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Quelle: dpa/F. Gentsch

Interview | Mutter über Schulstart

"Unsere Kinder haben inzwischen Angst, uns Eltern anzustecken"

Berlins Schulen öffnen dank einer Teststrategie. Die Mutter und Bloggerin Alu Kitzerow sieht darin keine Erleichterung für Eltern, sondern nur eine Verschiebung des Problems. Die aktuellen Konzepte zeigten, dass sich die Politik noch immer kaum für Kinder interessiere.

rbb|24: Liebe Frau Kitzerow, kommende Woche öffnen die Schulen in Berlin wieder für alle Altersklassen, möglich ist das dank einer Teststrategie. Sie sind selbst Mutter von drei Kindern, zwei davon im schulpflichtigen Alter. Halten Sie Ihre Familie und sich für ausreichend geschützt durch dieses Konzept?

Alu Kitzerow: Nein, definitiv nicht. Denn wir haben drei Kinder in drei Einrichtungen. Selbst im Wechselunterricht und in kleineren Gruppen kann immer was passieren. Wir haben allein in den vergangenen vier Wochen drei Fehlalarme aus der Schule und der Kita wegen positiven Schnelltests erhalten. Dann war alles wieder zu.

Es wird in den Verantwortungs- und Logistikbereich der Eltern geschoben. Denn es ist ja nicht so, dass sich mit der Teststrategie die Betreuungssituation verbessert. Sowohl Notbetreuung in der Kita, sofern man darauf Anspruch hat, als auch das Wechselmodell an Schulen ist zeitlich begrenzt. Das bedeutet: Es wird von Eltern erwartet, dass alles wieder normal läuft. Das geht aber nicht, wenn ich einige Tage die Woche trotzdem noch die Care-Arbeit leiste. Jetzt denken alle: Wir testen jetzt in Schulen und im Arbeitsbereich, da kann man ja wieder locker ins Büro gehen. Aber nein, kann man eigentlich nicht.

Zur Person

Bloggerin aus Berlin

Alu Kitzerow

Mutter Alu Kitzerow und Vater Konsti Manthey schreiben aus Berlin schreiben in ihrem Blog "Große Köpfe" jeweils aus ihrer Sicht über den Alltag mit drei Kindern.

Ab kommender Woche soll in Berlin in den Schulen getestet werden. Bisher konnten die Eltern diese Aufgabe zu Hause übernehmen. Wie geht es Kindern damit?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass unser Sohn den Test in der Schule machen wird. Der braucht einen geschützten Raum und will sich auch nicht selbst in der Nase rumpopeln, das wird er aber auch nicht von jemand anderes machen lassen. Ich finde auch schwierig, dass die Lehrer dann die Verantwortung dafür haben. Die Befreiung vom Präsenzunterricht sollte weiterhin gelten und Kindern sollten dadurch keine Nachteile entstehen.

Statt der aktuellen Teststrategie sind wir aber eigentlich klar für die Strategie, alles nochmal komplett für drei Wochen runterzufahren. Alles. Auch die Büros. Dann hat man hoffentlich die Sache wieder im Griff und kann die Schulen wieder mit geringerem Risiko öffnen.

Ab einer Inzidenz ab 200 sollen die Schulen wieder schließen. Was bedeutet dieses Hin und Her für den Seelenhaushalt von Kindern?

Das ist gar nicht gut. Also ich finde auch 200 ist viel zu hoch. Wir haben monatelang den Kindern erklärt, dass es diese Grenze von 30 oder 50 gibt und jetzt ist sie plötzlich bei 200 und alles ist dunkelrot. Unsere Kinder haben Angst. Inzwischen nicht mehr nur, dass ihre Großeltern erkranken, sondern jetzt auch, dass auch wir erkranken. Und die meisten Fälle sind in den Altersstufen der jetzigen Eltern. Was passiert, wenn zwei Eltern erkranken? Unsere Kinder haben Sorgen um sich selbst und auch um uns.

Gehen wir jetzt mal vom Worst Case aus: Beide Elternteile sind coronapositiv und können ihre Kinder nicht mehr versorgen. Wer versorgt Kinder von erkrankten Eltern? Ist für diesen Fall politisch vorgesorgt?

Ich weiß nur, dass die Krankenhäuser die Kinderstationen inzwischen auch so aufbauen, dass immer noch Plätze frei sind für Kinder, wenn die Eltern krank sind. Diese Möglichkeit gibt es, aber auch diese Möglichkeiten sind begrenzt. Weil es ja kaum noch Plätze für schwere Verläufe gibt.

Dann springen die Großeltern wieder ein. Ob das die richtige Regelung ist, bin ich mir auch nicht sicher, denn die haben wir die letzten zwölf Monate versucht zu schützen. Und das ist, glaube ich, auch für Kinder wahnsinnig schwer zu verstehen.

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Eltern, also überwiegend Menschen in der Altersgruppe von 20 bis 45 Jahren, stehen in der Impfprioritätenliste ganz unten - bei gleichzeitig steigenden Corona-Infektionen in der Altersklasse. Gegen diese Regelung regt sich unter Eltern in den sozialen Netzwerken großer Unmut. Der Hashtag #elternimpfen trendet, viele sind wütend über die fehlende Wertschätzung. Was denken Sie über diese Debatte?

Natürlich würde ich mir wünschen, dass Eltern, die Angehörige pflegen und kleine Kinder haben oder behinderte Kinder haben, weiter in der Impfpriorität nach oben rücken. Aber die Frage ist: Wer rutscht dann nach hinten. Wir wollen ja auch, dass die Lehrer und Erzieher endlich geimpft werden. Natürlich würde ich mir wünschen, wenn alle Eltern geimpft sind, dass dann alle Sachen wieder leichter werden. Aber die Konsequenz daraus ist wahrscheinlich, dass dann die Arbeitgeber wieder sagen: Wer geimpft ist, kann wieder ins Büro gehen - und das halte ich in diesen Zeiten auch nicht für besonders produktiv.

Die Politik spricht immer davon, dass Kinder und Jugendliche in der Corona-Pandemie vor gehen. Wird die Politik diesem Versprechen in irgendeinem Punkt gerecht?

Im Bereich Bildungspolitik und Digitalisierung hat sich in den letzten zwölf Monaten so viel bewegt wie in den letzten fünf Jahren nicht. Plötzlich geht Online-Unterricht. Aber beim Thema Wertschätzung und dem Umgang mit Kindern und Jugendlichen überhaupt nicht. Es interessiert eigentlich kaum, wie es den Kindern damit geht und es gibt auch keine wirklichen Konzepte.

Nehmen wir das Konzept der Kinderkrankentage in der Corona-Pandemie: Das können sich viele Eltern nicht leisten. Das ist kein hundertprozentiger Lohnausgleich. Das überlegt man sich auch als Familie. Also ich finde nicht, dass die Politik besonders viel für die Kinder tut zur Zeit.

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Was müsste getan werden, damit Eltern das Gefühl haben, politisch wertgeschätzt zu werden?

Die müssten für alle Kinder ein Jahr Eis- und Schwimmbad-Gutscheine rausgeben oder ich weiß nicht (lacht). Dann würde ich mir hundertprozentigen Lohnausgleich bei erkrankten Kindern wünschen oder bei Quarantäne für die Kinder. Das würde Eltern die Betreuung sehr erleichtern. Mehr Urlaubstage für Eltern wäre eine andere Option, aber das wird nicht diskutiert. Die haben gar kein Platz in der Diskussion. Ich habe auch das Gefühl - und das finde ich so spannend: Wir haben im September Bundestagswahlen und in Deutschland 11,6 Millionen Eltern - und trotz allem ist dieses Thema so unrelevant. Ich verstehe es einfach nicht.

Sie sind ja auch Zukunftsforscherin. Was erwarten Sie, wie diese Generation mit dieser Krise heranwächst? Wie wird sie die künftige Gesellschaft prägen?

Ich vergleich das im Moment ganz gerne mit dem Wandel 1989, weil es da ganz viel Unsicherheit gab. Die Generation der Schulabgänger zum Beispiel, die ist mit ganz viel Unsicherheit gestartet. Sie mussten sich auf ein komplett neues System und neue Voraussetzungen einstellen. Und sie haben sich dann als transformationswürdige Generation herausgestellt, die die am besten mit dem Wandel zurechtgekommen ist. Das sind heutzutage viel die Menschen, die in Aufsichtsräten sitzen, die auch ostdeutsche Biografien ganz oft nach vorn gebracht haben.

Deswegen würde ich das gar nicht so negativ sehen. Ich denke, dass das, was jetzt passiert, prägen wird. Wir werden das alle irgendwie verknusen. Ich denke, dass wir bei der Anpassungsfähigkeit gar nicht so schlecht aufgestellt sind. Aber was wir erst wieder erlernen müssen, ist, dass wir erst wieder lernen müssen, miteinander sozial umzugehen.

Wo könnten Eltern sich zusammentun und laut werden, um künftig mehr beachtet zu werden?

Ich kann nur empfehlen, die eigene Selbstwirksamkeit in sich zu spüren. Ich wende mich zum Beispiel an den Bezirksverordneten, um ein Thema auf den Tisch zu bringen. Dass man da sagt: Das passt mir nicht, setzen Sie sich dafür ein! Die zweite Empfehlung von mir ist, Online-Petitionen zu unterschreiben. Auch wenn man völlig ermattet 22:30 Uhr die Kinder im Bett hat, kriegen das noch viele Menschen abends hin.

Und dann kann ich nur empfehlen: Man sollte die Möglichkeiten nutzen, die Social Media bietet. Es gibt einfach wahnsinnig viele Eltern im Netz, die sich bereits stark machen. Und der Punkt ist: Uns Eltern wird immer vorgeworfen, dass wir so viel jammern. Und das stimmt, wir jammern auch - aber ich jammere nicht nur für mich selbst. Ich jammere auch für alle anderen mit.

Mehr Jammern! Damit man irgendwann gehört wird. Anders geht es nicht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jenny Barke, rbb|24

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