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Video: rbb|24 | 01.08.2021 | Material: rbb, vifogra | Quelle: rbb

5.000 Protestierende trotz Verbots

Polizei zieht Bilanz nach "Querdenker"-Demos in Berlin

An die 600 Festnahmen, mehr als 2.000 Beamte im Einsatz: Am Tag nach den verbotenen "Querdenker"-Demos mit rund 5.000 Protestierenden zieht die Berliner Polizei Bilanz. Seit dem Morgen ist bekannt, dass ein Demonstrant kollabiert und im Krankenhaus gestorben ist.

Dieser Beitrag wird nicht mehr aktualisiert. Alle aktuellen Entwicklungen im Nachgang der "Querdenker"-Demonstrationen am Sonntag finden Sie hier.

Die Polizei hat ihren Einsatz bei den Protesten der "Querdenken"-Bewegung in Berlin am Sonntag verteidigt. Trotz Verbots hatten sich etwa 5.000 Gegner der Corona-Maßnahmen immer wieder an verschiedenen Stellen der Stadt versammelt. Dabei kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen mit den rund 2.200 Beamten, die im Einsatz waren. Bis zum Sonntagabend wurden nach Polizei-Angaben fast 600 Menschen festgenommen.

Polizeisprecher Thilo Cablitz sagte der rbb-Abendschau, es sei bei dem Einsatz darum gegangen, die Infektionsrisiken zu minimieren und die Demonstrierenden zu zerstreuen. Daraufhin hätten sich die Menschen an anderen Orten erneut zusammengefunden.

Am Montagmorgen ist bekannt geworden, dass ein 49-jähriger Teilnehmer der Proteste am Sonntag im Krankenhaus gestorben ist. Laut Polizei ist er kollabiert, als seine Personalien überprüft wurden.

Der Mann habe im Zuge der Identitätsfeststellung am Sonntagnachmittag über ein Kribbeln in Arm und Brust geklagt. Einsatzkräfte hätten sofort Erste-Hilfe-Maßnahmen ergriffen, bis ein alarmierter Rettungswagen eintraf. Der Demonstrationsteilnehmer starb später in einem Krankenhaus. Vorschriften sehen in einem solchen Fall ein Todesermittlungsverfahren vor - nach eigenen Angaben hat die Polizei ein solches Verfahren eingeleitet.

Bis zu 1.000 Euro Bußgeld

An der Siegessäule fuhren am Sonntag zwischenzeitlich Wasserwerfer auf. Hunderte Demonstrierende zogen zum Teil unbegleitet von der Polizei durch Charlottenburg, Schöneberg, Mitte und Kreuzberg. "Das Aggressionspotenzial variierte", sagte Polizeisprecher Cablitz dem rbb.

Zum Teil habe es Versuche gegeben, Absperrungen zu überwinden und Einsatzkräfte beiseite zu drängen. Bei solchen Auseinandersetzungen sei von Seiten der Polizei auch körperliche Gewalt angewendet worden, so der Sprecher. Die Teilnahme an einer verbotenen Versammlung sei eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 1.000 Euro Bußgeld bestraft werden könne.

Die Polizei sperrte den Großen Stern weiträumig ab | Quelle: rbb

Polizei setzt auf Zerstreuung

Die Anhänger der "Querdenken"-Bewegung setzten vor allem den ganzen Tag auf Spontan-Aktionen in der City West. In einigen Fällen konnte die Polizei aber nicht rechtzeitig vor Ort sein. Vor allem bei der Zusammenkunft von Demonstrationsteilnehmern in Westend am Vormittag zeigten sich die Einsatzkräfte zum Teil überfordert. Dem widersprach Cablitz im Interview mit dem rbb. "Wir haben die Personen recht schnell gebunden im Bereich der Reichsstraße und Technik für Versammlungen sichergestellt." Cablitz räumte ein, dass es stadtweit Versuche gab, Absperrungen zu durchbrechen, wie beispielsweise an der Siegessäule. Aber man konnte die Menschen wieder zerstreuen. "Das war auch das Ziel, damit sie nicht an einem Ort sind und damit die Infektionsrisiken geringer sind."

Bei der Festnahme von Protestierern war nach Angaben eines dpa-Reporters Pfefferspray eingesetzt worden, als einige andere die Polizisten daran hindern wollten. Dabei waren zwischen Theodor-Heuss-Platz und Wilmersdorfer Straße nach Angaben des dpa-Reporters am frühen Nachmittag Hunderte von Menschen auf der Fahrbahn. Polizisten hätten die Fahrbahn stellenweise geräumt.

Wasserwerfer der Polizei positionierten sich auch in Charlottenburg | Quelle: rbb

Viele Teilnehmende zu Fuß unterwegs

Am Sonntagvormittag hatten sich die Teilnehmenden vom Olympiastadion zu Fuß über Bismarck- und Kantstraße auf den Weg gemacht - angeblich, um einen geplanten legalen Autokorso zu Fuß zu begleiten. Der Autokorso war genehmigt, die Begleitung zu Fuß allerdings nicht. Teilweise hätten Leute versucht, Absperrungen zu durchbrechen. Die Polizei sprach Platzverweise aus. Bis zu 2.000 Menschen seien im Bereich Westend in Charlottenburg zusammengekommen, sagte Cablitz im rbb.

Rangeleien und Auseinandersetzungen mit der Polizei

Die Stimmung wurde von beobachtenden Reporterinnen und Reportern als stellenweise aggressiv beschrieben. Immer wieder ist es zu Rangeleien und Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. "Man begegnete uns mit Gewalt zu Teilen, so dass Kolleginnen und Kollegen auch Gewalt anwenden mussten", so Cablitz.

Die Polizei twitterte unter anderem, dass in der Länderallee in Westend Einsatzkräfte von einer Personengruppe bedrängt und attackiert worden seien. "Sie versuchten, die Polizeikette zu durchbrechen und Kolleg. herauszuziehen. Es kommt zum Einsatz von Reizstoff, Schlagstock und körperlicher Gewalt", so die Polizei.

Teilnehmer des "Querdenker"-Protestzugs am Olympiastadion | Quelle: rbb/Helena Daehler

Auch Hubschrauber im Einsatz

Die Teilnehmenden mobilisierten unter anderem über Megaphone, skandierten Slogans wie "Frieden, Freiheit, keine Diktatur". Sie kostümierten sich teilweise und trommelten auf mitgebrachten Instrumenten. Sie zogen über die Kantstraße und den Kaiserdamm in Richtung Gedächtniskirche und Großer Stern. An der Siegessäule hatten sich viele Polizeiwagen versammelt, ein Hubschrauber war dort im Einsatz. Auch Absperrgitter wurden aufgestellt.

An der Siegessäule war für den Nachmittag eigentlich eine Kundgebung der Initiative "Querdenken 711" angekündigt worden, für die 22.500 Teilnehmer angemeldet waren. Die Demonstration war allerdings von der Versammlungsbehörde verboten worden.

Über mehrere Lautsprecherdurchsagen wurden die Protestierenden von der Polizei darauf aufmerksam gemacht, dass die Versammlung verboten sei und dass Wasserwerfer eingesetzt würden, sollten sie den Bereich nicht von selbst verlassen. Wie die Berliner Polizei twitterte wurden die Teilnehmenden gezielt aufgefordert, den Bereich zu verlassen. Für Platzverweise wurden Personalien aufgenommen. Die meisten Menschen verließen den Bereich freiwillig. Von den Wasserwerfern wurde kein Gebrauch gemacht.

Querdenker-Demo in Berlin-Westend, nahe Theodor-Heuss-Platz | Quelle: rbb

Ab dem späten Nachmittag hatte sich das Demonstrationsgeschehen an den Alexanderplatz in Berlin-Mitte verlagert. Nach rbb-Informationen versammelten sich etwa 1.000 Menschen. Die Polizei, die erst später hinzukam, hatte den Platz abgeriegelt und die Menschen aufgefordert, den Bereich zu verlassen. Die Menge erwiderte den Aufruf mit Pfiffen und Buhrufen. Ein heftiger Regenguss hatte allerdings mehr Wirkung gezeigt. Wie Videobilder von rbb-Reportern zeigen, verließen viele Teilnehmende den Platz. Am Abend war zu beobachten, dass die Polizei einzelne Menschen festhielt und wegführte.

Mehrere Protestzüge waren zuvor vor allem durch Schöneberg zunächst unkontrolliert gezogen. Die Polizei ließ die Demonstrierenden nach Angaben der rbb-Reporterinnen und Reportern zufolge weitgehend gewähren, schnitt ihnen aber an einigen Stellen den Weg ab.

So stellten sich Einsatzkräfte der Berliner Polizei den Protestierenden in der Lützowstraße in Richtung Nollendorfplatz in den Weg. Die Beamten hatten demnach Reizgas bei sich. Ein weiterer Protestzug war durch Kreuzberg unterwegs.

Die Wasserwerfer wurden auch am Großen Stern aufgestellt | Quelle: rbb

"Wir haben uns auf einen sehr kräftezehrenden Einsatz vorbereitet"

"Wir haben uns auf einen sehr kräftezehrenden Einsatz vorbereitet an diesem gesamten Wochenende", sagte der Polizeisprecher. Auf die Frage nach der Taktik der Polizei und warum es Menschen gelungen sei, sich zu versammeln, sagte er: Die Polizei sei angehalten, mit Augenmaß vorzugehen. "Wir können jetzt nicht jede Person willkürlich kontrollieren, etwa am Pariser Platz."

Menschen hätten sich beispielsweise auch aus touristischen Hotspots heraus bewegt und seien zu mehreren Hundert zusammengekommen, sagte der Sprecher. Die Polizei habe sie wieder zerstreut. Eine Reihe von Aktionen, die sich ihrem Titel zufolge teils ebenfalls gegen die Politik in der Corona-Pandemie richteten, waren zudem nicht verboten worden, etwa Autokorsos. Auch dort schlossen sich laut Polizei teils Menschen zu Fuß an.

Sprecher von "Querdenken 711" akzeptiert und kritisiert das Verbot

Die Berliner Polizei hatte für dieses Wochenende mehrere Demonstrationen verboten, weil sie Verstöße gegen die Hygieneauflagen befürchtete. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) bestätigte am Samstagabend die vorausgegangenen Entscheidungen des Berliner Verwaltungsgerichts und der Polizei.

Der Sprecher der Initiative "Querdenken 711", Michael Ballweg, sagte am Sonntag, seine Initiative akzeptiere das Verbot der Demonstration. Freiheit lasse sich aber nicht verbieten. "Die Menschen stehen jetzt eigenständig für ihre Grundrechte ein. Und die Versammlungen finden trotzdem statt." Gleichzeitig kritisierte Ballweg das Verbot und sagte, eine koordinierte Versammlung mit Auflagen, Ordnern und Deeskalationsteams wäre sicherer gewesen. Die Initiative hatte in einem internen "Notfallplan" dazu aufgerufen, auch im Fall eines Verbots nach Berlin zu kommen.

Nacht und Morgen verliefen ruhig

In der Nacht auf Sonntag habe es keine Zwischenfälle gegeben, sagte ein Sprecher des Lagezentrums am Sonntagmorgen. Auch der Morgen verlief zunächst ruhig. Zuvor war erwartet worden, dass sich trotz des Verbots der Demonstrationen Anhänger der Initiative "Querdenken 711" aus Stuttgart am geplanten Kundgebungsort rund um das Brandenburger Tor versammeln könnten.

Sendung: Inforadio, 1. August, 10 Uhr

Die Kommentarfunktion wurde am 01.08.2021 um 16:16 Uhr geschlossen

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