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Quelle: dpa/Paul Zinken

Interview | Stressforscher Mazda Adli

"Das Leben in der Stadt ist für viele Menschen stressiger geworden"

Der Berliner Stressforscher Mazda Adli untersucht, unter welchen Umständen Großstadtleben krank machen kann. Im Interview spricht er über den Einfluss des Lockdowns und was gegen soziale Dichte und Isolation in der Stadt helfen kann.

rbb: Herr Adli, wie haben Lockdown und Kontaktsperren das Leben in der Stadt verändert?

Mazda Adli: Die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung haben die Städte in erheblicher Weise verändert. Unseren Städten hat man die Pandemie ganz deutlich angesehen. Wir standen alle auf leeren Straßen, auf leeren Plätzen, die normalerweise bevölkert und lebendig sind.

Die Türen von Theatern, von Restaurants und von Kinos waren verriegelt. Das Stadtbild hat zuweilen auf gespenstische Weise die Bedrohung der Pandemie deutlich gemacht. In einem Dorf, in einer dünner besiedelten Gegend hingegen sieht man solche krassen Veränderungen nicht.

Ist das Leben in der Stadt dadurch psychisch belastender geworden?

Das Leben in der Stadt ist für viele Menschen stressiger geworden in der Pandemie. Normalerweise gehören soziale Dichte und Isolation zu den zwei großen Stressoren, die uns in der Stadt psychisch belasten können.

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Beide Stressformen wurden durch die Pandemie nochmal brennglasartig verstärkt. Die Bevölkerungsdichte in der Nachbarschaft oder in einem Supermarkt beim Einkaufen haben wir als besonders bedrohlich erlebt. Nämlich dann, wenn andere Menschen für uns zur Gefahrenquelle, zur Infektionsquelle werden können.

Wir alle waren gereizter, wir alle sind ungern in die Supermärkte gegangen, niemand hat sich wohl gefühlt, wenn es während der Pandemie zu voll geworden ist.

Genauso ist es mit dem Isolations-Stress. Ein Drittel der Berliner Bevölkerung lebt in einem Single-Haushalt. Das waren die Leidtragenden des Lockdowns und der Ausgangssperren auf besondere psychologische und soziale Weise. Ich kann als Arzt berichten, dass wir viele Fälle von Einsamkeit und isolationsbedingten Problemen gesehen haben.

Zur Person

Unter welchen Bedingungen kann Stadtleben grundsätzlich krank machen?

Städte tun den meisten von uns gut. Wir haben bessere Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, eine bessere Gesundheits-Infrastruktur, eine enorme kulturelle Vielfalt.

Aber gleichzeitig haben Städte auch ein Problem. Wir finden gerade in unseren Breitengraden ein höheres Risiko, an stressbedingten psychischen Krankheiten zu leiden. Wie zum Beispiel Schizophrenie, Depression und Angststörungen. Die kommen bei Stadt-Menschen häufiger vor.

Ist der Straßenverkehr in der Stadt einer der Haupt-Stressfaktoren?

Stress im Straßenverkehr ist das, woran die meisten Menschen denken, wenn sie darüber nachdenken, was sie in der Stadt anstrengt. Das ist allerdings nicht der Stress, der wirklich krank macht. Sondern das ist der Stress, der nervt.

Eine Fahrt in der überfüllten Straßenbahn macht nicht krank, denn die hört irgendwann wieder auf. Solange eine Belastung irgendwann wieder vorbei ist oder wir uns wieder Entlastung schaffen können, können unser Organismus und auch unsere Psyche damit umgehen.

Der Stress, der uns belastet und krank macht, ist der, aus dem wir uns aus eigener Kraft nicht befreien können.

Unter welchen Umständen können wir uns nicht mehr von dem Stress befreien?

Wir gehen davon aus, dass der Stress, der krank macht, sozialer Stress ist. Der entsteht durch das Zusammenleben von Menschen auf begrenztem Raum. Dazu gehört Stress durch soziale Dichte, die wir als Enge empfinden. Vor allem dann, wenn es an eigenem Rückzugsraum mangelt oder man sich Lärm nicht entziehen kann.

Wenn jemand sich ausgeschlossen fühlt oder einsam ist oder mit der Anonymität der Großstadt nicht umgehen kann, dann entsteht so etwas wie Isolationsstress. Wenn beide Faktoren gleichzeitig auf einen Menschen treffen, also soziale Dichte und Isolationsstress, dann kann die Mischung toxisch werden.

Was hilft gegen soziale Dichte und Isolation in der Stadt?

Öffentliche Räume in der Stadt schützen unsere Gesundheit. Dazu gehören nicht nur Plätze, sondern auch Straßen und Bürgersteige, die nicht nur Transitzonen sind, sondern Menschen zum Verweilen einladen. Auch Grünflächen schützen unsere Gesundheit. Sie beeinflussen auf vielfältige Weise körperliches, aber auch psychisches Wohlbefinden. Die Erforschung solcher gesunden Orte in der Stadt steht besonders im Fokus der Neurourbanistik.

Zu diesen Orten gehören auch Kultureinrichtungen. Jedes Theater, jede Bühne, jedes Museum ist ein öffentlicher Raum, der Menschen zusammenbringt und dadurch sozialer Isolation entgegenwirkt.

Im Gespräch mit Barrie Kosky, dem Intendant der Komischen Oper, sind wir darauf gekommen, dass Theater-, Opern oder Konzertbesuche streng genommen von den Krankenkassen mitfinanziert werden müssten, da sie unserer psychischen Gesundheit gut tun.

Als Psychiater sage ich: Kultureinrichtungen haben auch einen Gesundheitsauftrag. Sie sind systemrelevant.

Das Interview mit Mazda Adli führte Julia Vismann für den Wissenschafts-Podcast "Talking Science". Der Stressforscher ist im August auch zu Gast bei einer Podiumsduskussion zum Thema, die im Rahmen des Projekts "Wissensstadt 2021" [wissenstadt.berlin] stattfindet.

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