sind also andere Geldquellen gefragt. Pfandleihern wie Martha Spindler in Berlin-Schöneberg beschert das einen regen Zulauf. Von Anke Michel

In Pfandleihhäusern arbeitet Martha Spindler mittlerweile seit mehr als 20 Jahren. Jetzt ist sie Anfang 70 – was man ihr nicht ansieht – und führt seit Jahren ihr eigenes Geschäft in der Schönberger Kolonnenstraße. Die zierliche Frau hat viel gesehen in all den Jahren, sagt sie. Es gebe aber immer wieder Situationen, die sie berührten und länger nicht losließen: "Manche kommen am Freitagabend, um schnell noch für zehn Euro etwas zu versetzen, um Windeln für ihr Kind zu kaufen.

Szenen wie diese hätten in den vergangenen Wochen zugenommen, sagt Martha Spindler. Das deckt sich mit den Beobachtungen von Wolfgang Schedl, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Pfandkreditgewerbes.

Die Tendenz sei eindeutig, wenn es auch noch keine genaue Statistik dazu gebe: "Seitdem die Lebenshaltungskosten so gestiegen sind, melden die Mitgliedsbetriebe deutlich mehr Kunden." Rund 80 Prozent der Pfandleihhäuser sind in dem Verband organisiert, in Berlin gehören 35 Betriebe der Organisation an – darunter auch das Pfandleihhaus von Martha Spindler.

"Es geht quer durch die Gesellschaft"

In dem Geschäft sitzen Martha Spindler und ihre Mitarbeiter hinter Sicherheitsglas an Schaltern und bedienen die Kundinnen und Kunden – fast wie in einer Bank. Es seien ganz unterschiedliche Menschen, die zu ihnen kämen, sagt sie: "Es geht quer durch die Gesellschaft. Ganz Arme kommen, Geschäftsleute oder Handwerker. Und sie bringen auch alles, was man zu Geld machen kann: Schmuck, Nachlass, Technik, Autos oder Fahrräder." Autos würden sie allerdings gar nicht mehr annehmen, weil sie die Fahrzeuge nicht lagern könnten.

Der Gegenstand wird im Wert von den Mitarbeitern im Pfandhaus geschätzt, und das Bargeld wird dem Kunden sofort ausgezahlt. Es ist die schnellste Art, einen Kredit zu bekommen - ohne Bonitätsprüfung, man muss nur seinen Ausweis vorlegen. Das Pfandleihhaus in Schöneberg nimmt 3,5 Prozent Zinsen und verdient so sein Geld.

Wer seine Sachen wieder auslöst, muss also mehr Geld dafür bezahlen, als die Kreditauszahlung betrug. Der Wertgegenstand wird ein halbes Jahr aufbewahrt, in dieser Zeit kann man ihn wieder auslösen.

Die Dinge, die nicht verkauft werden und zurückbleiben, werden bei extra Auktionen für Gegenstände aus Pfandleihhäusern versteigert. Wird dabei mehr Geld erzielt als der Betrag des Darlehens plus Zinsen und Versteigerungskosten, bekommt der ehemalige Besitzer den Überschuss ausgezahlt. Holt er sich das Geld nicht innerhalb von drei Jahren ab, geht der Betrag an den Staat.

Mit Abstand am häufigsten wird Schmuck angeboten

Die meisten Kundinnen und Kunden bei ihr seien zwischen 30 und 50 Jahren alt, sagt Martha Spindler. Mit Abstand am häufigsten wird Schmuck abgegeben. Das macht auch die 35-jährige Aylin, die extra aus Neukölln nach Schöneberg gefahren ist, um hier ein Goldarmband zu versetzen. Den Schmuck hat sie von ihrem Exfreund geschenkt bekommen, erzählt sie. Deswegen wolle sie ihn loswerden. Außerdem schulde sie ihrer Mutter Geld. Für das Armband aus 585er-Gold bekommt sie 175 Euro sofort ausgezahlt. "Ich bin happy, das hat anscheinend doch einiges gewogen". Auslösen will sie den Schmuck nicht. "Ich bin froh, den los zu sein, er erinnert mich nur an meinen Ex", sagt sie. Der ganze Prozess bis sie ihr Geld in der Hand hält, hat keine zehn Minuten gedauert.

Aylin ist eher ein Einzelfall - entgegen dem Klischee werden 90 Prozent der Sachen wieder abgeholt, sagt Martha Spindler. Aber das gelinge eben nicht allen Kunden, die das vorhatten: "Die Leute kommen und sagen: Bitte nicht verkaufen und nicht versteigern, ich hole es auf jeden Fall wieder ab. Dann kommt aber keiner. Und beim nächsten Mal erzählen sie uns dann den Grund: Gekündigt, kein Gehalt gekriegt, irgendwas in der Art."

Und das könne schließlich jeden treffen, sagt Martha Spindler: "Heutzutage braucht sich niemand mehr zu schämen, ins Pfandleihhaus zu gehen. Das ist was ganz Normales."

Sendung: rbb 88.8, 23.11.2022, 06:15 Uhr

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Beitrag von Anke Michel

41 Kommentare

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  1. 41.

    Hallo Anton,
    ich empfehle Ihnen dringend den PENNY-Trailer "Der Riss".
    Da Sie ja sehr oft hier unterwegs sind: Bitte versuchen Sie doch einfach mal, bei Ihren Kommentaren die 2 härtesten Beleidigungen rauszunehmen. Meinetwegen sollen Sie ja auch hart und überspitzt formulieren, aber nicht jeder mit anderer Meinung ist gleich ein Hetzer oder rechts.

  2. 40.

    "Mit Leuten, die andere beleidigen oder diffamieren unterhält man sich nicht." Heißt das jetzt das sie mich zukünftig mit ihren geistigen Ergüssen verschonen?

    "In dem Sinne schreiben Sie sich ruhig selber in verblendete Rage, interessiert niemanden." Sie doch anscheinend sehr, sonst würden sie nicht nur meinen Kommentare lesen, sondern erst recht nicht antworten.

    Ihr Gefasel hat was von "Der Fuchs und die Trauben". YMMD!

  3. 39.

    "Wenn Sie es immer noch nicht begriffen haben, es geht hier nicht um Neid sondern um Gerechtigkeit gegenüber der arbeitenden Bevölkerung . "

    Doch es ist der blanke Neid. Das ist so als würden sie in der Schule fordern der schlechte Schüler, der mit Ach und Krach eine 4 bekommen hat, müsse eine 6 bekommen, nur weil sie mit ihrer 2 nicht zufrieden sind. Das ist erbärmlich.

    Und dann noch die dumme Masche andere zu diskreditieren, nur weil sie nicht über ihren eigenen Tellerrand sehen können.

    Da kommt das so ein erbärmliches Geschreibsel heraus: "Ich, ich und nochmals ich". Hier geht es NICHT um SIE!

  4. 38.

    "Dann hätte die CDU/CSU auch nicht mehr das Argument des Lohnabstandsgebotes gehabt. "

    Das sind sie auch auf das erbärmliche Schauspiel des Multimillionär Black Rock Merz hereingefallen.

  5. 37.

    Nein, ich meine die ZDF Sendung Die Anstalt. Sollten sie sich mal ansehen. Statt Schenkelklopfer über die keiner lachen kann zu reißen.

  6. 36.

    Warum hat dann die Ampel nicht gleichzeitig zusammen mit dem Bürgergeld die Abgabenlast für Einkommen 200/300/400€ über Bürgergeld-Niveau nicht deutlich reduziert?
    Dann hätte die CDU/CSU auch nicht mehr das Argument des Lohnabstandsgebotes gehabt.
    Dies führt bei mir zu der Erkenntnis, dass kleine Einkommen gar nicht entlastet werden sollen.
    Und alle die dies fordern, werden dann mit Vernebelungs-Strategien überrollt.
    "Sozialneid"
    "Zahlen eh keine Steuern"
    "Gibt doch neues Wohngeld demnächst"
    "Müssen gezielt helfen anstatt mit Gießkanne"

  7. 35.

    Wenn Sie es immer noch nicht begriffen haben, es geht hier nicht um Neid sondern um Gerechtigkeit gegenüber der arbeitenden Bevölkerung . Sie brauchen mir auch nicht mit dem Unsinn zu kommen hier Menschen gegeneinander aufzuhetzen das scheint bei vielen gern gesehen zu sein, besonders bei Menschen wie ihnen. Ich bin seid 40Jahren ununterbrochen in Arbeit und habe mit meiner Frau 3 Kinder groß gezogen und auch bei uns war es nicht immer einfach also können Sie sich das sparen . Wenn man im Monat 30Euro zu viel verdient hat hat man nicht einen Cent vom Staat bekommt und hat dann halt mal die Arschbacken zusammen gekniffen und hat es trotzdem geschafft. Und falls es Sie interessiert ich gehe gern arbeiten, bei Ihnen habe ich so meine Zweifel denn wie Sie hier für das Bürgergeld eintreten leben Sie wohl auch lieber von der Allgemeinheit statt früh den Hi....aus dem Bett zu bekommen. Und nocheinmal das sind keine Milchmädchenrechnungen sondern das ist die Realität die Sie nicht verstehen.

  8. 34.

    Mit Leuten, die andere beleidigen oder diffamieren unterhält man sich nicht.

    In dem Sinne schreiben Sie sich ruhig selber in verblendete Rage, interessiert niemanden.

  9. 33.

    „Anstalt“

    Sie meinen sicherlich due AÖR (Anstalt des öffentlichen Rechts) von DW und co. enteignen ?

    Da muss man sich gar nicht hat einweisen lassen. :-)

  10. 31.

    Also ich beziehe demnächst Bürgergeld, meine Miete/Heizung ist ja gesichert.

    Als Verkäufer bin ich mitm1200 Euro netto pro Monat nach Hause gegangen.

    Das Bürgergeld finde ich gut, jetzt kann ich mich erstmal erholen und überlegen wie es weitergeht.

    In den Einzelhandel werde ich nicht zurückkehren

  11. 30.

    Jeder Euro für das Feuerwerk ist einer zu viel.

    Umwelt sagt danke, das Portemonnaie auch.

  12. 29.

    "Die breite Mehrheit hat halt Weitblick". Die breite Mehrheit ist so dämlich und lässt es zu, dass sie sich von den oberen 10.000 und deren parlametarischen Arme gegenseitig ausspielen lässt.

    Arm gegen arm (und damit meine ich auch die einstige Mittelschicht)aufzuhetzen hat von Black Rock Merz und dem Baumumarmer Söder als Büttel der Großkonzerne und -banken wunderbar geklappt.

    Wo bleibt das Vermögen in Deutschland? | Die Anstalt

  13. 28.

    Ihre Milchmädchenrechnungen und ihr Neid auf die Ärmsten ist schon bemerkenswert. Da unter treten, nach oben buckeln war schon immer des Deutschen liebstes Hobby.

    Ich empfehle ihnen den Film oder das Buch "Der Untertan", darin erkennen sie sich bestimmt wieder!

    Natürlich müssen auch die Billiglöhne angehoben werden, das Billiglohnland D hat aus D ein Armenhaus gemacht.

    Arm gegen arm aufzuhetzen hat bei ihnen ja wunderbar geklappt. Das war ja auch das Ziel der "christlichen" Parteien, allen voran Black Rock Merz und der Baumumarmer Söder als Büttel der Großkonzerne und -banken.

    Sonst könnten die Ärmsten UND die Mittelschicht auf die Idee kommen wie sie die obersten 10.000 immer weiter bereichen.

  14. 27.

    Hätte ich kein Geld, würde ich Stoffwindeln benutzen. Weg zum Pfandhaus gespart, den Mehrbetrag beim Auslösen ins Waschen investieren und was Gutes für die Umwelt tun. Manche Geschichten sind rührselig, aber berühren mich nicht wirklich.

  15. 26.

    Noch einmal:Sylvester ist ein Name. Das Jahresende schreibt sich Silvester. Wer da Geld in die Luft feuert, hat keinen Gedanken an die Umwelt verschwendet und zuviel Geld.

  16. 25.

    Ihr Antwort zeigt, dass Sie das deutsche Einkommenssteuerrecht nicht begriffen haben. Mit jeder Gehaltserhöhung rutscht man bei nicht geänderter Steuertabelle immer weiter in die kalte Progression hinein. Wie ich ausgeführt hatte ist man mittlerweile mit dem 1,25 fachen eines durchschnittlichen Facharbeiterlohnes schon im oberen Bereich der kalten Progression und zahlt damit den Spitzensteuersatz und das läuft schon etwa seit den späten 80zigern so!

  17. 24.

    „Seeheimer Kreis der SPD, der CDU, CSU und der FDP sowieso und auch der AfD nicht möglich.“

    Die breite Mehrheit hat halt Weitblick

  18. 23.

    Es ist schon erstaunlich das immer nur gefordert wird das das Bürgergeld noch mehr angehoben werden sollte weil es den Menschen die es bekommen nicht zum leben reicht. Nochmal laut Berechnungen bekommt eine vierköpfige Familie 1.793€+Miete +Heizkosten +Krankenversicherung +Beitrag Pflegeversicherung also bitte lasst mal die Kirche im Dorf. Menschen die jeden Tag arbeiten gehen und mit ihrem Lohn sonst über die Runden gekommen sind, müssen das alles allein finanzieren und die fragt niemand ob und wie lange sie diese Preissteigerungen noch stemmen können, weder der Arbeitgeber noch der Staat. Alles was der Staat bis jetzt rausgehauen hat, hat noch niemanden richtig entlastet. Laut einer Studie müssten Arbeitnehmer/innen die jetzt im Schnitt 1.800€ netto verdienen um bei den aktuellen Steigerungen nicht in Schwierigkeiten zu geraten ca 2.500€ verdienen, aber das scheint keinen zu interessieren.Also mehr Entlasstungen auch für die arbeitende Bevölkerung denn auch die wollen weiter leben .

  19. 22.

    "Ursprünglich schlug der Spitzensteuersatz bei etwa dem 21-fachen eines Facharbeiterlohnes..zu".

    Interessantes Statement - haben Sie da auch nen Beleg für?

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