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Quelle: dpa/P. Wouw

Vorbereitung auf Impfungen in Berlin

Kassenärztliche Vereinigung drängt auf Impfstrategie für Arztpraxen

Auf den Ärzten ruht die Hoffnung: Wenn in absehbarer Zeit genug Impfstoff gegen Covid-19 verfügbar ist, sollen die Arztpraxen die Impfungen massiv beschleunigen. Doch die Vorbereitungen haben noch nicht begonnen. Von Tina Friedrich und Ursula Stamm

Nicole Hartung achtet auf ihre Lunge wie auf kein anderes Organ in ihrem Körper. Denn es ist nicht ihre eigene: Rund 20 Tabletten muss sie jeden Tag nehmen, damit ihr Immunsystem das transplantierte Organ nicht abstößt. Regelmäßig kommt sie zur Kontrolle in die Praxis von Lungenfacharzt Rainer Gebhardt nach Berlin-Neukölln. Der nimmt Blut ab, gleicht die Werte mit dem Deutschen Herzzentrum ab, das auch für Lungentransplantationen zuständig ist, und justiert ihre Medikation.

Würde Nicole Hartung an Corona erkranken, wäre das sehr wahrscheinlich lebensgefährlich für die 50-Jährige. Sie möchte deshalb so schnell wie möglich geimpft werden. Ihr Arzt hat ihr deshalb ein Attest ausgestellt, das sie eigentlich dazu berechtigt, einen Code für einen Impftermin zu bekommen. Mit diesem Code könnte sie in Berlin dann online einen Termin in einem Impfzentrum vereinbaren.

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Politik hat Entscheidung verschlafen

Doch so einfach ist es nicht. Denn obwohl Nicole Hartung ein Attest hat, gibt es in Berlin keine zentrale Stelle, an die Patienten wie sie sich wenden können, um auch einen Impftermin zu erhalten. Unverständlich findet das ihr Arzt. "Es kann doch nicht sein, dass etwas, was seit zwei Monaten absehbar ist, nämlich die Priorisierung von Patientengruppen, nicht längst geregelt ist", sagt Gebhardt. Die Politik habe das versäumt. "Man konnte sich lange genug darauf vorbereiten. Einer muss jetzt mal die Entscheidung treffen. Da muss man sich notfalls eben auch gegen Widerstände durchsetzen."

Schon in der ersten Impfverordnung vom Dezember stand: Ärztliche Atteste für bestimmte Patientengruppen berechtigen zur Impfung. Doch auf die Umsetzung warten Ärzte wie Patienten bis heute.

Zuständigkeiten sind nicht geregelt

Bislang ist nicht geregelt, an wen sich Menschen mit Vorerkrankungen wenden können, wenn sie geimpft werden sollen. Doch das ist nicht das einzige Problem. Bislang ist auch unklar, wer entscheiden soll, ob ein Mensch aufgrund seiner Erkrankung Anspruch auf eine schnelle Impfung hat. Sowohl die behandelnden Ärzte als auch die Krankenkassen wären grundsätzlich dazu in der Lage, diese Entscheidung zu treffen.

Doch die Daten der Ärzte sind detaillierter als jene der Krankenkassen. Die Priorisierung, wie sie derzeit vorgegeben ist, können zum Beispiel bei Diabetikern nur die behandelnden Ärzte einschätzen, die im Gegensatz zu den Kassen über Laborwerte verfügen.

Ärzte sehen Kassen zuständig

Burkhard Ruppert von der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin wendet sich strikt dagegen, dass die niedergelassenen Ärzte für die Priorisierung verantwortlich sein sollen. Der Aufwand für die Atteste wäre enorm. "Wir sind als KV strikt gegen Atteste. Es wird immer wieder zu Diskussionen kommen zwischen Patient und Arzt: Gehöre ich nicht vielleicht doch zu dieser Priorisierung? Das halten wir für ganz schlecht."

Deshalb fordert er, die Priorisierung klar bei den Krankenkassen zu belassen, auch wenn die dort vorliegenden Daten möglicherweise weniger genau sind. Aus der AOK dagegen heißt es, dass derzeit Gespräche mit der Senatsverwaltung und der Kassenärztlichen Vereinigung zum Thema stattfänden, deren Inhalte man nicht kommentiere. Und die Senatsverwaltung äußerte sich gar nicht auf eine Anfrage von rbb24 Recherche.

Zweites Quartal könnte relevant werden

Dabei ist es höchste Zeit zu klären, wie es weitergehen soll, wenn genügend Impfstoff bereitsteht. Die Impfstrategie der Bundesregierung sieht seit November vor, dass die Verantwortung von den Impfzentren mittelfristig auf die niedergelassenen Ärzte übergehen soll – auch um dann schneller mehr Menschen zu impfen.

Doch dafür müsse man schon jetzt Vorkehrungen treffen, sagt der Berliner KV-Vorstand Ruppert. Der Berliner Senat sei derzeit noch überhaupt nicht in der Lage, die Praxen einzubeziehen. "Das ist ein Problem, das auf uns zukommt. Wir müssen jetzt darüber reden" mahnt Ruppert zur Eile. "Wir sollten damit nicht warten, bis es so weit ist." Für den logistischen Aufwand, die Belieferung mit Impfstoff und Materialien wie Nadeln und Tupfer beispielsweise, rechnet er mit einem Vorlauf von zwei bis vier Wochen.

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Gespräche laufen

Denn es geht nicht nur um Material, sondern auch um das Termin-Management für die Praxen, die sich auf einen Ansturm der Patienten einstellen müssten. Ungeklärt ist auch, wie dokumentiert wird, wer geimpft wurde - um den Überblick über die Impfquote nicht zu verlieren. Derzeit läuft diese Dokumentation in Berlin ebenso wie alles andere Organisatorische noch über das zentrale Terminsystem.

Ruppert sagt dem rbb, in Berlin seien Gespräche über die entsprechenden Vorbereitungen bereits im Gange. Er rechnet mit einem abgestimmten Konzept bis Ende Februar. "Wir machen den nötigen Druck. Ich denke, dass der Senat das mittlerweile verstanden hat."

Ganze Stadt in kürzester Zeit durchgeimpft

Die Senatsverwaltung für Gesundheit kennt zwar die Probleme, verweist in der Frage der Lösung aber lediglich auf die Bundesverordnung. Senatorin Dilek Kalayci habe zuletzt bei einem Pressetermin am 7. Februar "die Notwendigkeit der schnellen Einbeziehung der niedergelassenen Ärzte betont. Doch bisher sieht der Bund eine Einbindung nicht vor." Das stimmt zwar insofern, als die Einbindung noch nicht in der aktuellen Verordnung geregelt ist – aber eben in der langfristigen Impfstrategie vorgesehen.

In Berlin könnten sich 3.000 Praxen an der Aktion beteiligen, schätzt Ruppert. Damit wäre es möglich, 450.000 Impfungen pro Woche vorzunehmen. Rein rechnerisch wäre Berlin dann innerhalb kürzester Zeit "durchgeimpft" – wenn alles vorbereitet wird.

Sendung: rbb Praxis, 10.02.2021, 20:15 Uhr

Beitrag von Tina Friedrich und Ursula Stamm

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