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Quelle: dpa/Vladimir Menck

Kommentar| Verbotene "Querdenker"-Proteste

Sie glauben, alles sei erlaubt

Die Anführer der "Querdenker" reden ihrer noch verbliebenen Anhängerschaft neuerdings ein, Freiheitskämpfer zu sein - im Kampf gegen das System, das ihnen angeblich die Freiheit raubt. Das Wochenende in Berlin zeigt: Es wird weitergehen. Von Olaf Sundermeyer

Für die Berliner Polizei war es ein ereignisreiches Wochenende. Allein am Sonntag zogen rund 5.000 Corona-Kritiker durch Berlin - obwohl die Behörden die Demonstrationen aufgrund des Infektionsschutzes zuvor untersagt hatten. Bis zum Sonntagabend meldete die Polizei 600 Festnahmen, es kam zu Auseinandersetzungen und Gewalt, gegen Polizisten, Medienvertreter und auch Schaulustige. Doch schon bevor tausende Menschen nach Berlin kamen und durch Charlottenburg, Schöneberg, Mitte und Kreuzberg zogen, machte eine Person auf sich aufmerksam: Michael Ballweg, der Sprecher der Initiative "Querdenken 711".

Wer seinen inszenierten Videobotschaften folgte, konnte bereits erahnen, wie sich seine Anhänger im Nachgang verhalten sollten: "Wir sind angekommen, wo wir ankommen wollten! Die Regierung musste sich dieses Wochenende vollständig entblößen", sagte er nach der erwarteten Bestätigung des Berliner Demonstrationsverbots durch das Oberverwaltungsgericht.

Und die Polizei? Sie steckte nun in der Verbotsfalle, die sie selbst errichtet hatte: Sie musste das eigene Verbot durchsetzen. Die Konfrontation war garantiert.

5.000 Protestierende trotz Verbots

Polizei zieht Bilanz nach "Querdenker"-Demos in Berlin

An die 600 Festnahmen, mehr als 2.000 Beamte im Einsatz: Am Tag nach den verbotenen "Querdenker"-Demos mit rund 5.000 Protestierenden zieht die Berliner Polizei Bilanz. Seit dem Morgen ist bekannt, dass ein Demonstrant kollabiert und im Krankenhaus gestorben ist.

Der Kampfmodus wird andauern

Sprecher Ballweg war auch deshalb angekommen, wo er ankommen wollte. Seiner geschrumpften, aber wütendenden Gefolgschaft von 5.000 Menschen war eine wuchtige mediale und politische Wirkung sicher. Die wäre nämlich bei einer überschaubaren und friedlichen Zusammenkunft auf der Straße des 17. Juni hingegen ausgeblieben. Die Medien hätten das Zusammenkommen der Corona-Kritiker vermutlich als Randnotiz wahrgenommen und es im kurzen Nachrichtenblock abgefrühstückt. Doch so kam es nicht. Und Ballwegs Gefolgschaft war im Kampfmodus.

Dieser Zustand wird sich fortsetzen. Verstärkt noch durch die Erfahrung, in Berlin dabei gewesen zu sein.

Wie, wo und wann sich das bemerkbar macht, ist noch nicht abzusehen. Widerstand kennt viele Formen. Dass Massenproteste wie in Frankreich hierzulande ausbleiben werden, ist der Führungsriege der "Querdenker" bewusst. Den Anschluss an die große Mehrheit haben sie verpasst.

In den Wochen vor dem 1. August in Berlin hatten sie ihre Leute auf diese Situation eingeschworen, sie bei vielen Gelegenheiten zu "Freiheitskämpfern" erklärt, im Einsatz für eine "Freiheitsbewegung". Auf einer "Info-Bustour" quer durchs Land, in der eigenen, medialen Parallelwelt, und bei klandestinen Netzwerkreffen. Die neue Identität wurde ansatzlos übernommen.

Analyse | Gegner der Corona-Politik

Das Ende der "Querdenker", wie wir sie kennen

Auf dem fruchtbaren Krisenboden einer verunsicherten Gesellschaft konnten Wut und Größenwahn der "Querdenker" zunächst gedeihen. Aber jetzt kehrt das Land allmählich zur Normalität zurück - und die Bewegung geht kraftlos ein. Von Olaf Sundermeyer

Eine verschworene Gruppe, eine Sekte

Man sei kein "Querdenker", man wisse auch gar nicht, was "Querdenker" überhaupt sein sollten, man sei Teil einer Freiheitsbewegung. So lautete seither die wiederkehrend gleiche Antwort sämtlicher Aktivisten auf Fragen zum Zustand ihres Zusammenschlusses.

Eine Bewegung, zu der sie auf dem Höhepunkt der Pandemie zusammengefunden hatten, sind die "Querdenker" aber längst nicht mehr. Sie sind eine verschworene Gruppe, eine Sekte, die ihrem Guru (und einem kleinen Kreis seiner Getreuen) blind folgt: Am Sonntag immer wieder in die gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei, oftmals völlig orientierungslos durch die Stadt, ausgestattet mit der Legitimation, im Kampf für die Freiheit gegen jeden vorzugehen, der ihnen widerspricht. Auch mit Gewalt, die zu etwas Selbstverständlichem geworden ist.

Für die Sache wird gelogen, beleidigt und gespuckt

Schließlich wehrte man sich nur gegen die Regierung, die sich vollständig entblößt hätte - wie Ballweg es formuliert hatte. Über ihren Glauben haben die Anhänger dieses Gurus den Anstand verloren. Alles ist erlaubt: Für die Sache wird gelogen, beleidigt, gespuckt, getreten, geschlagen.

Was kommt als nächstes? Zu welchen Mitteln greifen die selbst ernannten Freiheitskämpfer in ihrem Widerstand gegen den Rechtsstaat? Antworten könnten sich in den nächsten, inszenierten Videobotschaften ihres Anführers finden lassen.

Sendung: Inforadio, 02.08.2021, 09:00 Uhr

Beitrag von Olaf Sundermeyer

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